Zerstörerische Naturereignisse

Der Historiker François Walter blickt mit "Katastrophen" auf viele Naturereignisse und ihre Bedeutung für die Kulturgeschichte zurück. Das Buch reicht vom 16. Jahrhundert bis zur unmittelbaren Gegenwart.
"Katastrophen kennt allein der Mensch, wenn er sie überlebt." Dieses von Max Frisch stammende Zitat findet sich in François Walters Kulturgeschichte der Katastrophen. Ursprünglich gehört das Wort "Katastrophe" zur Welt der Bühne, wo es das unheilvolle Ende der dramatischen Handlung andeutet.

Dass sich Naturkatastrophen plötzlich ereignen können, weiß der Mensch seit Langem, aber erst seit neuerer Zeit vermag er auch zu erklären, was sich ereignet, wenn eine Flutwelle das Land überspült oder ein Vulkan ausbricht. Im 16. Jahrhundert blieben solche katastrophischen Ereignisse für die Menschen ein Rätsel.

Während es heute die Wissenschaften sind, die Antworten geben, kam damals allein Gottes allmächtiges und unergründliches Wirken als Ursache in Frage. Ausgehend von Psalm 104 ("Du hast das Erdreich gegründet auf festem Boden, dass es bleibt immer und ewiglich.") glaubten die Anhänger der lutherischen Kirche, dass es nur Gottes Wille sein könne, wenn er die Erde beben ließ.

Zugleich wurden solche Naturereignisse auch als Zeichen gedeutet, mit denen Gott die Menschen straft, wenn sie nicht an die göttlichen Gebote halten. In dieser Deutung erscheint die Katastrophe als ein Akt der Vorsehung. Doch anders als die protestantische machte die katholische Kirche für Naturkatastrophen nicht Gott, sondern teuflische Kräfte verantwortlich. "Da Gott das Böse nicht wollen kann, kann es nur den Mächten des Todes (den bösen Geistern) angelastet werden."

Walter hat seine gut lesbare und auf viele Naturereignisse eingehende Kulturgeschichte der Katastrophe in drei Kapitel gegliedert. Während das erste Kapitel vom 16. Jahrhundert bis zum Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 reicht, setzt das Zweite Mitte des 18. Jahrhunderts ein und umfasst den Zeitraum bis zum Ersten Weltkrieg. Die sich daran anschließende Zeit, sie reicht bis in die unmittelbare Gegenwart, wird im abschließenden dritten Kapitel behandelt.

Die Gliederung macht deutlich, dass sich Walter nicht allein auf Naturkatastrophen beschränkt, sondern er geht auch auf jene Katastrophen ein, für die der "Mensch voll verantwortlich" ist. Neben den beiden verheerenden Weltkriegen und dem Holocaust verweist der Autor auch auf das Reaktorunglück von Tschernobyl und den Chemieskandal von Seveso. Dabei interessieren ihn sowohl bei den Naturkatastrophen als auch bei den Katastrophen, die nicht unvorhersehbar über den Menschen hereinbrachen, die Formen der Katastrophenbewältigung, die es zu unterschiedlichen Zeiten gegeben hat.

Mit "modischem Katastrophismus" hat diese sachlich fundierte Kulturgeschichte, die sich auch auf Beispiele aus der Literatur- und Kulturgeschichte einlässt, nichts zu tun. Dass in diesen Passagen manchmal nur summarisch aufgelistet und weniger analytisch verfahren wird, hätte der Autor gewiss anders lösen können. Insgesamt aber ist dieses Buch angesichts eines Vulkanausbruchs, der ganz Europa eine Woche lang in einen Ausnahmezustand versetzte, von einer Aktualität, die so nicht zu erwarten war.

Besprochen von Michael Opitz

François Walter: Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis ins 21. Jahrhundert
aus dem Französischen übersetzt von Doris Butz-Striebel und Trésy Lejoly, Reclam Verlag, Stuttgart 2010, 384 Seiten, 29,95 Euro.