Ziel erreicht?
Erst wurde heftig um sie gestritten, dann wurde sie als Erfolg gefeiert - die Rede ist von der Föderalismusreform I. Die Zahl der Bundesgesetze, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, wurde von 60 auf 40 Prozent verringert. Berührt wurde das Verhältnis von Bundesrat und Bundestag, Regierung und Opposition.
Ziel der Reform war es: Blockadepolitik (im Bundesrat) erschweren und mehr Mitwirkung der Länder bei nationalen Gesetzgebungsverfahren durchsetzen. Die Fragen liegen auf der Hand: Wie funktioniert die Umsetzung der Reform I? Welche Interessen treffen nun aufeinander und werden wie gehändelt? Wo funktioniert es beispielhaft, wo bestehen weiterhin Probleme?
30. Juni 2006. Ein zufriedener Bundestagspräsident Lammert verkündet die Ziele eines komplizierten Gesetzeswerkes, das soeben von einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages beschlossen wurde:
"Die Neuregelung der Kompetenzverteilung und der Abbau der Mischfinanzierungstatbestände zwischen Bund und Ländern sollen Entscheidungsprozesse entflechten und den Gebietskörperschaften mehr Eigenständigkeit erlauben, die Abschaffung der Rahmengesetzgebung zum Bürokratieabbau beitragen."
Sieben Jahre hatte man über diese bislang umfangreichste Verfassungsänderung seit Bestehen des Grundgesetzes diskutiert, eine Diskussion, die an der Bevölkerung weitgehend vorbei ging:
"Verstehe ich echt nicht."
"Oh, was genau ist das?"
"Föderalismusreform? Keine Ahnung. Weiß ich jetzt nicht."
"Nee."
"Nee, danke schön."
"Ich weiß nicht, was ist das?"
"Ich weiß es auch nicht."
"Ich weiß nicht, was das ist."
"Oh Gott, weiß ich leider gar nix drüber."
Volker Kröning, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Bremen, war Obmann seiner Partei in der "Föderalismuskommission 1", dem Gremium, das unter Vorsitz von Edmund Stoiber und Franz Müntefering die erste Reformstufe austüftelte. Er sagt kurz und bündig, worum es geht:
"Alles oben zu machen, was nur oben gemacht werden kann, aber auf der anderen Seite so viel wie möglich unten machen."
Schon einmal, kurz vor Weihnachten 2004, waren sich die Kontrahenten einig. Der Abschluss scheiterte am Einspruch des hessischen Ministerpräsidenten in einer eher untergeordneten Bildungsfrage. Nach der Bundestagswahl schrieben Union und SPD den Willen, die Reform zu einem guten Ende zu bringen, dann in ihren Koalitionsvertrag.
Das Projekt nahm Fahrt auf und erhielt im Sommer 2006 seine endgültige Form. Olaf Scholz, damals noch Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Bundestag:
"Es gibt von jetzt an für einen bestimmten Bereich der Gesetzgebung, der auch ordentlich dargestellt und aufgezählt ist, die Möglichkeit, dass der Bund in Zukunft seine Gesetze alleine machen kann. Und er kann dabei das Verwaltungsverfahren regeln, wo er es bisher nicht konnte, also dieses, alleine das Gesetz machen. Und im Gegenzug dafür können die Länder dann, wenn ein solches neues Bundesrecht entsteht, abweichen bei den Verwaltungsvorschriften."
Kanzleramtsminister de Maizière, CDU, erläutert die neuen Zuständigkeiten:
"Der Bund hat eine neue Zuständigkeit bekommen im Bereich der inneren Sicherheit, eine Zuständigkeit des Bundeskriminalamts bei der präventiven Terrorbekämpfung. Die Länder haben eine endgültige Zuständigkeit bekommen für das Ladenschlussrecht, für das Gaststättenrecht, für den Strafvollzug, für das Versammlungsrecht, für das Presserecht und für das Heimrecht. Es sind Mischfinanzierungstatbestände abgeschafft oder abgebaut worden, allerdings mit sehr langen Übergangsfristen, im Bereich des Hochschulbaus. Es ist geblieben bei der Gemeinschaftsaufgabe Wirtschaftsfördern. Es ist geregelt worden bei Finanzhilfen, dass sie in Zukunft befristet und degressiv sein müssen. Also sie müssen ein Ende haben und sie müssen insgesamt rückläufig sein."
