Zen-Meditation

Anstrengende Konfrontation mit sich selbst

Die Hände eines Mönchs in der Zen-Position "Kyoskku"
Zen zielt auf einen Zustand, in dem das Ich in den Hintergrund tritt oder sich gar auflöst. © imago stock&people / Ursula Gahwiler
Von Nathalie Nad-Abonji · 26.08.2018
Zen hilft vielen, zum Wesentlichen zu finden. Die eigenen Gedanken beim Schweigen fallen zu lassen, ist dabei am Anfang die größte Herausforderung, wie unsere Autorin beim Einführungsseminar im Benediktushof bei Würzburg erfahren hat.
Es ist sechs Uhr morgens. Dank der Glocke im Turm der Klosterkirche weiß ich, dass ich noch etwa acht Minuten im Schnellschritt mit der Gruppe um den Brunnen im Hof gehen werde. Dabei die Arme dynamisch schwenkend, so dass sich mein Rumpf gleich mitbewegt. Schweigsam und konzentriert. Diese Art des Gehens nennt man im Zen "Kinhin".
Danach eilen wir Richtung Zendo. Der Meditationssaal war früher der Kreuzgang des Klosters. Im Vorraum ziehen wir die Schuhe aus und verneigen uns kurz, als wir den Zendo betreten. Stehend warten wir auf unseren Meister. Sein Assistent Rudolf Faber nutzt den Augenblick und ermahnt uns, zu schweigen. Während des Kurses sowieso, aber auch beim Essen, auf den Zimmern, im Park und auf dem gesamten Gelände.

Schweigen mit den Augen

Faber: "Schweigen meint im etwas umfassenderen Sinne nicht nur das verbale Reden und Schweigen, sondern auch Schweigen mit den Augen. Schaut nicht herum, sucht nicht mit den Augen Kontakt zu anderen. Immer wieder ist die Übung, ganz bei uns zu bleiben. Beim Atmen, beim Schritt, beim Essen, was wir auch gerade tun."
Durch die Flügeltüren betritt Alexander Poraj den rechteckigen Saal, Zen-Meister und einer der spirituellen Leiter des Benediktushofs. Gemeinsam mit ihm verneigen wir uns und setzen uns dann auf schwarze Meditationskissen, die wiederum auf Holzbänken liegen. Die Verneigung sei ein wichtiges Ritual im Zen, erklärt Poraj. Nicht als Verneigung vor etwas oder jemandem, sondern als Zeichen von Anwesenheit im Hier und Jetzt, einem Kernstück des Zazen.
"Das sogenannte Zazen, also das Sitzen in einer bestimmten Haltung, ist vermutlich eine der einfacheren und direkteren Arten und Weisen, nur das Sosein zu verkörpern, weil man nichts mehr tut."
Und möglichst nicht mehr denkt, nicht mehr wertet, auf nichts mehr hofft – sondern nur noch da ist. Ganz präsent in der Gegenwart. "Deswegen spricht man vom Erwachen", erklärt Poraj. "Das heißt, das Erwachen ist nicht ein anderer Traum, sondern gar kein Traum."

Präsenz statt 70.000 Gedankenimpulse

Erwachen meint in diesem Kontext die Aufhebung des Ich. Im Verständnis des Zen ist es unser nie endender Gedankenstrom, der das Ich und die Spaltung zwischen Objekt und Subjekt erzeugt. Und damit auch das Leiden. Rund 70.000 Gedankenimpulse habe ein Mensch pro Tag, sagt Alexander Poraj. Aber nicht mal Zen befreie uns vom Denken:
"Es ist nicht so, dass wir hier das Denken abstellen können. Es ist so, dass wir gegebenenfalls in eine Haltung und einen Zustand erhöhter Präsenz kommen können."
Teilnehmer eines Zen-Kurses
Nicht mehr denken, nicht mehr werten, auf nichts mehr hoffen - nur noch da sein, so die Lehre.© imago / UIG
Ein Zustand, in dem wir das Denken zwar nicht vollständig eingestellt haben, aber in dem das Ich in den Hintergrund tritt oder sich gar auflöst. Ich frage mich, was das konkret bedeutet und wie er sich anfühlt, dieser Zustand – und bin schon wieder mitten im Denken. Wie es den anderen 65 Teilnehmerinnen und Teilnehmern geht, erfahre ich nicht, denn: Wir sollen ja schweigen.
"Deswegen könnte man sagen, dass die klassische Meditation die empirische Form der Erforschung des Bewusstseins ist", erläutert Poraj. Zen sei weder eine Religion noch eine Philosophie. Zen verspreche auch kein besseres Leben in der Zukunft oder gar im Jenseits. Darin sieht der promovierte Theologe einen Vorteil gegenüber den großen Religionen. Ihm selbst konnte das Christentum damals nur ungenügende Antworten auf seine Sinn- und Lebensfragen liefern. Auch seine ersten Versuche mit Zen befriedigten den jungen Mann mit polnischem Hintergrund nicht. Bis er auf den Benediktinermönch und Zen-Meister Willigis Jäger traf.
Poraj: "Vielleicht aus der gemeinsamen Vergangenheit heraus, dass wir schon eine Religion hinter uns hatten. Damals war Willigis innerhalb der Szene jemand, der das viel freier und nicht so religiös betrieben hat."

