Zeugnisse eines Schriftstellerlebens in der DDR

27.11.2009
"Was haben wir hier?", fragt Volker Braun im August 1977 in seinem Buch "Werktage" und beantwortet die auf die DDR-Verhältnisse zielende Frage, indem er einen Widerspruch benennt: "das land, in dem man am besten schreiben und am schwersten publizieren kann."
Unbeeindruckt von den in den Ebenen zu erwartenden "Mühen", von denen Brecht sprach, sehnte sich der junge Volker Braun nach Herausforderungen: "Kommt uns nicht mit Fertigem". Diesen Anspruch formulierte er, bevor das Modell in der Ebene zu stagnieren begann.

Am 2. Januar 1977 beginnt er mit der Arbeit an dem Tagebuch "Werktage". Den Titel trägt das Buch zu Recht, denn Werktage sind keine Feiertage und von der Arbeit eines Schriftstellers legt dieses an Brechts "Journal" erinnernde Diarium Zeugnis ab. Der Beginn der "Werktage" fällt ebenso in eine gesellschaftliche Umbruchphase wie ihr Ende. 1977, das war die Zeit, als man nach der Biermann-Ausbürgerung von 1976 die Literatur entmachtete und den "alten haß auf die intellektuellen" schürte. 13 Jahre später fragt Braun angesichts der Wende, was kommen wird: "noch ist alles möglich und offen […]. aber es bleibt eine geringe spanne zeit. dann werden wir den möglichkeiten nachblicken." Die Frage nach dem wirklich Gewollten wird zentral in seinen Texten, die nach 1989 entstanden sind.

Volker Braun hat mit "Werktage" einen fast tausendseitigen Nachruf auf die DDR geschrieben. Es ist keine Ab-, sondern eine Aufrechnung geworden. Doch zählt Braun nicht buchhalterisch zusammen, was unterm Strich geblieben ist. Er will vielmehr dem Vergessen durch Erinnern entgegen arbeiten. Das Faktische, auf das sich die Notizen gründen, machen dieses Buch zu einer Chronik und der Gestus, in dem es geschrieben ist, zu einem literarischen Zeugnis. Braun hat neben den Konflikten mit der Partei- und Staatsführung auch Träume, Reiseeindrücke und Überlegungen zur Literatur und Kunst notiert, Gespräche mit Kollegen und Freunden festgehalten sowie das Entstehen und den Werdegang der eigenen Texte dokumentiert.

In der DDR wurden Brauns Arbeiten massiv behindert: "jedes buch ein kampf, ein feilschen, ein tricksen." Doch davon lässt sich der 1939 in Dresden geborene Autor nicht einschüchtern und kritisiert weiterhin die gesellschaftlichen Zustände in der DDR. Das führt dazu, dass er auf Aufführungsgenehmigungen für Stücke wie "Guevara oder der Sonnenstaat", "Der große Frieden", "Dmitri", "Schmitten" oder "Lenins Tod" oft Jahre warten muss. Nicht anders ergeht es den Gedichtbänden und Prosaarbeiten – verabredete Lesungen mit dem Autor werden kurzfristig abgesagt, der "Hinze-Kunze-Roman" liegt jahrelang fertig vor und darf nicht erscheinen. Das Verbot kommentierend, beschreibt Braun die Situation im Land: "nicht nur die satirische prosa: auch die gedichte, nichts scheint mehr druckbar. Da ‚jetzt ‚alles darauf ankommt den sozialismus zu stärken‘, ist nur sein lob gelitten."

Loben auf Anweisung war Brauns Sache nicht. Davon legt dieses Buch beeindruckend Zeugnis ab. Man muss es zur Kenntnis nehmen, wenn man etwas über den Dichter Volker Braun, seine Arbeit, seine Hoffnungen wie seine Zweifel erfahren will und bekommt dabei Einblicke in jene DDR-Mechanismen, die ihr Scheitern begründeten.

Besprochen von Michael Opitz

Volker Braun: Werktage 1. Arbeitsbuch 1977–1989
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
996 Seiten, 29,80 Euro