Norbert Röttgen, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Bundestag, ergänzt:
"Der Bund zum Beispiel erhält erstmalig die Möglichkeit, ein einheitliches Umweltgesetzbuch zu erlassen. Die Länder erhalten die Möglichkeit, in der Hochschulpolitik weitergehend politisch zu gestalten, auch im Wettbewerb untereinander."
Mehr Entscheidungsmacht für den Bund bei gleichzeitiger Stärkung der Länderkompetenzen: möglich nur, wenn anschließend alle Gewinner sind.
Die Quadratur des Kreises gelang nur bedingt. Zunächst klammerte man die entscheidende Frage aus: Die Neuordnung der Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden wurde in eine zweite Föderalismuskommission verschoben, die seit einem halben Jahr tagt. Dennoch ging es natürlich auch bei "F 1", so die Kurzform der ersten Stufe, um Geld.
Dieter Grimm, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht und Sachverständiger in der ersten Kommission:
"Der heikelste Punkt war: Sollen die Länder auch wieder vermehrt Gesetzgebungskompetenzen über Steuererhebung kriegen? Sie haben nur minimale. So können sie nur über ihr Ausgabeverhalten bestimmen. Sie haben keinen Einfluss auf ihr Einnahmewesen. Die ärmeren Länder wollten das um jeden Preis vermeiden, weil sie gesagt haben, wir, die Armen, müssen dann in erhöhtem Maße Steuern festsetzen. Das kann aber nur dazu führen, dass die Reichen, die darauf nicht angewiesen sind, dann noch mehr Attraktivität für Investoren und Wirtschaftsstandorte entfalten."
Womit wir beim Thema "Wettbewerbsföderalismus" wären. Für de Maizière ein ausbaufähiges Gelände:
"Ich sehe in der Föderalismusreform 1 eine richtig große Chance für einen Wettbewerb um schnelle, unbürokratische Verwaltungsbehörden und Verwaltungsverfahren. Und da würde ich mir in Zukunft noch mehr wünschen."
Die großen, finanzstarken Länder stimmen da zu. Sorgen haben die kleinen, verschuldeten Länder und Stadtstaaten, zum Beispiel Bremen. Der Bürgermeister der Hansestadt, Börnsen, greift das Thema Beamtenbesoldung auf. Hierfür sind nach "F1" nun die Länder zuständig:
"Das war früher einheitlich. Heute wird verglichen, was in den Ländern geschieht. Und man schaut natürlich danach, wo gibt es die höchsten Besoldungssteigerungen. Wir aber müssen in unserer Verantwortung auch die finanziellen Möglichkeiten unseres Bundeslandes in den Blick nehmen. Und die sind in Bremen bekanntlich nicht sehr groß."
Der SPD-Politiker warnt vor unfairer Konkurrenz:
"Dort, wo finanzschwächere Länder Probleme haben, darf man sie durch Wettbewerb nicht noch verstärken. Konkret: Sozialleistungsgesetze dürfen nicht unterschiedlich in den deutschen Ländern sein, sondern da muss das Ziel weiterhin heißen, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland sicherzustellen. Und das bedeutet eine Grenze auch des Wettbewerbs unter den Ländern."
Der Verfassungsrechtler Grimm erkennt Versuche, das Erreichte zurück zu drehen, zum Beispiel in der Bildung.
"Der Bund darf nur noch mitreden, wenn es darum geht zu gucken, wie die Leistungsstandards im Bildungswesen sind - PISA praktisch. Wenn wir uns vergleichen mit Finnland und Schweden etc., dann kann man natürlich nicht Hessen mit Schweden vergleichen, dann muss man die Bundesrepublik mit Schweden vergleichen. Mit der Mitsprachemöglichkeit des Bundes sind natürlich auch Bundesmittel geflossen. Und wenn der Bund nicht mehr mitspricht, hat er auch keinen Anlass, Mittel an die Länder zu geben. Ich habe den Eindruck, dass man schon immer nach Möglichkeiten sucht, wie man denn um diese Regelung herum kommen kann."
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lange fürchtet den Verlust der Chancengleichheit unter Hochschulen:
"Wir öffnen die Tür zu einer eigenständigen Entwicklung der Hochschulen, zu einer eigenständigen Entwicklung des Laufbahnrechts. Das bedeutet: In Zukunft wird es in Deutschland möglich sein, Elite-Universitäten mit besser bezahlten öffentlich-rechtlichen Professoren auszustatten. Daraus werden dann hoffentlich bessere Absolventen kommen als sonstwo, die wir dann auch wieder, weil wir mehr Geld haben, kaufen können. Das ist das Ende einer solidarischen Bildungsentwicklung in Deutschland, das Ende auch eines vergleichbaren öffentlichen Dienstes in Deutschland. Das, glaube ich, ist das Ende eines solidarischen Bundesstaates. Und das kann, glaube ich, niemand wollen."
