Zerstörung mal ganz anders
Thomas Wrede ist Fotograf - und er hat eine ganz eigene Handschrift. Er konstruiert oder rekonstruiert Realität, um sie dann zu fotografieren. Thomas Wrede setzt Miniaturmodelle in die Landschaft. Der Betrachter weiß nicht, was er da sieht.
Als stünden diese Hochhäuser im Jordantal, als führte dieser Highway durch eine amerikanische Wüste. So sehen sie aus: die großformatigen, leuchtenden Landschaftsbilder des Fotografen Thomas Wrede. Aber was sehen wir hier wirklich? Wrede will uns verwirren:
"Ja, verwirren. Oder irritieren. Oder: die Wirklichkeit ... eine Frage der Perspektive!"
Seine jüngste Arbeit heißt "Nach der Flut". Ein Tsunami hat ein Dorf zerstört. Geblieben sind zerfetzte Häuser, Schutt und Baumstämme. Auf den ersten Blick erinnert das an dokumentarische Fotos aus dem Internet oder aus Magazinen, so wie sie sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben haben. Doch dieses Bild ist anders, diese Naturkatastrophe ist inszeniert: von Thomas Wrede. Geplant hat er das in seinem Atelier im Hafen von Münster.
Wir blättern durch sein Skizzenheft:
"Die Bilder entstehen über viele Wochen, Monate, wenn nicht sogar über Jahre."
Ohne präzise Planung geht gar nichts:
"Wenn ich in der Landschaft bin, weiß ich meist zu 80 Prozent schon, wie das Bild werden soll. Die Perspektive, die Höhe, der Standpunkt der Kamera, weil es halt draußen sehr schnell oft gehen muss. Das Wetter verändert sich, die Lichtsituation verändert sich und mit meinen kleinen Modellen bin ich halt extrem von der Wettersituation abhängig. Und je mehr ich dann schon weiß, wie es werden soll, umso sicherer ist es."
Sicher ist auch: Heute werden wir uns einen Bergsturz basteln. Ein Alpendorf wird überrollt von einer Schlammlawine.
"Also, ich arbeite ja mit diesen kleinen Modellen, die immer aus dieser Modellwelt kommen, der Eisenbahn, wo man ja diese idealtypischen Häuschen hat: Alpenhäuschen oder ein ganz kleines Siedlungshäuschen. Und mit diesen spiele ich und setze sie in die reale Landschaft und ja, und spiele mit den Proportionen."
Sein Atelier ist voll mit allem, was das Faller- oder Märklin-Herz begehrt. Alles im Internet ersteigert.
"Ich habe hier verschiedene Hochhäuser, die gerade in Vorbereitung sind. Und die kommen halt in ganz unterschiedlichen Zuständen hier an. Manche sind zerstört, manche sind total zerfallen. Andere sind beklebt mit irgendwelchen Aufklebern, wo Werbung aus der entsprechenden Zeit drauf steht wie 4711, oder Nordmende oder Sachen, die es überhaupt nicht mehr gibt. Modehaus Bengel. Und dann muss ich halt auch schauen, wie kriege ich das einheitlich zusammen."
Damit die Plastikhäuser realistisch wirken, malt er sie mit einem Pinsel an, trägt Staub auf und ein bisschen Schmutz. Ein Sandkorn kann entscheidend sein.
Jetzt suchen wir uns unser Alpendorf zusammen, überlegen, welchen Grad der Zerstörung wollen wir?
"So, das sind erst mal die Häuser, die zur Siedlung gehören. Vielleicht noch ein Wohnwagen. (lacht) Ja, und dann brauche ich noch Kleinkram: Türen, Häuser, Baracken, Hölzer, Stelzen, ein Toilettenhäuschen, ein Kassenhäuschen, eine Leiter, ein Jeep, der auch schon ziemlich zertrümmert ist." (kramt) "
Die Modelle und seine Kamera wiegen zusammen 20 bis 40 Kilogramm.
""Hier ist der Kamerakoffer. Und hier ist das gute Stück: eine Plattenkamera: vier mal fünf Inch."
Der Hafen von Münster: An diesem Ende des Hafenbeckens wurde einst Kies oder Getreide gelöscht. Ein paar Sandhaufen sind geblieben - etwa drei Meter hoch. In der vergangenen Nacht hat es geregnet. Eine Gebirgslandschaft ist entstanden: mit Abbruchkanten und Geröllbergen - en miniature natürlich.
