Zeitzeugin Hanna Grabley

04.05.2009
Hanna Grabley, 1932 in Greußen/Thüringen geboren. Erlebte dort zunächst die amerikanischen, dann die russischen Besatzer, ging später ebenfalls auf das Internat nach Wickersdorf/Thüringen und 1951 zum Studium nach Ostberlin.
Verhältnis zu den Besatzungssoldaten

In der amerikanischen Besatzung war für uns Kinder eigentlich nur interessant, da sind Leute, deren Sprache wir können. Wir Oberschüler, wir konnten die Sprache und da sind wir auch mal hingegangen. Die waren freundlich zu den Kindern, haben auch immer Schokolade verteilt. Und wir haben angegeben mit unseren Englischvokabeln. Und dann habe ich das Englisch auch aktiv einsetzen müssen, weil es da Sperrstunden gab. Meine Mutter war Hebamme. Die wurde oft gerufen, war nicht zuhause, war irgendwo bei einer Wöchnerin. Dann musste ich lostigern mit dem Fahrrad und sagen zu dem Posten: My mother is a midwife. I must get her.

Und wir haben, was die Ernährung betraf, von den Amis profitiert: Die haben Hähnchenhälse, -flügel alles weg geschmissen, und wir haben das aufgesammelt auf der Wiese, wo die ihr Camp hatten. Und außerdem war meine Mutter als Hebamme gut dran. Wir waren sechs Kinder, und wenn sie beim Bauern entbunden hat, dann kriegte sie einen Topf Fleischbrühe mit oder auch ein bisschen mehr. Das war also eine Ernährungshilfe.

Beschlagnahmungen

Drangsaliert haben die Amis eigentlich uns nur materiell. Sie haben verkündet, alle Radios, alle Fernseher und Uhren müssen abgegeben werden auf dem Rathaus. So, um uns nicht zu gefährden, haben die Eltern das natürlich auch gemacht. Wir hatten einen Onkel da aus Berlin-Tempelhof, der war Berufsfotograf und hatte nun besonders wertvolle Sachen. Der hat aber auch Dampf, dass da was passiert, wenn er die behält. So, die wurden also brav abgeliefert mit der Tasche, und ein paar Tage später sahen wir irgendein leichtsinniges Weib mit dieser Tasche spazieren gehen. Das heißt, es gab also auch Freundschaften zwischen den Amis und den Mädchen, die also nicht lange auf ihre Männer warten wollten oder so, nicht. Und da war was los in der Bevölkerung, während die Amis mit Jubel empfangen wurden. Also diese Ideologie war irgendwie schon drin, verbreitet: Die tun euch nichts usw. Die haben es eben elegant gemacht, sich die Mädchen geholt usw.

Angst vor den Russen
Und als es hieß, die Russen kommen, gingen die Leute alle, entweder flohen sie - also diese Bevölkerungsentwicklung ist ganz interessant, weil man floh damals schon gen Westen – oder sie verkrochen sich in den Keller und hatten furchtbare Angst. Sie quartierten sich eines Abends bei uns ein - wir hatten so eine große Wohnküche, so etwa wie die hier - mit dem Gewehrkolben zwischen den Beinen und bewachten das gegenüberliegende Haus. Es hieß, da sind Werwölfe, also junge Leute, die noch Widerstand machen wollten gegen die Besatzung. Und erst später habe ich begriffen – es gibt ein Buch Die Greußener Jungs -, dass der Kinovorführer von Greußen, angeblicher Kommunist – aber ich sage angeblich: der hatte wirklich ein Mitgliedsbuch, aber er hat sich nicht so benommen – Jugendliche denunziert hat, sie wären Werwölfe. Und die wurden daraufhin verhaftet, und nur wenige von denen haben überlebt. Wurden von den Russen verhaftet. Und unter diesen Jungs war ein einziger älterer Mann, das war mein Patenonkel, ein SPD-Mann, der mit meinem Vater befreundet war. Der hat sofort protestiert und hat gesagt, dass es ungerechnet ist, das sind keine Wehrwölfe – und da haben sie ihn gleich erschlagen.