Die erste Reformstufe sollte vor allem entflechten. Der CDU-Politiker Röttgen:
"Es werden die Zuständigkeiten getrennt. Die Länder haben nun Möglichkeiten zu gestalten und nicht ihre Politik darin zu machen, dass sie den Bund an der Gestaltung hindern. Und darum wird es deutlich weniger Zustimmungsrechte des Bundesrates bei der Bundesgesetzgebung geben. Alle Gesetze beruhten darauf, dass der Bund in einem Bundesgesetz neben den materiellen Regelungen - nehmen Sie die ganzen sozialrechtlichen Regelungen, die Hartz-Gesetze - nicht nur materiell geregelt hat, sondern auch das Verwaltungsverfahren. Und in dem Augenblick, in dem auch nur ein Paragraph, eine Bestimmung etwas zum Verwaltungsverfahren in einem großen Gesetz geregelt hat, hat dies das gesamte Gesetz der Zustimmungsbedürftigkeit ausgesetzt. Alle diese Fälle werden in Zukunft grundsätzlich wegfallen."
Man will, dies der Kern der Sache, eine Gegenregierung im Bundesrat verhindern. Also wurde die Zahl der Gesetze, denen die Länder in dieser Kammer zustimmen müssen, von rund 60 auf rund 40 Prozent gesenkt. Die Probe aufs Exempel steht indes aus. Zu Zeiten einer Großen Koalition gibt es auch im Bundesrat kaum Anlass, den Vermittlungsausschuss anzurufen.
Professor Grimm benennt den Pferdefuß:
"Wegfall von Zustimmungsrechten mindert die Bedeutung der Ministerpräsidenten der Länder oder überhaupt der Länder. Die sitzen im Bundesrat. Und deswegen ging es um Gegenleistungen auf der Seite der Länder."
Auch der Stuttgarter Bundesratsminister Reinhart, CDU, erkennt Defizite:
"Es gibt Bereiche, wo wir sicherlich, nachdem wir keine Zustimmungspflicht mehr haben, unsere Machtstrategien nicht mehr mit dieser Kraft der Länder durchsetzen können, als dieses früher der Fall war."
Derweil wächst im Kanzleramt die Kritik an den Ländern. Minister de Maizière:
"Ich sehe noch kein verabschiedetes Landesbeamtengesetz. Ich sehe noch relativ wenig Strafvollzugsgesetze der Länder. Und wir haben etwas sehr Wichtiges vereinbart: Die Länder können in Zukunft abweichen bei der Einrichtung von Behörden- und Verwaltungsverfahren. Wenn also der Bund eine materielle Regelung macht, dann können die Länder sagen, jawohl, die Regelung wird umgesetzt, aber wie wir das machen, mit welchen Behörden und in welchen Verwaltungsverfahren, das entscheiden wir. Das ist eine große Chance für eine Verwaltungsreform in den Ländern, die zum Teil ja auch genutzt wird, aber meines Erachtens noch zu wenig."
Dieter Grimm bezweifelt, ob das Durcheinander abnimmt angesichts der Tatsache, das die Länder nun in der Regel selbst bestimmen, wie sie dieses oder jenes Bundesgesetz ausführen:
"Die Abweichungsgesetzgebung ist ein Problem, wie man sich leicht vorstellen kann, weil das zum Pingpong führen kann. Der Bund regelt, etlichen Ländern, wahrscheinlich diejenigen, die auf der Bundesebene in Opposition sind, gefällt es nicht. Sie regeln abweichend. Dann hält der Bund das für gefährlich, regelt wieder neu. Ein Ende ist dabei nicht vorgesehen."
Die - von vielen großspurig titulierte- "Mutter aller Reformen" bezog auch die Gemeinden ein. Norbert Röttgen:
"Auch die Kommunen sind Gewinner dieser Reform, insbesondere und auch dadurch, dass in Zukunft es nicht mehr möglich ist, dass durch Bundesgesetz unmittelbar Aufgaben an die Kommunen übertragen werden. Das hatte in der Vergangenheit dazu geführt, dass die Kommunen mit Aufgaben belastet worden sind, ohne eine adäquate Finanzierung tatsächlich zu erhalten. Dies wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Nur noch die Länder können den Kommunen Aufgaben übertragen. Und in den Ländern, in den Landesverfassungen ist das so genannte Konnexitätsprinzip verankert, so dass sie dann einen Anspruch haben auf adäquate Finanzierung durch die Länder."
