Zickzack-Kurs durch die Epochen
Ein KGB-Archivar und eine Londoner Anwältin mit ukrainischen Wurzeln machen sich in diesem hochspannenden Thriller auf die Spur des Kosakengoldes. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts soll es von ukrainischen Separatisten über Paris in die Tresore der Bank of England in London gelangt sein.
Schreiben und Ermitteln, so hat es einmal ein Schriftsteller formuliert, sei im Grunde ein- und dieselbe Tätigkeit. Das ist so weitläufig gesprochen, dass man es fast für eine Banalität halten könnte. Aber stößt man auf einen Text mit deutlich detektivischen Zügen, fällt die Zustimmung zu einer solchen Aussage nicht schwer.
Dieses schreibende Ermitteln hat natürlich einen Haken. Es ist recht eigentlich eine Täuschung. Denn der (oder die) da ermittelt, kennt das Ergebnis der Recherchen, so darf man unterstellen. Und wenn er (oder sie) die Leserschaft in einen spannungsreichen Text verstrickt, der tief in der Geschichte gräbt und die Gegenwart tangiert, weil von schier unermesslichen Summen die Rede ist – von geschätzten zweihundertsiebzig Billionen Pfund, um genau zu sein –, die als geradezu welterschütternde Erbschaft einzufordern sein könnten, baut an einem hochartifiziellen Konstrukt. An einem Kunstgebilde, das wie ein Trompe-l’œil-Bild dem betrachtenden Leser die Illusion verschafft, wahrhaft beteiligt zu sein an einer Wahrheitssuche, die in Wirklichkeit ihr Ende längst kennt.
Die Geschichte um das vermeintliche und bis heute legendäre "Kosakengold", das um die Mitte des 18. Jahrhunderts von ukrainischen Separatisten über Paris in die Tresore der Bank of England in London gelangt sein soll, verwandelt Anna Shevchenko in ein solches Kunstgebilde. Virtuos in der schrittweisen Inszenierung des Falles, schickt sie einen FSB (ehedem KGB)-Archivar und eine Londoner Anwältin (mit ukrainischen Wurzeln) auf die Spur des Kosakengoldes.
Während sie im Auftrag eines patriotisch gesinnten Klienten (tragische Liebesgeschichte eingeschlossen) unterwegs ist, um die "Erbschaft" in die Ukraine zu transferieren, versucht er, Soldempfänger in Russland, genau dies zu verhindern. Denn diese gewaltige Summe wäre nicht nur in der Lage, die Weltwirtschaft in Turbulenzen zu reißen, sie würde allemal auch ausreichen, die formal unabhängige Ukraine aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Russland zu lösen. Beide jagen den entscheidenden Dokumenten hinterher, die einen nach komplizierten Klauseln bestimmten Erbberechtigten in die Lage versetzen würden, sein immenses Erbe am Beginn des 21. Jahrhunderts anzutreten.
Im interkontinentalen Zickzack-Kurs verläuft diese Jagd, und die Thriller-Szenen aus der Gegenwart wechseln mit historischen Erkundungen verschiedener Epochen, die sich im Verlauf der Jagd zwangsläufig ergeben. Das ist so spannend wie erkenntnisreich (wer etwa wüsste, dass der Pariser Flughafen Orly den französisierten Namen eines ukrainischen Exilanten trägt), es ist verwirrend, aber auch scharfäugig (in der Abwägung gegenwärtiger politischer Interessen) und gibt sich, zum Ende hin, mit augenzwinkernder Ironie als das zu erkennen, was es ist: ein Kunstprodukt, Ausgeburt einer Fantasie, die zwar blüht, aber auch richtig hart zu arbeiten weiß.
Von Gregor Ziolkowski
Anna Shevchenko: Ein fatales Erbe
Aus dem Englischen von Sabine Hübner
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2011
350 Seiten, 19,99 Euro
Dieses schreibende Ermitteln hat natürlich einen Haken. Es ist recht eigentlich eine Täuschung. Denn der (oder die) da ermittelt, kennt das Ergebnis der Recherchen, so darf man unterstellen. Und wenn er (oder sie) die Leserschaft in einen spannungsreichen Text verstrickt, der tief in der Geschichte gräbt und die Gegenwart tangiert, weil von schier unermesslichen Summen die Rede ist – von geschätzten zweihundertsiebzig Billionen Pfund, um genau zu sein –, die als geradezu welterschütternde Erbschaft einzufordern sein könnten, baut an einem hochartifiziellen Konstrukt. An einem Kunstgebilde, das wie ein Trompe-l’œil-Bild dem betrachtenden Leser die Illusion verschafft, wahrhaft beteiligt zu sein an einer Wahrheitssuche, die in Wirklichkeit ihr Ende längst kennt.
Die Geschichte um das vermeintliche und bis heute legendäre "Kosakengold", das um die Mitte des 18. Jahrhunderts von ukrainischen Separatisten über Paris in die Tresore der Bank of England in London gelangt sein soll, verwandelt Anna Shevchenko in ein solches Kunstgebilde. Virtuos in der schrittweisen Inszenierung des Falles, schickt sie einen FSB (ehedem KGB)-Archivar und eine Londoner Anwältin (mit ukrainischen Wurzeln) auf die Spur des Kosakengoldes.
Während sie im Auftrag eines patriotisch gesinnten Klienten (tragische Liebesgeschichte eingeschlossen) unterwegs ist, um die "Erbschaft" in die Ukraine zu transferieren, versucht er, Soldempfänger in Russland, genau dies zu verhindern. Denn diese gewaltige Summe wäre nicht nur in der Lage, die Weltwirtschaft in Turbulenzen zu reißen, sie würde allemal auch ausreichen, die formal unabhängige Ukraine aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Russland zu lösen. Beide jagen den entscheidenden Dokumenten hinterher, die einen nach komplizierten Klauseln bestimmten Erbberechtigten in die Lage versetzen würden, sein immenses Erbe am Beginn des 21. Jahrhunderts anzutreten.
Im interkontinentalen Zickzack-Kurs verläuft diese Jagd, und die Thriller-Szenen aus der Gegenwart wechseln mit historischen Erkundungen verschiedener Epochen, die sich im Verlauf der Jagd zwangsläufig ergeben. Das ist so spannend wie erkenntnisreich (wer etwa wüsste, dass der Pariser Flughafen Orly den französisierten Namen eines ukrainischen Exilanten trägt), es ist verwirrend, aber auch scharfäugig (in der Abwägung gegenwärtiger politischer Interessen) und gibt sich, zum Ende hin, mit augenzwinkernder Ironie als das zu erkennen, was es ist: ein Kunstprodukt, Ausgeburt einer Fantasie, die zwar blüht, aber auch richtig hart zu arbeiten weiß.
Von Gregor Ziolkowski
Anna Shevchenko: Ein fatales Erbe
Aus dem Englischen von Sabine Hübner
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2011
350 Seiten, 19,99 Euro