"Ich muss jetzt schauen, dass ich die Häuser in die Landschaft integriere, als wenn sie seit Jahrzehnten dort gestanden haben und sich mit der Landschaft verbinde und auch glaubwürdig Abstand zueinander haben und auch die Größenverhältnisse entsprechend stimmen."
Und damit auch der Bergssturz und seine zerstörerische Wirkung glaubwürdig rüber kommen, platzieren wir hier einen zerfledderten Sonnenschirm und dort einen demolierten Tisch.
"Ob das jetzt alles so bleibt, das weiß ich jetzt noch nicht. Das wird sich im Laufe des Prozesses ergeben. Hier haben wir eine Tür mit einer Treppe...
Das könnte hier ganz gut passen. Und der Bauwagen - der hat sich hier runter gekullert - so passt. Ja, ich denke, so weit ist es erst mal arrangiert. Jetzt wird die Kamera aufgebaut. "
Wrede fotografiert mit einer analogen Plattenkamera. Nur mit der kann er jene Tiefenschärfe erreichen, die er braucht. Später wird er die Fotos im Rechner bearbeiten und als Großformate drucken lassen. Aber vorher wälzt er sich im Dreck. Thomas Wrede arbeitet meist vom Boden aus, manchmal zwei Stunden, manchmal drei. Das schwarze Tuch bedeckt Kopf und Kamera. Thomas Wrede wirkt so wie aus der Zeit gefallen.
Obwohl es auf die Sekunde ankommt. Nur eine Windböe – und schon kann ihm sein inszenierter Bergsturz um die Ohren fliegen.
"Das ist halt das Verrückte ..."
... dass er Modell- und Landschaftsfotografie verschmilzt: empfindliche Modelle in unberechenbarer Natur.
"Das beides ist fast unmöglich, aber dieses Unmögliche füge ich zusammen."
Das Idyllische in der Katastrophe, das Katastrophale in der Idylle – alles wird eins in den Bildern von Thomas Wrede. Oder auch nicht. Denn obwohl er transparent macht, wie seine Bilder entstehen - wenn wir sie sehen, wissen wir trotzdem nicht, was wir da sehen.
"Ja, verwirren. Oder irritieren. Oder: die Wirklichkeit ... eine Frage der Perspektive!"
Seine jüngste Arbeit heißt "Nach der Flut". Ein Tsunami hat ein Dorf zerstört. Geblieben sind zerfetzte Häuser, Schutt und Baumstämme. Auf den ersten Blick erinnert das an dokumentarische Fotos aus dem Internet oder aus Magazinen, so wie sie sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben haben. Doch dieses Bild ist anders, diese Naturkatastrophe ist inszeniert: von Thomas Wrede. Geplant hat er das in seinem Atelier im Hafen von Münster.
Wir blättern durch sein Skizzenheft:
"Die Bilder entstehen über viele Wochen, Monate, wenn nicht sogar über Jahre."
Ohne präzise Planung geht gar nichts:
"Wenn ich in der Landschaft bin, weiß ich meist zu 80 Prozent schon, wie das Bild werden soll. Die Perspektive, die Höhe, der Standpunkt der Kamera, weil es halt draußen sehr schnell oft gehen muss. Das Wetter verändert sich, die Lichtsituation verändert sich und mit meinen kleinen Modellen bin ich halt extrem von der Wettersituation abhängig. Und je mehr ich dann schon weiß, wie es werden soll, umso sicherer ist es."
Sicher ist auch: Heute werden wir uns einen Bergsturz basteln. Ein Alpendorf wird überrollt von einer Schlammlawine.
"Also, ich arbeite ja mit diesen kleinen Modellen, die immer aus dieser Modellwelt kommen, der Eisenbahn, wo man ja diese idealtypischen Häuschen hat: Alpenhäuschen oder ein ganz kleines Siedlungshäuschen. Und mit diesen spiele ich und setze sie in die reale Landschaft und ja, und spiele mit den Proportionen."
Sein Atelier ist voll mit allem, was das Faller- oder Märklin-Herz begehrt. Alles im Internet ersteigert.