Der Geschäftsführer des Deutschen Städtetages, Articus, schließt sich dem Lob nur bedingt an:
"Es ist nicht ausgeschlossen, dass neue Aufgaben im Gewand alter Gesetze weitergeleitet werden. Also, ich nehme mal das Beispiel Grundsicherung: Da definiert der Bund, wir erhöhen die Weihnachtsbeihilfe - so geschehen 2006 - oder wir erhöhen die Regelsätze. Das kostet soundso viel hundert Millionen, bleibt ungeregelt, aber die Aufgabe wird übertragen."
Ein anderes aktuelles Beispiel ist die Debatte um Kinderkrippen. Die Bundesfamilienministerin will die Zahl der Plätze um ein Drittel erhöhen. Nach "F1" wären für die Finanzierung ausschließlich die Länder zuständig. Geht nicht, sagen die, und der Bund schießt zu. Bremens Bürgermeister Börnsen:
"Dort hat sich gezeigt, dass wir doch ein Instrument brauchen, was flexible Handlungen, Verbindungen zwischen Bund und Ländern und auch den Gemeinden notwendig macht. Meine Hoffnung wäre, dass es in der zweiten Stufe der Föderalismusreform über solche Praxiserfahrungen zu einer Ergänzung kommen könnte."
Einfachere Verwaltungsverfahren, die Börnsen anspricht, sind ein wesentliches Element der zweiten Reformstufe. Ebenso die Stichworte "Schuldenbremse", "Neuverschuldungsverbot" und "Altschuldentilgung" - in der ersten Reform alle ausgeklammert.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Kröning zieht dennoch eine positive Bilanz:
"Wir haben uns in der Stufe 1 konzentriert auf Gesetzgebung im Bundesstaat, auf das Verfahren der Gesetzgebung. Dabei sind Kompetenzen sowohl zugunsten der Länder, als auch zugunsten des Bundes verändert worden. Das ganze Verfahren hat an Transparenz und übrigens auch an Effizienz gewonnen. Die Gesetzgebungsverfahren sind kürzer. Die Verantwortung wird deutlicher."
Minister Reinhart aus Baden-Württemberg fügt hinzu:
"Ich glaube schon, dass es wichtig ist, dass wir unter dem Aspekt der Autonomie und der Handlungskraft der Länder eine Abgrenzung der Verantwortlichkeiten haben. Und hier hat die Föderalismusreform 1 sicherlich dazu beigetragen und das auch verbessert."
Kritik dagegen aus der Opposition. Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Bündnisgrünen:
"Es ist ein klassischer Kompromiss der politischen Klasse, der an den Bedürfnissen des Landes und an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger dramatisch vorbeigeht."
Der FDP-Abgeordnete Wissing verweist auf offene Wunden:
"Die zentralen Probleme sind nicht gelöst. Wir haben keine Antwort auf die Verschuldensfrage. Wir haben auch keine Antwort auf die undurchsichtige Verflechtung zwischen Bund und Ländern, die unsere Gesetzgebungsprozesse unnötig verlangsamen und immer wieder Kompromisse erzwingen, die aus der Sache heraus nicht geboten sind."
Für den Geschäftsführer des Städtetages, Articus, hat jede Entflechtung Grenzen:
"Die öffentlichen Dienstleistungen - Bildung, Sozialpolitik, Integration, Gesundheit, Infrastruktur, Verkehr - müssen angesichts der finanziellen Probleme der öffentlichen Hand einfach effizienter und effektiver werden. Um dieses zu erreichen, ist - glaube ich - eine politische Verhandlung, die auf Abgrenzung und Ausgrenzung gegenseitiger Kompetenzen ausgerichtet ist, nicht immer der richtige Ansatzpunkt."
Es ist zu früh für endgültige Urteile über die erste Stufe der Föderalismusreform. Ohne Teil 2 bleibt sie ohnehin Stückwerk. Ob es gelingt, noch in dieser Legislaturperiode Letztere unter Dach und Fach zu bringen, ist ungewiss. Und anschließend, möglicherweise nicht mehr unter einer Großen Koalition, wird es noch schwieriger. So steht, zum Schluss, der Wunsch des Bremer Bürgermeisters Börnsen:
"Wir haben die Länder gestärkt. Wir haben die Kompetenzen von Bund und Ländern entflochten, aber nun müssen wir dafür sorgen, dass alle Gebietskörperschaften in Deutschland in der Lage sind, finanziell in der Lage sind, ihre durch die Föderalismusreform 1 hinzugewonnenen und geklärten Kompetenzen auch wahrzunehmen."