Vom Auftrittsverbot zum eigenen Kloster

Sein konfessionsübergreifendes Denken handelte Willigis Jäger 2001 einen Konflikt mit der katholischen Kirche ein. Kardinal Ratzinger erteilte dem Mönch ein Rede-, Schreib- und Auftrittsverbot. Zwei Jahre später übergab eine vermögende Schülerin Jäger das restaurierte Kloster, den Benediktushof, damit er seine Kontemplations- und Zenlehre dort weiterführen konnte.
Wir Anfängerinnen und Anfänger sind im Hier und Jetzt erstmal damit beschäftigt, unsere Gliedmaßen für die verschiedenen Sitzhaltungen zu sortieren, was einigen sichtlich schwerfällt. Die meisten von uns haben ihre Lebensmitte bereits überschritten. Offensichtlich zieht Zen auch viele Männer an.
"Wenn jemand aufgrund seiner bisherigen Dehnbarkeit auf einem flachen Kissen sitzen kann, dann bietet sich als erste Haltung, die sogenannte burmenische Sitzhaltung an. Das ist diese, die ich jetzt habe."
Dabei sind die Knie angewinkelt wie im Schneidersitz, nur dass ein Fuß lose vor dem anderen liegt.
"Das ist die erste von den sogenannten Lotushaltungen. Das Wichtige dabei ist, das gilt für alle anderen genauso, dass wir stabilen Kontakt zum Boden beziehungsweise zur Matte haben. Stabil bedeutet Sitzhöcker und Knie."
Der Oberkörper ist aufgerichtet und der Blick auf den Boden gesenkt. Eine Hand liegt in der anderen, etwa auf Bauchnabelhöhe, während sich die Daumenspitzen leicht berühren. Dann sitzen wir das erste Mal 15 Minuten. Blinzeln und Schlucken ist erlaubt, alles andere nicht. Am Ende dieses Tages werde ich aufgehört haben zu zählen, wie viele Runden wir gesessen haben und wie viele Stunden das insgesamt ergibt. Immer unterbrochen von langsamem oder schnellem Gehen.

Sich selbst aushalten

Das Einführungsseminar sei hart, hatte mir eine erfahrene Zen-Schülerin an meinem Anreisetag gesagt. Ich beginne zu ahnen, warum.
Die Autorin Nathalie Nad-Abonji
Die Autorin Nathalie Nad-Abonji© Nathalie Nad-Abonji / Deutschlandradio Kultur
Poraj: "Sich selber auszuhalten, mal dieses ganze Kopfkino auszuhalten, mit den dazugehörigen Emotionen, das ist nicht ohne. Je nachdem, was für Filme du da gerade zu laufen hast. Da wir kaum Einfluss darauf haben, ist das Durchsitzen des Ganzen oft ein Weg, der einiges von uns abverlangt. Das Zen ist vermutlich die minimalistischste und unmittelbarste Form dieser Art der Konfrontation."
Einer Konfrontation mit sich selbst. Und so wundert es mich nicht, dass das Angebot, Einzelgespräche mit Kursleiter Poraj zu führen, angenommen wird. Dokusan nennt sich das im Zen. Dazu ziehe ich eine rote Karte heraus, die auf der Holzbank liegt und lege sie sichtbar vor mich hin. Rudolf, der Assistent, verbeugt sich vor mir und fordert mich auf, ihm in einen kleinen Raum vor dem Zendo zu folgen. Dort sitzt der Meister auf dem Boden. Ich nehme ihm gegenüber Platz und schildere kurz mein Anliegen. Dann gibt er mir den Hinweis, mich in der nächsten Meditationsrunde einem ganz bestimmten Gefühl zu widmen. Unser Gespräch dauert nicht länger als zehn Minuten. Als wir fertig sind, läutet er eine Glocke – das Zeichen, dass er für das nächste Gespräch bereit ist. Als ich kurz darauf zur Toilette gehe, sehe ich, wie sich eine Frau die Tränen abwischt.

Urteilsfreies Warten auf Erleuchtung

Unter Anleitung unseres Meisters tönen wir die Vokale A - O - U - M. Sie sollen in uns vibrieren. Danach rezitieren wir die erste Strophe eines Verses. Das geht so schnell, dass ich mir den Text am Ende des Tages nochmals in Ruhe durchlese und die Worte auf mich wirken lasse.
"Soll Es sich dir offenbaren, lass Abneigung wie Vorliebe beiseite. Der Konflikt zwischen Neigung und Abneigung ist eine Krankheit des Geistes. Wird diese tiefe Wahrheit nicht verstanden, versuchst du deine Gedanken vergeblich zu beruhigen."
Es ist nach 21 Uhr, ich bin müde. Irritiert. Eines ist mir klar geworden: Zen übersteigt den Verstand – ist rational nicht fassbar. Beim Abschied sagt Rudolf: Bis bald vielleicht. Kann sein, denke ich.
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