Zerbrechliche Freundschaft

Die australische Autorin Helen Garner verarbeitet in ihrem Roman "Das Zimmer" eine autobiografische Erfahrung. Es geht um eine Freundschaft, die angesichts von Krankheit und drohendem Tod in die Krise gerät, und Gefühle des Zorns, die angeblich eine andere Art des Trauerns sind.
Nein, Krebs ist kein Thema, mit dem man sich freiwillig gern beschäftigt. Schon gar nicht in der Literatur. Auch wenn uns alle diese oder eine andere schwere Krankheit treffen kann - kaum jemand will sich damit wirklich konfrontieren. Helen Garner setzt sich mit diesem Phänomen auf bestechende Weise auseinander. In ihrem Roman verarbeitet sie ein eigenes Erlebnis.

Die Hauptfigur, der sie ohne Umschweife ihren eigenen Namen gibt, nimmt ihre krebskranke Freundin Nikola bei sich auf. Helen ist wie ihre Freundin Mitte sechzig. Doch im Gegensatz zu dieser lebt sie eingebettet in eine Großfamilie mit Tochter, Schwiegersohn und Enkeln, ein heiles Umfeld, während Nikola stets unabhängig war, ohne Mann und Kinder.

Nach erfolglos verlaufener Chemotherapie, Bestrahlungen und Operation können die Ärzte nichts mehr für Nikola tun. Sie haben sie nach Hause geschickt. Doch Nikola gibt nicht auf. Jenseits der Schulmedizin hofft sie auf Heilung durch alternative Methoden. Sie begibt sich in eine Privatklinik zur ambulanten Behandlung, die bei ihr verheerende Nebenwirkungen hervorruft. Helen hält sich zunächst zurück mit ihren Zweifeln an der Tauglichkeit dieser Therapie, an der Seriosität dieser Institution, der ein Tierarzt als Leiter vorsteht und in der die Kranken zu nichts als "demütiger Geduld" angehalten werden.

Während sie sich aufopfernd der Pflege ihrer Freundin widmet, merkt sie, wie neben Mitleid und Kummer ein anderes Gefühl in ihr aufsteigt: Wut auf die Scharlatane, die gnadenlos die Hilflosigkeit von Menschen ausnutzen, die ganz offensichtlich die Hoffnung der Patienten missbrauchen. Aber sie ist auch voller Wut auf die todkranke Freundin, die, alles beschönigend, diesen Missbrauch zulässt.

Das größte Verdienst des Buches liegt in den Passagen, in denen es nicht nur den Schock zeigt, der erkennen lässt, dass Zorn eine andere Art des Trauerns ist, ja dass Trauer auch zornig sein muss. Es rehabilitiert souverän dieses vermeintlich eigensüchtige Gefühl als notwendige Maßnahme im Kampf gegen das Unvermeidliche.

Die große Kraft des Romans liegt auch in den Momenten, die sich beschreibend dem Urgrund der Todesangst nähern. Es ist, so heißt es, die furchtbare Angst, das Leben vergeudet zu haben. Nicht nur darin geht der Roman weit über ein bloßes Selbstbewältigungsbuch der Autorin hinaus.

In schnörkelloser Sprache, klar und schonungslos, kreist Helen Garner das Thema des Sterbens ein. Sie vermeidet alles Pathos und ist dabei doch von großer Sensibilität, von anrührender Kraft, wenn sie eine Freundschaft schildert, die angesichts der Wahrheit zu zerbrechen droht.

Die 1942 geborene Helen Garner gehört zu den bedeutendsten Autorinnen Australiens. Ihre Bücher, die teilweise von Jane Campion verfilmt wurden, gewannen zahlreiche renommierte Preise. Immer wieder machte Helen Garner in ihren Romanen alternative Lebensentwürfe zum Thema, die sie selbst in Kommunen, unter Junkies oder Rockbands kennen gelernt hat. Und alle handeln vom fatalen Scheitern solcher Entwürfe. Bisher war sie nicht ins Deutsche übersetzt. Das dürfte sich mit "Das Zimmer" ändern.

Dass man diesen ergreifenden Roman quasi in einem Atemzug liest, liegt nicht nur daran, dass er auf kompromisslose Weise das vor Augen führt, was uns alle betrifft: das Ende unseres Lebens. Das Buch ist weit mehr - eine Aufforderung nichts mehr zu vertagen, nichts den Sehnsüchten auf eine diffuse Zukunft zu überlassen. Es verkörpert schlicht den Imperativ zu leben.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Helen Garner: Das Zimmer
Aus dem Englischen übersetzt von Nora Matocza und Gerhard Falkner
Berlin-Verlag, Berlin 2009
173 Seiten, 18 Euro