Zerrissen von Schuldgefühlen
Joseph Zoderer, 1935 in Meran geboren und 2001 mit der Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung ausgezeichnet, ist einer der wenigen Autoren aus Südtirol, die es zu europäischer Anerkennung gebracht haben. In Zoderers neuem Roman „Die Farben der Grausamkeit“ geht es um Liebe und Leidenschaft – und um die innere Zerrissenheit seines Protagonisten.
Viele Jahre gehörte der 1935 in Meran geborene Joseph Zoderer zu den wenigen Südtiroler Schriftstellern, die – mit Büchern wie „Die Walsche“ oder „Das Glück beim Händewaschen“ – über ihre Heimat hinaus Bekanntheit erlangten. Das liegt einige Zeit zurück, und so darf dieses Buch auch als Versuch gelten, einem ein wenig in Vergessenheit geratenen Autor wieder die gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen: „Die Farben der Grausamkeit“ ist ein ambitionierter, in den 80er-Jahren spielender Roman, der von den emotionalen Irrungen und Wirrungen eines nicht mehr ganz jungen Mannes handelt.
Richard arbeitet als Redakteur bei einer Rundfunkstation und beschließt seine innere Unrast dadurch zu beseitigen, dass er sich mit seiner Frau Selma und den Kindern Rik und Tom aus der Stadt zurückzieht und ein abgelegenes, abbruchreifes Waldhaus in den Bergen wieder herrichtet. In diesem „Bollwerk der Geborgenheit“ will er seine Geliebte Ursula, die er als Praktikantin im Sender kennenlernte, vergessen. Lange Zeit führte er mit ihr ein „Doppelleben“ – im Bewusstsein, alle moralischen Prinzipien über Bord zu werfen, und zugleich in der Gewissheit, nicht anders handeln zu können. Erst als sich Ursula in einen anderen verliebt, schien die Möglichkeit des Ausbruchs gegeben – ein „Freispruch“, der sich freilich bald als „Fallbeil“ erweist.
Zoderer schildert einen spröden Helden, der sein Leben permanent inszeniert. Selbstbeobachtungen, die im Text kursiv abgesetzt sind, überlagern die Erlebnisse und geben dem Buch einen kühlen, spröden Ton. Von Liebe und großen Gefühlen ist viel die Rede – in einer Sprache, die unverstellter Sinnlichkeit zu misstrauen scheint. In diesem Zwiespalt liegt der größte Reiz des Romans: Richard ist eine zerrissene, von Schuldgefühlen heimgesuchte Figur, die sich verzweifelt bemüht, diesen Zustand zu überwinden. Vergeblich – denn als er zum Auslandskorrespondenten befördert wird und fortan zwischen den Metropolen Europas pendelt, entfernt er sich mehr und mehr von seinem Waldrefugium. Zu seinen Stationen zählt auch Berlin, wo er miterlebt, wie die Mauer fällt und wo er – der Leser ahnt es früh – Ursula wiedertrifft. Ihre Liebe flammt leidenschaftlicher denn je auf und stürzt alle Beteiligten in ein kaum zu bändigendes Chaos.
Zoderers in seiner Besessenheit beeindruckender Roman arbeitet – manchmal zu – stark mit Symbolen der inneren und äußeren Mauern und zieht sprachlich die unterschiedlichsten Register, um den „Grausamkeitsspezialisten“ Richard in seinem Dilemma zu zeigen. Mal bleibt es bei Banalitäten, dann wieder gelingen glänzende Bilder: „…an manchen Tagen kannst du in deine Seele hineingreifen wie in ein tiefes Astloch.“
Besprochen von Rainer Moritz
Joseph Zoderer: Die Farben der Grausamkeit
Haymon Verlag, Innsbruck 2011
334 Seiten, 19,90 Euro
Richard arbeitet als Redakteur bei einer Rundfunkstation und beschließt seine innere Unrast dadurch zu beseitigen, dass er sich mit seiner Frau Selma und den Kindern Rik und Tom aus der Stadt zurückzieht und ein abgelegenes, abbruchreifes Waldhaus in den Bergen wieder herrichtet. In diesem „Bollwerk der Geborgenheit“ will er seine Geliebte Ursula, die er als Praktikantin im Sender kennenlernte, vergessen. Lange Zeit führte er mit ihr ein „Doppelleben“ – im Bewusstsein, alle moralischen Prinzipien über Bord zu werfen, und zugleich in der Gewissheit, nicht anders handeln zu können. Erst als sich Ursula in einen anderen verliebt, schien die Möglichkeit des Ausbruchs gegeben – ein „Freispruch“, der sich freilich bald als „Fallbeil“ erweist.
Zoderer schildert einen spröden Helden, der sein Leben permanent inszeniert. Selbstbeobachtungen, die im Text kursiv abgesetzt sind, überlagern die Erlebnisse und geben dem Buch einen kühlen, spröden Ton. Von Liebe und großen Gefühlen ist viel die Rede – in einer Sprache, die unverstellter Sinnlichkeit zu misstrauen scheint. In diesem Zwiespalt liegt der größte Reiz des Romans: Richard ist eine zerrissene, von Schuldgefühlen heimgesuchte Figur, die sich verzweifelt bemüht, diesen Zustand zu überwinden. Vergeblich – denn als er zum Auslandskorrespondenten befördert wird und fortan zwischen den Metropolen Europas pendelt, entfernt er sich mehr und mehr von seinem Waldrefugium. Zu seinen Stationen zählt auch Berlin, wo er miterlebt, wie die Mauer fällt und wo er – der Leser ahnt es früh – Ursula wiedertrifft. Ihre Liebe flammt leidenschaftlicher denn je auf und stürzt alle Beteiligten in ein kaum zu bändigendes Chaos.
Zoderers in seiner Besessenheit beeindruckender Roman arbeitet – manchmal zu – stark mit Symbolen der inneren und äußeren Mauern und zieht sprachlich die unterschiedlichsten Register, um den „Grausamkeitsspezialisten“ Richard in seinem Dilemma zu zeigen. Mal bleibt es bei Banalitäten, dann wieder gelingen glänzende Bilder: „…an manchen Tagen kannst du in deine Seele hineingreifen wie in ein tiefes Astloch.“
Besprochen von Rainer Moritz
Joseph Zoderer: Die Farben der Grausamkeit
Haymon Verlag, Innsbruck 2011
334 Seiten, 19,90 Euro