30. Juni 2006. Ein zufriedener Bundestagspräsident Lammert verkündet die Ziele eines komplizierten Gesetzeswerkes, das soeben von einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages beschlossen wurde:
"Die Neuregelung der Kompetenzverteilung und der Abbau der Mischfinanzierungstatbestände zwischen Bund und Ländern sollen Entscheidungsprozesse entflechten und den Gebietskörperschaften mehr Eigenständigkeit erlauben, die Abschaffung der Rahmengesetzgebung zum Bürokratieabbau beitragen."
Sieben Jahre hatte man über diese bislang umfangreichste Verfassungsänderung seit Bestehen des Grundgesetzes diskutiert, eine Diskussion, die an der Bevölkerung weitgehend vorbei ging:
"Verstehe ich echt nicht."
"Oh, was genau ist das?"
"Föderalismusreform? Keine Ahnung. Weiß ich jetzt nicht."
"Nee."
"Nee, danke schön."
"Ich weiß nicht, was ist das?"
"Ich weiß es auch nicht."
"Ich weiß nicht, was das ist."
"Oh Gott, weiß ich leider gar nix drüber."
Volker Kröning, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Bremen, war Obmann seiner Partei in der "Föderalismuskommission 1", dem Gremium, das unter Vorsitz von Edmund Stoiber und Franz Müntefering die erste Reformstufe austüftelte. Er sagt kurz und bündig, worum es geht:
"Alles oben zu machen, was nur oben gemacht werden kann, aber auf der anderen Seite so viel wie möglich unten machen."
Schon einmal, kurz vor Weihnachten 2004, waren sich die Kontrahenten einig. Der Abschluss scheiterte am Einspruch des hessischen Ministerpräsidenten in einer eher untergeordneten Bildungsfrage. Nach der Bundestagswahl schrieben Union und SPD den Willen, die Reform zu einem guten Ende zu bringen, dann in ihren Koalitionsvertrag.
Das Projekt nahm Fahrt auf und erhielt im Sommer 2006 seine endgültige Form. Olaf Scholz, damals noch Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Bundestag:
"Es gibt von jetzt an für einen bestimmten Bereich der Gesetzgebung, der auch ordentlich dargestellt und aufgezählt ist, die Möglichkeit, dass der Bund in Zukunft seine Gesetze alleine machen kann. Und er kann dabei das Verwaltungsverfahren regeln, wo er es bisher nicht konnte, also dieses, alleine das Gesetz machen. Und im Gegenzug dafür können die Länder dann, wenn ein solches neues Bundesrecht entsteht, abweichen bei den Verwaltungsvorschriften."
Kanzleramtsminister de Maizière, CDU, erläutert die neuen Zuständigkeiten:
"Der Bund hat eine neue Zuständigkeit bekommen im Bereich der inneren Sicherheit, eine Zuständigkeit des Bundeskriminalamts bei der präventiven Terrorbekämpfung. Die Länder haben eine endgültige Zuständigkeit bekommen für das Ladenschlussrecht, für das Gaststättenrecht, für den Strafvollzug, für das Versammlungsrecht, für das Presserecht und für das Heimrecht. Es sind Mischfinanzierungstatbestände abgeschafft oder abgebaut worden, allerdings mit sehr langen Übergangsfristen, im Bereich des Hochschulbaus. Es ist geblieben bei der Gemeinschaftsaufgabe Wirtschaftsfördern. Es ist geregelt worden bei Finanzhilfen, dass sie in Zukunft befristet und degressiv sein müssen. Also sie müssen ein Ende haben und sie müssen insgesamt rückläufig sein."
Norbert Röttgen, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Bundestag, ergänzt:
"Der Bund zum Beispiel erhält erstmalig die Möglichkeit, ein einheitliches Umweltgesetzbuch zu erlassen. Die Länder erhalten die Möglichkeit, in der Hochschulpolitik weitergehend politisch zu gestalten, auch im Wettbewerb untereinander."
Mehr Entscheidungsmacht für den Bund bei gleichzeitiger Stärkung der Länderkompetenzen: möglich nur, wenn anschließend alle Gewinner sind.
