Zerknautschter Zampano

Von Christoph Leibold · 22.01.2011
Keine Kapitalismus-Kritik im Heute, sondern durchtriebene und schmierige Figuren in der Jahrmarktsbretterbude, dazu der federnd flotte Weill-Sound. Doch Regisseur Christian Stückl fehlen zum Gelingen der "Dreigroschenoper" einige gute Sänger.
Am Ende muss es des Königs reitender Bote richten und Mackie Messer retten. In einer Welt, in der alles und jeder käuflich scheint, ist es zuletzt doch nicht der schnöde Götze Mammon, der den Gangster vor dem Galgen bewahrt, sondern ein klassischer Deus ex Machina − der Willkür des Dramatikers zu verdanken, nicht der Logik des Dramas. Bert Brecht setzte mit diesem Finale eine ironische Schlusspointe unter sein Stück. Ironie des Schicksals: sein kapitalismuskritisches Singspiel wurde sein populärstes Werk, und das, weil es vor allem dank der unverwüstlichen Musik von Kurt Weill etwas ist, was Brecht selbst gerade nicht wollte: kulinarisches Theater nämlich, das die Zuschauer zum Genießen einlädt. Was, wie Brecht fürchtete, vom Mitdenken abhält.

Christian Stückl macht von Anfang an keinen Hehl daraus, dass es ihm in seiner Inszenierung nicht darauf ankommt, Brechts Kapitalismus-Kritik ins Heute weiterzudenken. Er will ein deftig-sinnliches Volkstheatervergnügen. Die Bühne von Stefan Hageneier ist dementsprechend eine Mischung aus Zirkus-Halbrund und bunter Jahrmarktsbretterbude; und der Bettler-König Jonathan Jeremiah Peachum beim famosen Stephan Ruppe eine Kreuzung aus Ausrufer und Zampano mit zerknautschtem Zylinder und Zahnlücken, der das augenzwinkernde Spiel mit dem Publikum ebenso beherrscht wie die große Geste.

Bereits vor fast sechs Jahren wollte Christian Stückl die "Dreigroschenoper" inszenieren. Damals mit den Jungen Riederinger Musikanten. Doch die Erben Kurt Weills sperrten sich gegen veränderte Musikarrangements für die Blaskapelle. Im zweiten Anlauf mit der "Dreigroschenoper" hat Stückl nun einen ganz anderen Weg gewählt und mit Micha Acha von der Weilheimer Band "The Notwist" einen Erfolgsmusiker aus der Indie-Popszene als musikalischen Leiter ins Boot geholt. Doch Acha konnte (wegen der rigorosen Linie der Weill-Erben) und wollte (wegen seiner Begeisterung für Weill) keinen ungewohnten musikalischen Kurs einschlagen. Also musiziert die achtköpfige Live-Combo in rot-gelben Zirkusorchester-Uniformen zwar federnd flott, aber im gängigen Weill-Sound. Keine Überraschung also. Aber auch keine Enttäuschung.

An den Musikern jedenfalls lag es nicht, dass Christian Stückls Unterhaltungs-Offensive nicht wirklich verfing. Sondern an den Schauspielern. Genauer: an deren Gesangsleistungen. Kristina Pauls spielt zwar wunderbar durchtrieben als Mackie Messers Ex-Geliebte Lucy, aber im Duett mit dessen neuer Flamme Polly ist sie stimmlich überfordert. Und Pascal Fligg als Mackie ist zwar ein passabler Sänger, hat mit fettigem langem Haar und Schnauzer auch den passenden schmierigen Ganoven-Look, aber seinem Auftreten und seiner Ausstrahlung fehlt alles Schillernde.

Für die Polly schließlich hat sich Christian Stückl gleich außerhalb seines Ensembles umgesehen und eine Musical-Studentin von der Bayerischen Theaterakademie engagiert. Sybille Lambrichs Stimme ist so leuchtend wie das Zirkusprinzessinnenkleidchen in glitzerndem Pink, das sie in der zweiten Hälfte des Stücks trägt; schauspielerisch bleibt aber auch sie blass und so unscheinbar wie das graue Sekretärinnen-Kostüm, das sie am Anfang des Abends am schmalen Leib hat.

Die einen können singen, die anderen spielen. Nur Xenia Tilling als lakonisch-abgeklärte Hure Spelunken-Jenny kann beides. Im kleinen Ensemble des Münchner Volkstheaters sind zwar viele begabte Schauspieler. Für die "Dreigroschenoper" aber hätte es noch mehr solcher Doppelbegabungen gebraucht.

Informationen des Münchner Volkstheaters über Christian Stückls Inszenierung der "Dreigroschenoper"
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