Zerfallende Gesellschaft
Wenn über die Auswirkungen der Globalisierung debattiert wird, rücken vor allem ökonomische Faktoren in den Blickpunkt. Doch nach Ansicht des Psychologen Peter Winterhoff-Spurk sind die Folgen viel umfassender: In seinem Buch „Unternehmen Babylon“ erläutert er, dass auch Bindungsunsicherheit, soziale Ängste und psychische und physische Erkrankungen im Rahmen der Globalisierung zunehmen.
Es knistert in den Fundamenten unserer Gesellschaft, befindet Peter Winterhoff-Spurk, Professor für Psychologie an der Universität Saarbrücken. Winterhoff-Spurk listet in seinem neuen Buch zahlreiche Beispiele auf für die sozialen Folgen ökonomischer Umbrüche der letzten Jahre. Über spezielle Einsichten eines bloßen „Seelenklempners“ hinausgehend, erweist sich der Autor als kompetenter, ideologiefreier Globalisierungskritiker. Seine soziologischen, historischen, wirtschaftlichen und kunstgeschichtlichen Kenntnisse setzt er in zwölf Kapiteln gewinnbringend miteinander in Verbindung.
Symbolischer Rahmen ist dabei Pieter Bruegels 1563 entstandenes Gemälde „Turmbau zu Babel“. Winterhoff-Spurk interpretiert das Werk des flämischen Malers als Parabel auf Entwicklungen im 21. Jahrhundert. In seiner historischen Einleitung beschreibt er vorab jene gravierenden Veränderungen, die im 16. Jahrhundert in Bruegels Heimat stattfanden. Die Hälfte des gesamten Welthandels wurde seinerzeit in den Häfen von Antwerpen und Rotterdam abgewickelt, die Antwerpener Börse zum Zentrum des europäischen Geldmarktes. Umbruch der Landwirtschaft, Welthandel und Dienstleistungsbedarf schufen eine neue Oberschicht, während andere Bevölkerungsgruppen verarmten. Es kam zu Gewaltausbrüchen der Unterschicht (Bildersturm), ebenso zu politischen Kämpfen (Erhebung gegen die Spanier unter Wilhelm von Oranien). Neue finanztechnische Instrumente wurden entwickelt (Aktiengesellschaft, Versicherung, Wechselgeschäfte).
Winterhoff-Spurk versteht Bruegels Bild als Warnung: wenn der Mensch zu hoch hinaus will, zerfällt die Gemeinschaft. Wenn ein umfassender sozio-ökonomischer Wandel nicht von der Gesamtheit der Bürger gestaltet wird, droht eine politische Katastrophe.
Indizien dafür findet er auch in unserem beginnenden 21. Jahrhundert. Zusammengenommen entsteht dabei ein ziemlich niederschmetternder Eindruck von den derzeitigen gesellschaftlichen Veränderungen. Veränderungen, die wir wohl wahrnehmen, aber in ihrer Konsequenz nicht wirklich bedenken. Der Autor hingegen möchte sie uns zu Bewusstsein bringen. Er stellt vor allem die Durchsetzung neoliberaler Maximen und das Konzept einer im Wesentlichen auf die Maximierung des „shareholder value“ gerichteten Unternehmenspolitik in Frage und diagnostiziert deren soziale Folgen: massiver Vertrauensschwund innerhalb aller Bereiche der Gesamtgesellschaft, daraus resultierende Bindungsunsicherheit. Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse, sowie psychischer und physischer Erkrankungen. Zerbröseln der Familie, Entstehen eines neuen egozentrischen, oberflächlichen Sozialcharakters.
