Zentrum für politische Schönheit bunkert AfD-Flyer

Kunstaktion oder Wahlmanipulation?

Philipp Ruch im Gespräch mit Vladimir Balzer |
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Die Firma „Flyerservice Hahn“ hatte der AfD angeboten, für sie Flyer zu verteilen. Doch diese Firma ist eine Erfindung des Zentrums für politische Schönheit. Die Künstlergruppe verteilte die Flyer nicht. Die AfD kündigt rechtliche Schritte an.
Vladimir Balzer: Die AfD führt gerade einen Machtkampf darüber, wie die Wahlergebnisse zu interpretieren sind. Auf Bundesebene hat sie etwas verloren, dann kommen zu allem Übel auch noch die Kunstaktivisten vom Zentrum für politische Schönheit dazu. Genau die, die sich schon mal mit Björn Höcke angelegt haben, als sie mit einer Aktion vor sein Privathaus gezogen sind.
Sie sind wieder da und haben sich diesmal Folgendes ausgedacht: Nämlich eine Scheinfirma gründen, so tun, als würde man massenhaft AfD-Flyer verteilen – aber genau das nicht tun. Die Partei schickte tatsächlich Lkw-Ladungen voll, die dann nie bei den Wählern ankamen.
Wie haben Sie es als Zentrum für politische Schönheit geschafft, die AfD von ihrer Fake-Firma zu überzeugen?
Philipp Ruch: Unser Geschäftsprinzip nennt sich seit Jahren beim Zentrum für politische Schönheit Hyperrealismus. Das heißt, bei uns gibt es eigentlich gestochen scharfe Realität, manchmal sogar in Zügen detaillierter und gestochen schärfer als die Realität selbst. Und wir haben also mit unserer schönen, fiktiven Firma der AfD und ihren Orts- und Kreis- und Landesverbänden Angebote geschickt und Angebote gemacht, die sie eigentlich nicht ablehnen konnten.
Und genauso kam es dann auch, sie haben uns im großen Stil beauftragt, ihre Wahlkampfpropaganda und Fake News und Falschaussagen zu verteilen in diesem Wahlkampf. Wir sind sehr froh und auch wirklich sehr stolz auf diese Partei, die immer so als kunstfeindlich angesehen wird, dass die so kunstaffin sind, hier zwei Drittel unserer Angebote, würde ich in etwa sagen, angenommen zu haben.
Balzer: Ich vermute mal, dass die AfD zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, dass es eine Aktion vom Zentrum für politische Schönheit ist. Dementsprechend reagiert sie natürlich auch, wird auch rechtlich dagegen vorgehen.
Aber vielleicht noch mal zum Beginn der Aktion, was hat denn die AfD da überzeugt? War das einfach der Preis, den Sie da unterboten haben, was Flyerverteilung angeht? Es gibt ja auch viele andere Firmen, die Parteiflyer verteilen.

"Beim Mithetzen gerne dabei, aber Flyer in Briefkästen werfen wollen sie nicht"

Ruch: Auf der einen Seite das "Motto Geiz ist geil", das regiert scheinbar dort weiter. Uns ist im Sommer bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt aufgefallen, dass die nicht so richtig von Haustür zu Haustür gehen mögen, die Parteimitglieder, da gibt es einige, die sind natürlich beim Mithetzen gerne dabei, aber wenn es dann wirklich mühsam wird und man Flyer irgendwo in Briefkästen werfen soll, dann wollen sie nicht so richtig. Dann haben wir dort von der AfD selber von einer Firma gehört, die 20.000 ihrer Flyer verschlampt hätte. Da haben wir gedacht, das können wir auch!
Balzer: Dann haben Sie aber, so wie ich es verstanden haben, offenbar einen Auftrag bekommen von AfD – ohne Vertrag, ohne Auftragsbestätigung, ohne Prüfung. Also ich meine, auch bei der AfD gibt es Menschen, die des Controllings mächtig sind, wie haben Sie das geschafft?
Ruch: Scheinbar nicht. Tatsächlich ist es nicht nur ein Auftrag, sondern wir reden von 85, die haben in Summe eben mehr als fünf Millionen Flyer ergeben. Uns wurde es auch irgendwann etwas mulmig, wir wurden selber von unserem Erfolg überrascht.
Es war auch so, dass die Verbände untereinander für uns geworben haben. Wir waren plötzlich das neue heiße Ding in der rechten Szene und haben plötzlich auch, obwohl wir uns ausschließlich an die Partei gewendet haben, plötzlich Anfragen bekommen, von irgendwelchen Freizeitparks und sonstigen Organisationen und Unternehmen, ihre Flyer zu verteilen.
Da gibt es ein ganzes Netzwerk, wir wurden wirklich rumgereicht. Und uns wurde mulmig, dann dachten wir so nach zwei, drei Millionen, jetzt kann man nicht diese ganzen Flyer annehmen, was wollen wir überhaupt damit? Und dann haben wir uns so kleine Späße erlaubt, wir haben beispielsweise den Verbänden in Schleswig-Holstein gesagt, sie müssen ihre Flyer zur Verteilung für Schleswig-Holstein wohlgemerkt nach Mainz runter liefern, also ans andere Ende der Republik, von ganz oben nach unten.
Wir waren sicher, das wird nicht passieren, weil jeder klar denkende Mensch dann doch irgendwie auf die Idee kommt, wenn die in Schleswig-Holstein verteilt werden sollen, was sollen die jetzt in Mainz? Das haben die aber gemacht, die haben also geliefert und geliefert, ganze Lkw-Ladungen voll. Wir wurden dann vom eigenen Erfolg so ein bisschen überrannt.

