Zerstörte Kulturstätten in Syrien

"Von Wiederaufbau kann keine Rede sein"

Der 2000 Jahre alte Triumphbogen in Palmyra, den IS-Terroristen im vergangenen Jahr gesprengt haben.
Der 2000 Jahre alte Triumphbogen in Palmyra: IS-Terroristen haben das berühmte Bauwerk gesprengt. © AFP / STR
Markus Hilgert im Gespräch mit Dieter Kassel  · 02.06.2016
Hunderte Kulturstätten sind in Syrien durch den Krieg zerstört worden. Experten in Berlin beraten jetzt, wie man das Ausmaß der Schäden eingrenzen kann. Entsprechende Experten sollen im Land ausgebildet werden, sagt Markus Hilgert, der Direktor des Pergamonmuseums.
Palmyra ist zum Symbol geworden für die Zerstörung von antiken Stätten durch die Terrormiliz IS. Doch die Oasenstadt ist längst nicht der einzige Fall, im ganz Syrien sind hunderte Kulturgüter betroffen. Das Ausmaß der Schäden zu erfassen und Notsicherungsmaßnahmen zu koordinieren, ist Ziel eines heute beginnenden Expertentreffens, zu dem die UNESCO und das Auswärtige Amt in Berlin geladen haben. Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums des Pergamonmuseums in Berlin, ist Mitorganisator und hat im Deutschlandradio Kultur erklärt, wo die Schwerpunkte liegen.
Natürlich müsse in Syrien in erster Linie die humanitäre Katastrophe gelindert und sicher gestellt werden, dass die Menschen sich versorgen können, sagt Hilgert. Dort, wo dies jedoch der Fall sei, müssten zum einen die Schäden gesichtet, zum anderen aber auch Bauwerke gesichert werden. "Wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass es nicht nur um archäologische Stätten geht, sondern vielfach auch um Bibliotheken, um Moscheen, um Kirchen."
Ein Wiederaufbau zerstörter Kulturgüter ist dem Museumsdirektor hingegen "sicher nicht das erste Mittel der Wahl": "Man würde hier zunächst einmal eine Schadensaufnahme durchzuführen, um dann zu überlegen wie man restauratorische, konservatorische Maßnahmen anwenden kann, um weitere Schaden von der Ruinenstädte abzuwenden." Von Wiederaufbau könne hier aber sicher keine Rede sein.

Ausbildung von Experten in Syrien

Zentral sei außerdem, die Ausbildung von Experten in Syrien zu unterstützen, so Hilgert: "Das ist meiner Meinung nach sogar das wichtigste Thema, das wir momentan zu behandeln haben."
Diejenigen, die in fünf bis zehn Jahren den kulturellen Wiederaufbau in dem Land vorantreiben sollten, müssten heute ausgebildet werden. Deutsche Institutionen wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Deutsche Archäologische Institut oder auch das Auswärtige Amt könnten hier wichtige Hilfe leisten.
"Unbedingt" müssten sich die Experten während ihres dreitägigen Treffens auch mit dem Handel illegaler Kulturgüter befassen. Es sei erforderlich, über Präventiv- und Schutzmaßnahmen zu sprechen "und natürlich auch darüber nachzudenken, was Marktstaaten wie Deutschland oder andere Länder tun können, um den illegalen Handel mit Kulturgütern einzudämmen."

Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Man muss einen Schritt nach dem anderen machen, wenn es um die internationalen Bemühungen um das Kulturerbe in Syrien geht. Da steht gerade angesichts der aktuellen Lage Restaurierung nun nicht am Anfang und deshalb geht es bei einem heute beginnenden Expertentreffen zum Schutz und Erhalt dieses Kulturerbes, zu dem die UNESCO und das Auswärtige Amt eingeladen haben, deshalb geht es da vor allem um Dokumentation, Schadensbewertung und Planung erster Notsicherungsmaßnahmen. Der Direktor des Vorderasiatischen Museums, des Pergamonmuseums in Berlin, Markus Hilgert ist Mitorganisator dieses Treffens. Schönen guten Morgen, Herr Hilgert!
Markus Hilgert: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Öffentlich bekannt geworden sind ja vor allem die Zerstörungen in der antiken Stadt Palmyra, darüber, nehme ich an, weiß man relativ viel inzwischen. Aber wie viel wissen Sie und Ihre Kollegen denn insgesamt über den Zustand der Kulturstätten? Gibt es da so eine Art Landkarte der Zerstörungen?
Hilgert: Es gibt tatsächlich Versuche, die Schäden zu kartieren. Und was wir sehen, ist, dass das Ausmaß des Schadens tatsächlich gigantisch ist. Syrien ist ja ein Land, was sehr viele Kulturstätten beherbergt, mehrere Tausend, und wir dürfen nicht vergessen, dass der Konflikt in Syrien ja schon mehrere Jahre andauert. Und was 2011 begonnen hat mit der systematischen Plünderung von Ruinenstätten, das hat sich fortgesetzt in den letzten Jahren mit Zerstörungen durch Kampfhandlungen, aber eben auch durch ganz mutwillige Zerstörungen, wie sie der sogenannte Islamische Staat verursacht hat.
Kassel: Was kann man denn zumindest in den Gebieten, die nicht mehr in der Hand des IS sind, jetzt schon tun?
Hilgert: Ich denke, dass vor allen Dingen natürlich zunächst einmal die humanitäre Katastrophe gelindert werden muss. Die Menschen müssen selbst leben und für sich sorgen können, bevor sie sich um Kulturgüter kümmern können. Aber dort, wo das der Fall ist, wird es jetzt vor allen Dingen darum gehen zu verstehen, was eigentlich zerstört worden ist, worin die wichtigsten Aufgaben bestehen, jetzt auch der Sicherung von Ruinenstätten. Wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass es nicht nur um archäologische Stätten geht, sondern vielfach auch um Bibliotheken, um Moscheen, um Kirchen. Und all das muss gesichert werden und wenn es gesichert ist, dann muss man sich sehr genau überlegen, wie man dann weiter vorgeht, um Stätten eben auch wieder aufbauen zu können.

Wiederaufbau "nicht erstes Mittel der Wahl"

Kassel: Das ist zum Teil doch auch die Frage, ob man das wirklich kann natürlich einerseits, aber ob man das in jedem Fall komplett will. Nehmen wir zum Beispiel noch einmal Palmyra, weil da glaube ich jeder auch einen Begriff und ein Bild hat: Ist das tatsächlich sinnvoll und möglich, da diese komplette antike Stadt, dieses Weltkulturerbe wieder aufzubauen?
Hilgert: Sie haben völlig recht, man muss sehr genau trennen, über was man spricht. Und im Falle von archäologischen Stätten ist ein Wiederaufbau, wie man sich das vielleicht für eine Kirche oder eine Moschee vorstellen könnte, sicher nicht das erste Mittel der Wahl. Sondern man würde hier versuchen, zunächst einmal eine Schadensaufnahme durchzuführen und dann zu überlegen, wie man restauratorische, konservatorische Maßnahmen anwenden kann, um weiteren Schaden von der Ruinenstätte abzuwenden, und dann gegebenenfalls eben auch das, was zerstört worden ist, weitgehend zu restaurieren. Aber von Wiederaufbau kann sicher keine Rede sein.
Kassel: Das ist ja eine Mammutaufgabe, die da in den nächsten Jahren, nicht auszuschließen ist auch Jahrzehnten in einigen Fällen, auf die Leute, die es machen müssen, zukommt. Und das ist das Stichwort, die Leute, die es machen müssen: Geht es auf dieser Tagung auch um Hilfe, vielleicht sogar Ausbildungshilfe für Experten in Syrien?
Hilgert: Absolut, das ist meines Erachtens sogar das wichtigste Thema, was wir im Moment zu behandeln haben. Denn Sie sprechen zu Recht davon, dass es sich hier um eine sehr große, um eine langfristig angelegte Aufgabe handelt. Und diejenigen Generationen, die in fünf, in zehn Jahren den Wiederaufbau der kulturellen Infrastruktur in Syrien vorantreiben sollen, die müssen heute ausgebildet werden. Deswegen ist das Thema Kapazitätsaufbau, also Capacity Building, ein so ganz zentrales. Und das ist ja auch der Punkt, wo beispielsweise deutsche Institutionen wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wie das Deutsche Archäologische Institut, aber auch das Auswärtige Amt wichtige Hilfe leisten können, denn wir verfügen über die Kapazitäten und Kompetenzen, um hier Weiter- und Ausbildungsmaßnahmen durchzuführen. Und damit muss man heute beginnen, damit wir in fünf Jahren so weit sind, tatsächlich auch vor Ort arbeiten zu können.

