Zeitung "Libération"

Unterschlupf für "Charlie Hebdo"

Von Ursula Welter · 14.01.2015
Schwerbewaffnete Einheiten sichern ein Haus nahe dem Platz der Republik: Bei der Redaktion der Zeitung "Libération" haben die Überlebenden des Anschlags auf die Satire-Zeitung "Charlie Hebdo" nun Unterschlupf gefunden. Viele kommen und bieten Hilfe an. Doch die Tür wird nicht für jeden geöffnet.
Die Rue Appert liegt abseits der großen Boulevards. Der Neubau, in dem die Redaktion einmal wöchentlich tagte, steht still da. Barrieren sperren den Weg zu dem hellen Gebäudekomplex ab, Polizisten stehen Wache. Blumen, Kerzen, Zeichnungen, Bleistifte - an einer Hausecke türmen sich die Botschaften der Trauer. Eine Traube von Menschen steht andächtig davor. An der Hauswand lehnt, weinend, ein junger Mann, ein anderer hat sein Streichinstrument aufgebaut. Menschen halten sich an den Händen, lesen die Botschaften, die zu hunderten auf dem Boden liegen, an den Laternenpfosten kleben, auf Mauern geschrieben stehen. Ein amerikanischer Nachrichtensender hat seine grellen Scheinwerfer aufgebaut. Der Reporter fragt nach Lücken im französischen Sicherheitssystem.
"Extra aus Israel hierhergeflogen"
Auch in der kleinen Gasse am nördlichen Zugang zur Rue Appert liegen Blumen, Kinderzeichnungen, jemand hat auf einen Zettel gekritzelt: "Bin extra aus Israel hierhergeflogen, um Charlie zu ehren." Cabu, Wolinski, Charb - die Namen der bekannten Karikaturisten stehen mit schwarzer Farbe an die Wand geschrieben.
"Cabu, den kannte ich, seit ich ein kleiner Junge war."
Ein stattlicher Mann steht gerührt vor den brennenden Kerzen.
"Das waren die Comics meiner Jugend."
"Was wirklich amüsant, ja absurd ist, diese Journalisten haben stets Witze über Pfaffen, über Polizisten gemacht haben - und jetzt sind wir froh, dass die Polizei da ist, jetzt hätten sie sogar Anrecht auf eine Papstmesse."
Er kämpft mit den Tränen.
"Anrecht auf Lobreden der Geistlichen - das hätten sie in den '68-Jahren nicht gedacht."
Ein Vater zieht seinen Sohn weiter, der Junge will verstehen, wer hier gestorben ist.
"Gut dass die Zeitung wieder erscheint", sagt der stattliche Mann und schaut dem Vater mit seinem Sohn nachdenklich nach. "Bin gespannt, die werden uns überraschen. Überall das ein bisschen blödeln."
Auch zum Lachen bringen?
"Ja, ja, mit ein paar Tränen zwar, aber zum Weinen haben wir ja das Recht."
Zeitung "Libération" hat "Charlie Hebdo" aufgenommen
Ein paar Straßenzüge weiter, nahe dem Platz der Republik, stehen schwerbewaffnete Einheiten an jeder Straßenecke. Im Haus Nummer 11 der Rue Béranger hat die Zeitung "Libération" ihre Redaktionsräume.
Nur wer angemeldet ist, darf eintreten. Die Damen am Empfang haben alle Hände voll zu tun, die "Redaktion der Überlebenden von Charlie Hebdo" ist in einer der oberen Etagen untergekrochen. Anrufer wollen spenden, die Zeitung abonnieren, plötzlich stürmt ein junger Mann in die Halle:
"Ich bin Zeichner", sagt er, seinen kleinen Hut schräg auf dem Kopf. "Ich habe gehört 'Charlie Hebdo' sitzt jetzt hier, die brauchen vielleicht Hilfe, ich habe Arbeitsproben dabei. Ich wollte Ihnen keinen Schrecken einjagen."
Die Frau am Empfang notiert geduldig die Daten des jungen Mannes. Aus dem Aufzug steigt Sabrina Champenois, modische Jeans, rote Jacke, kurze Haare. Sie öffnet die Tür zu einem Nebenraum.
"Es war für uns selbstverständlich, die Leute von Charlie Hebdo aufzunehmen. Das haben wir schon gemacht, als es zuletzt bei denen brannte. Wir haben ihnen einen großen Saal gegeben, wir versuchen sie möglichst in Ruhe zu lassen, sie sind traumatisiert."
Viele der Libération-Kollegen haben Freunde verloren, beim Anschlag vor einer Woche.
"Einer unserer Journalisten ist dort auch verletzt worden, er ist noch im Krankenhaus."
"Wir öffnen das Haus hier nicht für jeden, damit jeder die Überlebenden jetzt sehen kann, das ist kein Zoo hier."
Arbeiten mit Polizei vor der Tür
Auch Sabrina Champenois sind die letzten Tage in Paris am Gesicht anzusehen. Die Augen müde, die Stimme von trauriger Nachdenklichkeit. Es sei schon komisch, sagt sie, nun in einem Büro zu arbeiten, dass von Männern mit Schnellfeuerwaffen gesichert werde.
"Die Frage ist ja auch, was geschieht, wenn jetzt diese neue Ausgabe von 'Charlie Hebdo' am Markt ist. Werden die Überlebenden die Energie, den Mut, haben? Es ist so schrecklich, was ihnen widerfahren ist, werden sie die Kraft haben, weiter zu machen? Man weiß es nicht, wir hoffen das wirklich, aber das wird schwer, man hat sie enthauptet, das ist unglaublich, so viele Menschen, Talente, Freunde zu verlieren."
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