"Die Flyer waren auch schon vor der Wahl nutzlos"

Balzer: Was haben Sie mit den Flyern gemacht, was ist damit passiert?
Ruch: Da halten wir uns noch ein bisschen bedeckt, die sind tatsächlich in unserer Hand. Wir haben die Rückgabe angeboten, das stieß nicht auf offene Ohren. Die behaupten, die seien nutzlos, das hätten wir auch schon vor der Wahl behauptet in unseren Augen.
Balzer: Nach der Wahl sind sie jedenfalls nutzlos.
Ruch: Wie gesagt, man kann darüber streiten, ob sie vorher nicht auch schon nutzlos waren. Deswegen sind die jetzt bei uns und wir führen die jetzt dem Recycling zu.

"Kein Geld eingenommen"

Balzer: Aber Sie haben doch auch Geld eingenommen dafür oder nicht?
Ruch: Wir haben tatsächlich keinerlei Geld angenommen. Das ist uns noch mal wichtig, wir machen ja politische Kunst, radikale politische Kunst zwar, aber tatsächlich haben wir keinerlei, wenn Sie so wollen, wirtschaftliches Interesse.
Balzer: Sie haben bisher keine Rechnung geschrieben?
Ruch: Genau, das Zahlungsziel war immer Oktober. Wir behalten uns natürlich vor, im Oktober noch mal tatsächlich auch Rechnungen zu stellen, auch die hyperrealistisch, gestochen scharf, wenn Sie so wollen. Aber die IBAN wäre dann der nächste NPD-Ortsverband im Ort selber, wo die AfD-Verbände sitzen.
Balzer: Rechtlich wird das ja vermutlich Folgen haben, das hat die AfD schon angekündigt. Was erwarten Sie da, wie weit könnte der Streit gehen, wie weit sind Sie bereit zu gehen?

"Wir malen keine Blumenbilder"

Ruch: Wir haben in den letzten Jahren, das muss man so sagen, die wesentlichen Urteile zur Kunstfreiheit erkämpft. Wir malen wirklich keine Blumenbilder, das muss man sagen, das ist auch zum Leidwesen meiner eigenen Familie so. Das heißt, auch hier ist uns klar, dass wir dieses Recht der Kunstfreiheit, was wir verfassungsmäßig haben, einfach auch benutzen und ausüben und es natürlich auch verteidigt werden muss.
Und wie überall steht wieder Güterabwägung im Raum, man muss dann entscheiden, was höher gewichtet werden kann, das Recht der Kunst auf Aktionen und die Freiheit der Kunst oder eben nicht.
Balzer: Kritiker sagen auch, dass Sie da Ihre Internetseite im Laufe der Zeit ein bisschen verändert haben, ganz zu Anfang gab es eine gewisse Rechtsform, dann gab es eine Umsatzsteueridentifikationsnummer, ein Impressum. Und als die Aktion öffentlich gemacht wurde, war das alles plötzlich wieder weg – warum?
Ruch: Das ist wirklich ein völliges Missverständnis. Also der Flyerservice Hahn hat keine Rechtsform, es besitzt keine Rechtsform, es besitzt keine Umsatzsteuer, es besitzt keine geschäftsfähige Adresse und auch sonst nichts dergleichen. Wir haben das behauptet, ja sicher, das steht auch auf den Angeboten.
Balzer: Es gibt diese Firma nicht?
Ruch: Es gibt diese Firma einfach nicht. Das können Sie mit einem Blick sehen, wenn Sie einmal ins Handelsregister gucken und dort in die Suchmaske Flyerservice Hahn eintippen, dann kommen da null Einträge. Das hätte stutzig machen müssen, gerade in millionenfachem Stil, das hat es nicht.