Schutz gegen Handel mit illegalgen Kulturgütern

Kassel: Der sogenannte Islamische Staat hat ja Kulturstätten nicht nur zerstört, er hat vor allem auch Handel betrieben mit Kulturgütern und tut das immer noch, andere auch. Geht es auch um die Eindämmung des illegalen Handels im Moment?
Hilgert: Das muss unbedingt auch Thema dieser Tagung sein, denn der illegale Handel mit Kulturgütern, die Plünderung von Kulturstätten ist ja ein Symptom, wenn Sie so wollen, der Sicherheitssituation, aber auch der kulturellen Katastrophe. Überall dort, wo wirtschaftliche Not mit politischer Instabilität zusammenkommt, überall dort spielt die Plünderung von Ruinenstätten eine große, bedenkliche Rolle. Und deswegen ist es so notwendig, auch über präventive Maßnahmen, über Schutzmaßnahmen nachzudenken und natürlich auch darüber nachzudenken, was Marktstaaten wie Deutschland oder andere Länder tun können, um den illegalen Handel mit Kulturgütern einzudämmen.
Kassel: Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hermann Parzinger hat die Zerstörung von Kulturstätten als Kriegsverbrechen bezeichnet. Kann man denn die Täter in irgendeiner Form zur Verantwortung ziehen?
Hilgert: Ja, durchaus. Es gibt ja inzwischen erste Präzedenzfälle dafür, sowohl im Zusammenhang mit den Kulturgutzerstörungen in Mali als auch im Zusammenhang mit Kulturgutzerstörungen in Jugoslawien in den 1990er-Jahren. Das geht natürlich nur vor dem Internationalen Gerichtshof. Aber ich glaube, ganz entscheidend ist zu verstehen, dass mit der Zerstörung von Kulturgut eben auch grundlegende Rechte des Menschen angegriffen werden, nämlich das Recht auf kulturelle Entfaltung, auf kulturelle Orientierung. Und deswegen ist es so wichtig, dass für solche Verbrechen tatsächlich auch strafrechtlich relevante Konsequenzen gezogen werden. Denn die Zerstörung von Kultur ist kein Kavaliersdelikt, das ist etwas, was den Menschen ganz zentral betrifft, und muss als solches dann auch geahndet werden.
Kassel: Markus Hilgert, der Direktor des Vorderasiatischen Museums, des Pergamonmuseums in Berlin und einer der Mitorganisatoren eines internationalen Expertentreffens, bei dem es ab heute um den Schutz und den Erhalt des syrischen Kulturerbes geht. Herr Hilgert, ich wünsche Ihnen für dieses Treffen, vor allen Dingen aber für die Zeit, die danach kommt, viel Erfolg und danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Hilgert: Ganz herzlichen Dank, Wiederhören!
Kassel: Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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