Als Gegenmittel empfiehlt der Autor die Stärkung der „fünf Säulen unserer Zivilisation“. Nach der amerikanischen Kulturkritikerin Jane Jacobs sind das: Gemeinde und Familie, Bildung, Wissenschaft, Subsidiarität und gesellschaftliche Selbstkontrolle. Die Gestaltung des Wandels soll zur Aufgabe aller Bürger werden, und eine Neudefinition des Arbeitsbegriffs hält Winterhoff-Spurk für unverzichtbar. Sein Buch verdeutlicht auf überschaubare Weise, populärwissenschaftlich doch nicht oberflächlich, was ist und was nötig ist, damit wir nicht scheitern wie dereinst die Turmbauer zu Babel.
Rezensiert von Carsten Hueck
Peter Winterhoff-Spurk: Unternehmen Babylon. Wie die Globalisierung die Seele gefährdet
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008
280 Seiten, 19,90 Euro
Symbolischer Rahmen ist dabei Pieter Bruegels 1563 entstandenes Gemälde „Turmbau zu Babel“. Winterhoff-Spurk interpretiert das Werk des flämischen Malers als Parabel auf Entwicklungen im 21. Jahrhundert. In seiner historischen Einleitung beschreibt er vorab jene gravierenden Veränderungen, die im 16. Jahrhundert in Bruegels Heimat stattfanden. Die Hälfte des gesamten Welthandels wurde seinerzeit in den Häfen von Antwerpen und Rotterdam abgewickelt, die Antwerpener Börse zum Zentrum des europäischen Geldmarktes. Umbruch der Landwirtschaft, Welthandel und Dienstleistungsbedarf schufen eine neue Oberschicht, während andere Bevölkerungsgruppen verarmten. Es kam zu Gewaltausbrüchen der Unterschicht (Bildersturm), ebenso zu politischen Kämpfen (Erhebung gegen die Spanier unter Wilhelm von Oranien). Neue finanztechnische Instrumente wurden entwickelt (Aktiengesellschaft, Versicherung, Wechselgeschäfte).
Winterhoff-Spurk versteht Bruegels Bild als Warnung: wenn der Mensch zu hoch hinaus will, zerfällt die Gemeinschaft. Wenn ein umfassender sozio-ökonomischer Wandel nicht von der Gesamtheit der Bürger gestaltet wird, droht eine politische Katastrophe.
Indizien dafür findet er auch in unserem beginnenden 21. Jahrhundert. Zusammengenommen entsteht dabei ein ziemlich niederschmetternder Eindruck von den derzeitigen gesellschaftlichen Veränderungen. Veränderungen, die wir wohl wahrnehmen, aber in ihrer Konsequenz nicht wirklich bedenken. Der Autor hingegen möchte sie uns zu Bewusstsein bringen. Er stellt vor allem die Durchsetzung neoliberaler Maximen und das Konzept einer im Wesentlichen auf die Maximierung des „shareholder value“ gerichteten Unternehmenspolitik in Frage und diagnostiziert deren soziale Folgen: massiver Vertrauensschwund innerhalb aller Bereiche der Gesamtgesellschaft, daraus resultierende Bindungsunsicherheit. Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse, sowie psychischer und physischer Erkrankungen. Zerbröseln der Familie, Entstehen eines neuen egozentrischen, oberflächlichen Sozialcharakters.
Als Gegenmittel empfiehlt der Autor die Stärkung der „fünf Säulen unserer Zivilisation“. Nach der amerikanischen Kulturkritikerin Jane Jacobs sind das: Gemeinde und Familie, Bildung, Wissenschaft, Subsidiarität und gesellschaftliche Selbstkontrolle. Die Gestaltung des Wandels soll zur Aufgabe aller Bürger werden, und eine Neudefinition des Arbeitsbegriffs hält Winterhoff-Spurk für unverzichtbar. Sein Buch verdeutlicht auf überschaubare Weise, populärwissenschaftlich doch nicht oberflächlich, was ist und was nötig ist, damit wir nicht scheitern wie dereinst die Turmbauer zu Babel.
Rezensiert von Carsten Hueck
Peter Winterhoff-Spurk: Unternehmen Babylon. Wie die Globalisierung die Seele gefährdet
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008
280 Seiten, 19,90 Euro