"Wir wollten der AfD helfen"

Der einzige Grund, warum diese Angaben nicht mehr auf der Webseite des Flyerservice Hahn selber prangen, ist, weil wir jetzt gestartet sind in die Öffentlichkeit und uns ja vielleicht nicht jede Blöße geben müssen. Wir sind uns selber nicht sicher, darf man denn als GmbH auftreten in der Öffentlichkeit, wenn man keine GmbH ist. Deswegen haben wir das vom Netz genommen, aber auch wirklich nur deswegen.
Balzer: Ihre Intention war also offenbar, der AfD zu schaden.
Ruch: Wir wollten ihr helfen!
Balzer: Auf sehr spezifische Weise.
Ruch: Ja, wissen Sie, wir können es mal klar aussprechen: Ist die Frage der Wahlmanipulation hier gegeben? Für uns ist Wahlmanipulation tatsächlich etwas, wenn Fake News oder Falschaussagen in die Öffentlichkeit gelangen und Wählerinnen und Wähler beeinflussen.
Wenn man sich anschaut, dass tatsächlich 90 Prozent dieser Falschaussagen von dieser einen Partei stammen im Wahlkampf, dann muss man sagen, haben wir die Wählerinnen und Wähler genau davor bewahrt. Wir haben auch niemanden beeinflusst, wir haben auch die AfD nicht wirklich beeinflusst, sie hatte die freie Wahl, wen sie beauftragen möchte, ob sie ein Kunstunternehmen beauftragen möchte oder ein echtes.

"Fleyer sind wichtig"

Balzer: Ich wollte jedenfalls darauf hinaus, dass die AfD, wie wir wissen, gerade in sozialen Netzwerken sehr stark ist und dort auch ihre Wählerschaft zum Teil rekrutiert. Und die Flyer, die guten, alten Flyer, die es nun schon seit Jahrzehnten im Bundestagswahlkampf, da stellt sich schon die Frage: Wie wichtig die überhaupt sind für das Erreichen von potentiellen Wählern?
Ruch: Wir glauben: sehr wichtig. Das ist auch sehr interessant, wenn man mit Politikerinnen redet genau zu dem Thema, die tingeln alle noch auf Marktplätze, die machen alle noch diese großen Touren durch die Republik.
Wir erinnern uns an die Kanzlerkandidatin der Grünen, die irgendwo in Hildesheim anfängt. Das heißt, dieses face-to-face, ich würde fast sagen, ist etwas aus unserem Sektor, aus dem Kulturbetrieb kommend, dass man den Menschen die Leibhaftige oder den Leibhaftigen zum Anfassen gibt, man hat einmal den Herrn Scholz gesehen. Das scheint doch einen größeren Effekt auf Menschen zu haben, als wir denken. Und genauso ist es eben auch mit der Virtualität von Parteien und plötzlich hat man ein Papier in der Hand von jemandem.
Balzer: Und dennoch stellt sich die Frage nach den politischen Erfolgen. Wenn wir mal dabei bleiben, die AfD ist nicht zum ersten Mal bei Ihnen im "künstlerisch-aktionistischen Visier", das war schon in Thüringen so, Sie haben schon die Aktion gegen Björn Höcke erwähnt, die hat sehr große Aufmerksamkeit bekommen, als Sie dort eine Miniaturversion des Holocaust-Mahnmals vor sein Privathaus gesetzt haben.
Da gab es auch viel Rechtsstreit und viele Diskussionen, das ging über mehrere Monate hinweg. Dann schaut man sich die Erfolge der AfD in Thüringen an zum Beispiel, aber auch in einem anderen Kernland, nämlich Sachsen – dort ist die AfD die stärkste Kraft, hat insgesamt 16 Direktmandate bekommen, das sind viele, viele mehr, als sie vorher hatte. Wo bleibt der von Ihnen intendierte Erfolg?