Eintritt in die FDJ

Ich bin an meinem Geburtstag eingetreten, an meinem 14. Geburtstag. Alle mit dem Gedanken im Kopf: Nie mehr ein Krieg, nie! Es darf nie mehr einen Krieg geben! Und die Arbeit dort in der FDJ-Gruppe im Schützenhaus, die wurde unterstützt von einem etwas älteren, politisch schon geschulten Menschen. Der machte auch ein paar politische Schulungen mit uns. Wir waren ja naiv in dieser Beziehung und hatten auch nichts von Marx gehört usw. Und außerdem haben wir uns aber ganz stark konzentriert für Hilfe für die Flüchtlingskinder, zum Beispiel haben wir – das wird Ihnen kein Begriff sein - "Klapperlatschen" gebaut. Das waren Schuhe aus Holz. Also die bestanden aus mehreren Teilen die Sohlen, und die wurden mit Lederriemen verbunden und dann Lederriemen oben. Also Klappersandalen im Grunde genommen. Es hat schon etwas geholfen. Und das konnten wir.

Und dann haben wir Kulturarbeit entwickelt. Wir haben kleine Theaterstücke aufgeführt im Schützenhaus. Also wir hatten viele Umsiedler. Meine erste politische Funktion, die fand ich ganz schau, war, dass ich FDJ-Kassierer war. Das war nicht so: Nun Leute, kommt mal her und bezahlt! Sondern man ging von Haus zu Haus. Ich lernte die Leute kennen, ich lernte ihre Eltern kennen. Ich konnte meine Meinung zu bestimmten Dingen sagen. Sie befragten mich auch mal. Und ich war auch schon ein bisschen bekannt durch meine Mutter. Das war eine interessante Arbeit, so direkt mit den Menschen zu sprechen, mit den Leuten.

Entnazifizierung

Und zwar wurden Schulleiter abgelöst, und wir bekamen neue. Es wurden auch Lehrer abgelöst, und wir bekamen neue Lehrer. Also die schnell ausgebildet worden sind. Unser Russischlehrer sah immer aus wie ein flotter Zigeuner, und er war ein neuer Lehrer zum Beispiel. Er hatte natürlich nicht die Qualität wie ein anderer. Russisch sprach man ja damals gar nicht, vorher. Das war das eine. Dann weiß ich, dass der Vater meiner ersten Liebe, meiner heimlichen Liebe, war Postdirektor in Greußen. Der ist verschwunden, die Kinder wissen nicht, was aus ihm geworden ist. Ein hoher Nazi, aber fragen Sie mich nicht, welchen Ranges, das wussten wir als Kinder nicht, der kam jedenfalls zu uns und fragte meinen Vater, ob er nicht für ihn gutsagen könnte. Er solle verhaftet werden. Also er soll für ihn gutsagen. Und das ging meinem Vater völlig gegen den Strich. Er hatte keine Veranlassung, für den Mann die Hand ins Feuer zu legen. Und der verschwand dann auch.

Neue kulturelle Eindrücke

Das ganze war ein Aufbruch. Wir wussten, die Nazis sind weg. Vieles, was wir auch gar nicht kapiert hatten. Und wir erfuhren von den Verbrechen. Das war beseitigt. Es wurde in unsere Hand gelegt, etwas Neues aus der Welt zu machen. Und vor dem Frühstück noch versammelten wir uns im Musiksaal, und da wurde immer von einem Schüler ein Stück Literatur vorgetragen. Ich kann mich noch erinnern, den Upton Sinclair habe ich damals vorgelesen. Der war mir gar nicht bekannt. Und wenn da so eine Stelle war, die mich als – ich war auch prüde damals – mit einer Frau und "fasste ihre Brüste an" oder so, das habe ich dann einfach weggelassen oder überspielt irgendwie. Also wir wurden wirklich mit Klassik bekannt gemacht, aber haben auch mal lustige Dinge aus der Schifibel. Wenn gerade toller Schnee war, wurde aus der Schifibel vorgelesen. Und immer ein Musikstück von einem Schüler gespielt. Es war sehr schön.

Werbung in West-Berlin für die SED

Ja, das war eine interessante Sache. Weil sind wir mit unseren Flugblättern in die Wohnhäuser gegangen, von Etage zu Etage, und die Leute waren uns nicht sehr wohlgesonnen. [Peter Grabley lacht] Manchmal war es so, dass wenn wir von unten nach oben gingen, die Unteren schon so sagten, sie rennen zur Polizei. Oder wir wurden beschimpft: Ihr aus dem Osten, ihr wickelt noch eure Wurst in Zeitungspapier ein, ihr armen Kerle! Und ihr wollt uns sagen, was wir machen sollen! Also da wurden auch eine Reihe von unseren Leuten verhaftet. Ich habe denen nicht viel sagen brauchen. Ich habe die Flugblätter verteilt und habe gesagt, die SED kümmert sich um ein friedliebendes Deutschland. Und das war ja eindeutig so.