"Ich habe hier verschiedene Hochhäuser, die gerade in Vorbereitung sind. Und die kommen halt in ganz unterschiedlichen Zuständen hier an. Manche sind zerstört, manche sind total zerfallen. Andere sind beklebt mit irgendwelchen Aufklebern, wo Werbung aus der entsprechenden Zeit drauf steht wie 4711, oder Nordmende oder Sachen, die es überhaupt nicht mehr gibt. Modehaus Bengel. Und dann muss ich halt auch schauen, wie kriege ich das einheitlich zusammen."
Damit die Plastikhäuser realistisch wirken, malt er sie mit einem Pinsel an, trägt Staub auf und ein bisschen Schmutz. Ein Sandkorn kann entscheidend sein.
Jetzt suchen wir uns unser Alpendorf zusammen, überlegen, welchen Grad der Zerstörung wollen wir?
"So, das sind erst mal die Häuser, die zur Siedlung gehören. Vielleicht noch ein Wohnwagen. (lacht) Ja, und dann brauche ich noch Kleinkram: Türen, Häuser, Baracken, Hölzer, Stelzen, ein Toilettenhäuschen, ein Kassenhäuschen, eine Leiter, ein Jeep, der auch schon ziemlich zertrümmert ist." (kramt) "
Die Modelle und seine Kamera wiegen zusammen 20 bis 40 Kilogramm.
""Hier ist der Kamerakoffer. Und hier ist das gute Stück: eine Plattenkamera: vier mal fünf Inch."
Der Hafen von Münster: An diesem Ende des Hafenbeckens wurde einst Kies oder Getreide gelöscht. Ein paar Sandhaufen sind geblieben - etwa drei Meter hoch. In der vergangenen Nacht hat es geregnet. Eine Gebirgslandschaft ist entstanden: mit Abbruchkanten und Geröllbergen - en miniature natürlich.
"Ich muss jetzt schauen, dass ich die Häuser in die Landschaft integriere, als wenn sie seit Jahrzehnten dort gestanden haben und sich mit der Landschaft verbinde und auch glaubwürdig Abstand zueinander haben und auch die Größenverhältnisse entsprechend stimmen."
Und damit auch der Bergssturz und seine zerstörerische Wirkung glaubwürdig rüber kommen, platzieren wir hier einen zerfledderten Sonnenschirm und dort einen demolierten Tisch.
"Ob das jetzt alles so bleibt, das weiß ich jetzt noch nicht. Das wird sich im Laufe des Prozesses ergeben. Hier haben wir eine Tür mit einer Treppe...
Das könnte hier ganz gut passen. Und der Bauwagen - der hat sich hier runter gekullert - so passt. Ja, ich denke, so weit ist es erst mal arrangiert. Jetzt wird die Kamera aufgebaut. "
Wrede fotografiert mit einer analogen Plattenkamera. Nur mit der kann er jene Tiefenschärfe erreichen, die er braucht. Später wird er die Fotos im Rechner bearbeiten und als Großformate drucken lassen. Aber vorher wälzt er sich im Dreck. Thomas Wrede arbeitet meist vom Boden aus, manchmal zwei Stunden, manchmal drei. Das schwarze Tuch bedeckt Kopf und Kamera. Thomas Wrede wirkt so wie aus der Zeit gefallen.
Obwohl es auf die Sekunde ankommt. Nur eine Windböe – und schon kann ihm sein inszenierter Bergsturz um die Ohren fliegen.
"Das ist halt das Verrückte ..."
... dass er Modell- und Landschaftsfotografie verschmilzt: empfindliche Modelle in unberechenbarer Natur.
"Das beides ist fast unmöglich, aber dieses Unmögliche füge ich zusammen."
Das Idyllische in der Katastrophe, das Katastrophale in der Idylle – alles wird eins in den Bildern von Thomas Wrede. Oder auch nicht. Denn obwohl er transparent macht, wie seine Bilder entstehen - wenn wir sie sehen, wissen wir trotzdem nicht, was wir da sehen.

Ein echter See, Modellhäuser - oder hat hier ein Tsunami für Zerstörung gesorgt?© Thomas Wrede, Wagner + Partner

Der Fotograf Thomas Wrede spielt gerne mit der Realität.© Thomas Schmitz
Service-Hinweis: Vom 26. April bis 1. Juni 2013 ist Thomas Wrede in einer neuen Ausstellung zu sehen – und zwar in der Galerie "Wagner und Partner" am Strausberger Platz in Berlin. Der Titel der Ausstellung: "Katastrophe und Idylle"