Zerrüttung mit spirituellem Überbau

Von Michael Laages · 17.01.2013
Ein Mann, dessen Ehe am Ende ist und dessen Kinder umgekommen sind, steht im Zentrum von Ibsens "Baumeister Solness". Nach einem Streitgespräch mit Gott wird ihm ein magisches Mädchen beigesellt, das ein Racheengel sein könnte. Mit dem rätselhaften Stück bewährt sich Burghart Klaußner einmal mehr als Schauspiel-Regisseur.
Nur knapp schrammte er ja am Auslands-Oscar vorbei vor zwei Jahren: Als einer der Protagonisten in Michael Hanekes vielfach ausgezeichnetem Film "Das weiße Band". Aber auch andere Filmpreise kann der Schauspieler Burghart Klaußner mittlerweile sammeln; und im vorigen November kam auch noch der deutsche Theaterpreis "Faust" hinzu – als bester Darsteller und für den "Willy Loman" in Wilfried Minks' Inszenierung von Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" am kleinen, feinen St.-Pauli-Theater in Hamburg. An den Hamburger Kammerspielen hatte ja vor Jahren Klaußners Karriere als Regisseur begonnen, in Bochum hatte er sie fortgesetzt – und jetzt zeigt er am Staatsschauspiel in Dresden den eigenen Blick auf Henrik Ibsens "Baumeister Solness".

Gern wird das Stück als Drama der Generationen gesehen – was nicht recht stimmen kann bei genauerem Blick auf die Zeit-Angaben im Text selber. Der Karriere-Kampf Alt gegen Jung ist ein Nebenschauplatz; tatsächlich wird alles dominiert und in Gang gehalten von den schmerzhaften Traumata, denen der erfolgreiche Baumeister und Architekt Halvard Solness und Ehefrau Aline ausgesetzt waren. Das Haus von Alines Eltern brannte einst ab, und darin wurde alles zerstört, woran Alines Herz hing – vor allem die Puppen, die die offenbar stark beziehungsgestörte Frau immer schon mehr liebte als die beiden Kinder, die sie nach der Brandkatastrophe verlor: durch vergiftete Muttermilch. Der Gatte hingegen gibt sich selber die Schuld am Brand – weil er einen Defekt des Hauses kannte, aber nicht reparierte; und weil er im tiefsten Innern wollte, dass das Haus verschwindet, um Platz zu schaffen für kommerziell einträgliche Wohn-Parzellen. Einmal vor zehn Jahren wagte er (dem eigentlich schwindlig wird in größerer Höhe) sich auf die Spitze eines Baugerüsts: für einen Kirchturm. Oben führte er ein Streitgespräch mit Gott, über den Brand, über die toten Kinder, Sühne und Schuld.

Da war ein Singen in der Luft; und ein zwölfjähriges Mädchen hat zugehört und Solness dabei beobachtet; beim Richtfest danach kam es zu einer Begegnung der beiden, von der niemand weiß, ob sie nur spirituell oder doch erotisch grundiert war. Dieses Mädchen taucht jetzt wieder auf und fordert etwas ein, was Solness ihr damals angeblich versprach: ein Königreich, ein Schloss, das Paradies. Oder bloß Luftschlösser.

Konsequent unklar changiert Ibsens Text zwischen diesen beiden Polen – dem Ehe-Desaster voller Leere, Schmerz und Schuldbewusstsein und dem Gottsucher-Drama, rätselhaft und sehr jenseitig aufgeladen durch das magische Mädchen, das zwar Hilde Wangel heißt und eine Biografie hat, aber auch der Teufel persönlich sein könnte, als Rache-Engel ausstaffiert.

Dieses Undurchsichtige forciert Klaußner in der überaus dichten, zeitlich eng und knapp gehaltenen Inszenierung. In Echtzeit (also ohne Pause) braucht sie gerade mal 90 Minuten; es geht irrsinnig schnell voran, und wer nicht recht aufpasst in den ersten 20 Minuten (als es zwischen Lars Jung, Matthias Luckey und Christine-Maria Günther um Beziehungen und Abhängigkeiten im Architekturbüro des Baumeisters geht), der wird Schwierigkeiten bekommen im weiteren Fortgang der Handlung. Die jedoch zieht mit der Zeit immer engere Kreise um den Hausherrn Halvard, den Holger Hübner als echtes Ekel und rechten Kotzbrocken zeichnen darf; so sehr hat er sich in die eigene Psychose verstrickt, dass vernünftigerweise niemand mit ihm leben, geschweige denn arbeiten kann. Ines-Marie Westernströer, das magische Mädchen von außen, knackt letztlich vor allem die Schale dieses Finsterlings – und darum wirft er sich zum bösen Ende hin in Zimmermannskluft wie ehedem Manfred Krug in "Die Spur der Steine", und er klettert noch einmal hoch aufs Gerüst, wieder, wie damals, um mit Gott zu streiten – und um jetzt planmäßig abzustürzen. Das Mädchen hat es (vielleicht) so gewollt. Als Rachestück lässt sich das Stück nämlich auch lesen.

Aber jenseits von Mädchen und Mann ist einmal mehr Christine Hoppe der Diamant im Dresdner Ensemble – wann je war die an sich doch ziemlich undankbare Rolle der fast schon lebendig-entseelten Gattin Aline derart geformt und geführt wie jetzt hier von ihr! Um sie kreist nicht nur der immer zur rechten Zeit auftauchende Hausarzt (Horst Mendroch, Gast aus Düsseldorf im Dresdner Ensemble), um sie kreist womöglich das ganze Stück.

Jens Kilian hat das Kleine Dresdner Haus effektiv gefüllt: mit dem zweigeschossigen Wohnbüro zu Beginn, in Sphären getrennt per Schiebetür; später mit dem Neubau hinter Plastikplänen, an denen herab ein Holzblock rauscht als stürzender Solness ... nichts ist spektakulär im Übermaß geraten an diesem Abend, Klaußner will keinen neuen Solness erfinden. Aber ihm gelingt der äußerst genaue Blick auf eine Zerrüttung mit spirituellem Überbau: in einem rätselhaften, starken Stück.

Links bei dradio.de:

Komik der Verzweiflung
Henrik Ibsens "Ein Volksfeind" am Gorki Theater in Berlin


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