Die Quadratur des Kreises gelang nur bedingt. Zunächst klammerte man die entscheidende Frage aus: Die Neuordnung der Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden wurde in eine zweite Föderalismuskommission verschoben, die seit einem halben Jahr tagt. Dennoch ging es natürlich auch bei "F 1", so die Kurzform der ersten Stufe, um Geld.
Dieter Grimm, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht und Sachverständiger in der ersten Kommission:
"Der heikelste Punkt war: Sollen die Länder auch wieder vermehrt Gesetzgebungskompetenzen über Steuererhebung kriegen? Sie haben nur minimale. So können sie nur über ihr Ausgabeverhalten bestimmen. Sie haben keinen Einfluss auf ihr Einnahmewesen. Die ärmeren Länder wollten das um jeden Preis vermeiden, weil sie gesagt haben, wir, die Armen, müssen dann in erhöhtem Maße Steuern festsetzen. Das kann aber nur dazu führen, dass die Reichen, die darauf nicht angewiesen sind, dann noch mehr Attraktivität für Investoren und Wirtschaftsstandorte entfalten."
Womit wir beim Thema "Wettbewerbsföderalismus" wären. Für de Maizière ein ausbaufähiges Gelände:
"Ich sehe in der Föderalismusreform 1 eine richtig große Chance für einen Wettbewerb um schnelle, unbürokratische Verwaltungsbehörden und Verwaltungsverfahren. Und da würde ich mir in Zukunft noch mehr wünschen."
Die großen, finanzstarken Länder stimmen da zu. Sorgen haben die kleinen, verschuldeten Länder und Stadtstaaten, zum Beispiel Bremen. Der Bürgermeister der Hansestadt, Börnsen, greift das Thema Beamtenbesoldung auf. Hierfür sind nach "F1" nun die Länder zuständig:
"Das war früher einheitlich. Heute wird verglichen, was in den Ländern geschieht. Und man schaut natürlich danach, wo gibt es die höchsten Besoldungssteigerungen. Wir aber müssen in unserer Verantwortung auch die finanziellen Möglichkeiten unseres Bundeslandes in den Blick nehmen. Und die sind in Bremen bekanntlich nicht sehr groß."
Der SPD-Politiker warnt vor unfairer Konkurrenz:
"Dort, wo finanzschwächere Länder Probleme haben, darf man sie durch Wettbewerb nicht noch verstärken. Konkret: Sozialleistungsgesetze dürfen nicht unterschiedlich in den deutschen Ländern sein, sondern da muss das Ziel weiterhin heißen, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland sicherzustellen. Und das bedeutet eine Grenze auch des Wettbewerbs unter den Ländern."
Der Verfassungsrechtler Grimm erkennt Versuche, das Erreichte zurück zu drehen, zum Beispiel in der Bildung.
"Der Bund darf nur noch mitreden, wenn es darum geht zu gucken, wie die Leistungsstandards im Bildungswesen sind - PISA praktisch. Wenn wir uns vergleichen mit Finnland und Schweden etc., dann kann man natürlich nicht Hessen mit Schweden vergleichen, dann muss man die Bundesrepublik mit Schweden vergleichen. Mit der Mitsprachemöglichkeit des Bundes sind natürlich auch Bundesmittel geflossen. Und wenn der Bund nicht mehr mitspricht, hat er auch keinen Anlass, Mittel an die Länder zu geben. Ich habe den Eindruck, dass man schon immer nach Möglichkeiten sucht, wie man denn um diese Regelung herum kommen kann."
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lange fürchtet den Verlust der Chancengleichheit unter Hochschulen:
"Wir öffnen die Tür zu einer eigenständigen Entwicklung der Hochschulen, zu einer eigenständigen Entwicklung des Laufbahnrechts. Das bedeutet: In Zukunft wird es in Deutschland möglich sein, Elite-Universitäten mit besser bezahlten öffentlich-rechtlichen Professoren auszustatten. Daraus werden dann hoffentlich bessere Absolventen kommen als sonstwo, die wir dann auch wieder, weil wir mehr Geld haben, kaufen können. Das ist das Ende einer solidarischen Bildungsentwicklung in Deutschland, das Ende auch eines vergleichbaren öffentlichen Dienstes in Deutschland. Das, glaube ich, ist das Ende eines solidarischen Bundesstaates. Und das kann, glaube ich, niemand wollen."