"Auf dem Rücken des deutschen Rechtsextremismus die politische Kunst nach vorne bringen"

Ruch: Ich glaube, wir nehmen gar nicht für uns in Anspruch, dass radikale politische Kunst immer wahnsinnig wirksam oder erfolgreich ist. Wir haben ein Anliegen, das ist keine Frage. Es ist natürlich auch so, wenn Sie unsere langjährige Arbeitsbeziehung mit der AfD ansprechen, wir mögen uns natürlich sehr, wir schätzen uns, das Zentrum für politische Schönheit und die Alternative für Deutschland.
Und das haben wir auch immer zugegeben, dass wir auf dem Rücken des deutschen Rechtsextremismus im Prinzip die politische Kunst nach vorne bringen, dass wir sie da auch tatsächlich sehr gebrauchen dazu. Ich kann Ihnen zu der Frage der Wirksamkeit wenig sagen, weil das liegt natürlich ein bisschen im Auge der Betrachterinnen und Betrachter. Ich kann vielleicht nur als Indiz tatsächlich liefern, dass wir in Sachsen und Thüringen selber, wo sie die größten Erfolge gefeiert haben, sehr schwach aufgestellt waren, was die Angebotsannahme seitens der AfD war. Flyerservice Hahn war in anderen Landesteilen tatsächlich erfolgreicher.
Balzer: Wenn man sich jetzt mal die Aktionen Ihres Zentrums für politische Schönheit in den letzten Jahren so anschaut: Sie haben oft einen sehr starken moralischen Impetus.
Gibt es so eine Art moralisch-künstlerisches Budget, was man irgendwann mal aufgebraucht hat und irgendwann die große Öffentlichkeit nur noch die Augen verdreht, wenn sie hört, das Zentrum für politische Schönheit hat mal wieder eine Aktion gestartet, die zwar spektakulär ist, aber letztlich dann doch zu wenig bewegt.
Ruch: Ich glaube tatsächlich, dass wir immer gescheitert sind, auch mit allen früheren Aktionen.
Balzer: Das Scheitern gehört für Sie letztlich dazu?

"Wir müssen tun, was wir tun"

Ruch: Wissen Sie, wenn wir uns anschauen, wie wir drei, vier Jahre gegen die Flüchtlingsabwehrpolitik der Bundesregierung gekämpft haben ab 2014, wir haben nicht einen Millimeter verändert, diese Politik ist bis heute instand gesetzt, und die Menschen ertrinken im Mittelmeer.
Auch der Rechtsextremismus in Deutschland, der historisch gesehen eben den Holocaust zu verantworten hat in diesem Land, ist jetzt wieder im Parlament, jetzt auch in der zweiten Legislaturperiode. Von daher könnten Sie uns immer vorwerfen, dass wir wenig bewirkt haben, aber ich glaube, solche Schuldzuweisungen … Wissen Sie, wir können ja auch sagen, das ist nicht die Frage, wir müssen es trotzdem tun.
Tatsächlich müssen wir alle trotzdem tun, was wir tun. Und diese wache, offene Zivilgesellschaft, die man auch jetzt bei uns wieder sieht mit einer doch großen Sympathie für das, was wir hier gemacht haben, darauf kommt es, glaube ich, am Schluss an.
Balzer: Aber wo ist die Grenze zwischen selbstverliebter Aktionskunst von, ich unterstelle jetzt mal, Bürgerkindern und tatsächlich einem politisch ernsthaften Anliegen?
Ruch: Eine Grenze wäre vielleicht, wenn man immer dasselbe macht. Tatsächlich versuchen wir uns eigentlich mit jeder Aktion neu zu erfinden seit 13 Jahren. Mal gelingt uns das besser, mal schlechter. Hier, glaube ich, ist es uns wieder ein bisschen besser gelungen, aber wenn Sie sozusagen zur Selbstkritik was fragen, da müssten wir jetzt lange reden.
Das ist tatsächlich künstlerisch eine wichtige Sache, ein wichtiger Punkt, aber gar nicht vom Standpunkt der Moral her, glaube ich, weil moralisch gesehen, wissen Sie, da ist die Methodik relativ einfach. Schauen Sie einfach, wie Menschen in 50 Jahren das beurteilen werden, wenn sie die Vorgänge von heute sehen und was Sie und ich machen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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