Die erste Reformstufe sollte vor allem entflechten. Der CDU-Politiker Röttgen:
"Es werden die Zuständigkeiten getrennt. Die Länder haben nun Möglichkeiten zu gestalten und nicht ihre Politik darin zu machen, dass sie den Bund an der Gestaltung hindern. Und darum wird es deutlich weniger Zustimmungsrechte des Bundesrates bei der Bundesgesetzgebung geben. Alle Gesetze beruhten darauf, dass der Bund in einem Bundesgesetz neben den materiellen Regelungen - nehmen Sie die ganzen sozialrechtlichen Regelungen, die Hartz-Gesetze - nicht nur materiell geregelt hat, sondern auch das Verwaltungsverfahren. Und in dem Augenblick, in dem auch nur ein Paragraph, eine Bestimmung etwas zum Verwaltungsverfahren in einem großen Gesetz geregelt hat, hat dies das gesamte Gesetz der Zustimmungsbedürftigkeit ausgesetzt. Alle diese Fälle werden in Zukunft grundsätzlich wegfallen."
Man will, dies der Kern der Sache, eine Gegenregierung im Bundesrat verhindern. Also wurde die Zahl der Gesetze, denen die Länder in dieser Kammer zustimmen müssen, von rund 60 auf rund 40 Prozent gesenkt. Die Probe aufs Exempel steht indes aus. Zu Zeiten einer Großen Koalition gibt es auch im Bundesrat kaum Anlass, den Vermittlungsausschuss anzurufen.
Professor Grimm benennt den Pferdefuß:
"Wegfall von Zustimmungsrechten mindert die Bedeutung der Ministerpräsidenten der Länder oder überhaupt der Länder. Die sitzen im Bundesrat. Und deswegen ging es um Gegenleistungen auf der Seite der Länder."
Auch der Stuttgarter Bundesratsminister Reinhart, CDU, erkennt Defizite:
"Es gibt Bereiche, wo wir sicherlich, nachdem wir keine Zustimmungspflicht mehr haben, unsere Machtstrategien nicht mehr mit dieser Kraft der Länder durchsetzen können, als dieses früher der Fall war."
Derweil wächst im Kanzleramt die Kritik an den Ländern. Minister de Maizière:
"Ich sehe noch kein verabschiedetes Landesbeamtengesetz. Ich sehe noch relativ wenig Strafvollzugsgesetze der Länder. Und wir haben etwas sehr Wichtiges vereinbart: Die Länder können in Zukunft abweichen bei der Einrichtung von Behörden- und Verwaltungsverfahren. Wenn also der Bund eine materielle Regelung macht, dann können die Länder sagen, jawohl, die Regelung wird umgesetzt, aber wie wir das machen, mit welchen Behörden und in welchen Verwaltungsverfahren, das entscheiden wir. Das ist eine große Chance für eine Verwaltungsreform in den Ländern, die zum Teil ja auch genutzt wird, aber meines Erachtens noch zu wenig."
Dieter Grimm bezweifelt, ob das Durcheinander abnimmt angesichts der Tatsache, das die Länder nun in der Regel selbst bestimmen, wie sie dieses oder jenes Bundesgesetz ausführen:
"Die Abweichungsgesetzgebung ist ein Problem, wie man sich leicht vorstellen kann, weil das zum Pingpong führen kann. Der Bund regelt, etlichen Ländern, wahrscheinlich diejenigen, die auf der Bundesebene in Opposition sind, gefällt es nicht. Sie regeln abweichend. Dann hält der Bund das für gefährlich, regelt wieder neu. Ein Ende ist dabei nicht vorgesehen."
Die - von vielen großspurig titulierte- "Mutter aller Reformen" bezog auch die Gemeinden ein. Norbert Röttgen:
"Auch die Kommunen sind Gewinner dieser Reform, insbesondere und auch dadurch, dass in Zukunft es nicht mehr möglich ist, dass durch Bundesgesetz unmittelbar Aufgaben an die Kommunen übertragen werden. Das hatte in der Vergangenheit dazu geführt, dass die Kommunen mit Aufgaben belastet worden sind, ohne eine adäquate Finanzierung tatsächlich zu erhalten. Dies wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Nur noch die Länder können den Kommunen Aufgaben übertragen. Und in den Ländern, in den Landesverfassungen ist das so genannte Konnexitätsprinzip verankert, so dass sie dann einen Anspruch haben auf adäquate Finanzierung durch die Länder."
Der Geschäftsführer des Deutschen Städtetages, Articus, schließt sich dem Lob nur bedingt an:
"Es ist nicht ausgeschlossen, dass neue Aufgaben im Gewand alter Gesetze weitergeleitet werden. Also, ich nehme mal das Beispiel Grundsicherung: Da definiert der Bund, wir erhöhen die Weihnachtsbeihilfe - so geschehen 2006 - oder wir erhöhen die Regelsätze. Das kostet soundso viel hundert Millionen, bleibt ungeregelt, aber die Aufgabe wird übertragen."
Ein anderes aktuelles Beispiel ist die Debatte um Kinderkrippen. Die Bundesfamilienministerin will die Zahl der Plätze um ein Drittel erhöhen. Nach "F1" wären für die Finanzierung ausschließlich die Länder zuständig. Geht nicht, sagen die, und der Bund schießt zu. Bremens Bürgermeister Börnsen:
"Dort hat sich gezeigt, dass wir doch ein Instrument brauchen, was flexible Handlungen, Verbindungen zwischen Bund und Ländern und auch den Gemeinden notwendig macht. Meine Hoffnung wäre, dass es in der zweiten Stufe der Föderalismusreform über solche Praxiserfahrungen zu einer Ergänzung kommen könnte."
Einfachere Verwaltungsverfahren, die Börnsen anspricht, sind ein wesentliches Element der zweiten Reformstufe. Ebenso die Stichworte "Schuldenbremse", "Neuverschuldungsverbot" und "Altschuldentilgung" - in der ersten Reform alle ausgeklammert.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Kröning zieht dennoch eine positive Bilanz:
"Wir haben uns in der Stufe 1 konzentriert auf Gesetzgebung im Bundesstaat, auf das Verfahren der Gesetzgebung. Dabei sind Kompetenzen sowohl zugunsten der Länder, als auch zugunsten des Bundes verändert worden. Das ganze Verfahren hat an Transparenz und übrigens auch an Effizienz gewonnen. Die Gesetzgebungsverfahren sind kürzer. Die Verantwortung wird deutlicher."
Minister Reinhart aus Baden-Württemberg fügt hinzu:
"Ich glaube schon, dass es wichtig ist, dass wir unter dem Aspekt der Autonomie und der Handlungskraft der Länder eine Abgrenzung der Verantwortlichkeiten haben. Und hier hat die Föderalismusreform 1 sicherlich dazu beigetragen und das auch verbessert."
Kritik dagegen aus der Opposition. Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Bündnisgrünen:
"Es ist ein klassischer Kompromiss der politischen Klasse, der an den Bedürfnissen des Landes und an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger dramatisch vorbeigeht."
Der FDP-Abgeordnete Wissing verweist auf offene Wunden:
"Die zentralen Probleme sind nicht gelöst. Wir haben keine Antwort auf die Verschuldensfrage. Wir haben auch keine Antwort auf die undurchsichtige Verflechtung zwischen Bund und Ländern, die unsere Gesetzgebungsprozesse unnötig verlangsamen und immer wieder Kompromisse erzwingen, die aus der Sache heraus nicht geboten sind."
Für den Geschäftsführer des Städtetages, Articus, hat jede Entflechtung Grenzen:
"Die öffentlichen Dienstleistungen - Bildung, Sozialpolitik, Integration, Gesundheit, Infrastruktur, Verkehr - müssen angesichts der finanziellen Probleme der öffentlichen Hand einfach effizienter und effektiver werden. Um dieses zu erreichen, ist - glaube ich - eine politische Verhandlung, die auf Abgrenzung und Ausgrenzung gegenseitiger Kompetenzen ausgerichtet ist, nicht immer der richtige Ansatzpunkt."
Es ist zu früh für endgültige Urteile über die erste Stufe der Föderalismusreform. Ohne Teil 2 bleibt sie ohnehin Stückwerk. Ob es gelingt, noch in dieser Legislaturperiode Letztere unter Dach und Fach zu bringen, ist ungewiss. Und anschließend, möglicherweise nicht mehr unter einer Großen Koalition, wird es noch schwieriger. So steht, zum Schluss, der Wunsch des Bremer Bürgermeisters Börnsen:
"Wir haben die Länder gestärkt. Wir haben die Kompetenzen von Bund und Ländern entflochten, aber nun müssen wir dafür sorgen, dass alle Gebietskörperschaften in Deutschland in der Lage sind, finanziell in der Lage sind, ihre durch die Föderalismusreform 1 hinzugewonnenen und geklärten Kompetenzen auch wahrzunehmen."