Zeitumstellung

"Könnte ganz schnell abgeschafft sein"

Ein roter Laserpointer markiert am 23.10.2014 in Ravensburg (Baden-Württemberg) auf einer alten Taschenuhr einen der Uhrzeiger, der für die Winterzeit neu gestellt werden muss. Am 26.10.2014 werden die Uhren um eine Stunde auf Winterzeit zurückgedreht.
Eine alte Taschenuhr deren Zeiger auf die Normalzeit umgestellt werden müssen. © dpa / Felix Kästle
Herbert Reul im Gespräch mit Ute Welty · 28.03.2015
Wieder eine Stunde weniger schlafen: Unbeirrt wird zweimal im Jahr an der Zeitumstellung festgehalten, dabei sind die gesundheitlichen Auswirkungen gravierend, kritisiert Europaparlamentarier Herbert Reul. Der CDU-Politiker ist Sommerzeit-Gegner.
Im Kampf gegen die Zeitumstellung freut sich der Europaparlamentarier Herbert Reul (CDU) über steigenden Druck auf die EU-Kommission. "Das Problem ist ernster als wir glauben", sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europa-Parlament im Deutschlandradio Kultur. Die am letzten Dienstag stattgefundene Expertenanhörung im EU-Parlament zeige zwingenden Handlungsbedarf.
Immer mehr und immer ernsthaftere Einwände liegen vor
So seien beispielsweise gravierende gesundheitliche Auswirkungen auf Menschen belegt, wenn an diesem Sonntag wieder einmal die Zeit umgestellt wird und die Uhren von zwei auf drei Uhr um eine Stunde vorgestellt werden. Reul zeigte sich optimistisch, dass die Chancen steigen, dass die 1980 eingeführte Sommerzeitregelung wieder zurückgenommen wird: "Es wird ernster genommen, fundierter - und der Druck wird immer größer", sagte Reul. Laut einer aktuellen forsa-Umfrage hätten sich bereits Dreiviertel der Deutschen für die Abschaffung ausgesprochen.
Rechtliche Voraussetzungen zur Abschaffung der Sommerzeit
"Es könnte schnell gehen, denn es muss ja nur jeder Mitgliedstaat sagen, jawohl, neue Richtlinie und Aus", erklärte Reul die Voraussetzungen für eine Abschaffung der Sommerzeit. Möglicherweise bräuchte es rechtlich nicht einmal eine neue europäische Richtlinie. Die rechtliche Entscheidung treffe jeder Staat allein. Allerdings sei ein Alleingang der Bundesregierung nicht sinnvoll, schließlich sei eine Abschaffung nur europaweit auch sinnvoll, daher müsse die Europa-Kommission überzeugt werden. "Jemand muss also einmal vorpreschen", forderte Reul. "Entweder ein Mitgliedsstaat im Rat, oder die Kommission, das wäre sicher das Einfachste."
Wenig Bereitschaft, getroffene Regelung zurückzunehmen
Reul kritisierte, dass unbeirrt trotz besseren Wissens an der Regelung festgehalten werde, deren ursprüngliches Ziel die Energieeinsparung war. "Dann zeigt sich, das bringt nichts und wir machen munter weiter. Doch der normale Zustand wäre eigentlich, zum Normalzustand zurückzukehren und zu sagen: 'Machen wir nicht mehr'." Grund sei eine wenig ausgeprägte Bereitschaft in Brüssel, einmal getroffene Regelungen wieder zu ändern: "Apparate sind da mühsam", erklärte Reul. „Man glaubt, diese langen schönen Sommerabende gebe es nur mit der Zeitumstellung, aber das kann ich doch auch machen ohne Zeitumstellung", warb Reul weiter für das Anliegen.
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Benediktinerpater Meinrad Dufner, der hat es gut, der muss nämlich nicht daran denken, seine Uhr heute Nacht um eine Stunde auf Sommerzeit vorzustellen. Benediktinerpater Meinrad Dufner hat nämlich gar keine Armbanduhr. Sie und ich werden dagegen morgen den halben Tag durch die Wohnung tigern und auf sämtliche Knöpfe drücken, und in einem halben Jahr dann wieder dasselbe tun, wenn dann Ende Oktober auf Winterzeit umgestellt wird. Und das tun wir jetzt seit 35 Jahren, angeblich um Energie zu sparen. Seit ihrer Einführung wird über den Nutzen der Sommerzeit gestritten. Und aus dem Streit entwickelt sich allmählich so etwas wie Widerstand mit dem Ziel, die Sommerzeit abzuschaffen. Dafür kämpft auch Herbert Reul, der Vorsitzende der deutschen Unionsabgeordneten im EU-Parlament. Guten Morgen!
Herbert Reul: Schönen guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Das Umstellen ist zugegebenermaßen lästig, und auch das mit dem Energiesparen hat sich eher als Irrglaube herausgestellt. Aber es ist doch schön, wenn es im Sommer länger hell ist, oder?
Reul: Wunderschön, da habe ich auch gar nichts dagegen. Es kann doch jeder selber seinen Tagesablauf planen, wie er möchte. Aber ich habe nicht ganz begriffen, warum die Politik europaweit eine Riesenmaßnahme umsetzt, um Energie zu sparen, dann zeigt sich, das bringt nichts, und wir machen munter weiter! Der normale Zustand wäre eigentlich, dass man zum normalen Zustand zurückkehrt und einfach sagt, machen wir nicht mehr, ist ja Aufwand, kostet Geld, bringt Probleme.
Welty: Aber diese Erkenntnis hätte sich doch dann schon so vor, ich sage mal, 30 Jahren spätestens durchsetzen müssen?
Reul: Aber so haben ... Das gibt es ja in der Politik öfter. Es ist irgendwas beschlossen, und solange das jetzt die Welt nicht sehr aufregt und keine große Lobbyinteressen, kein Druck entsteht, tut man nichts daran. Nach dem Motto: Ging ja!
Welty: Warum regt es denn die Welt nicht so sehr auf, wie es Sie offensichtlich aufregt?
Reul: Ich bin ja auch damit befasst worden, als eine Bürgerin sich ganz am Anfang meiner Arbeit in Brüssel an mich wandte und sagte, da müssen Sie was tun, das macht mir richtig Beschwernis. Ich habe sie am Anfang auch nicht ernst genommen, habe gedacht, was mag das wohl sein? Und da habe ich nachgefragt, und da habe ich gemerkt, wie die Kommission bei dieser Frage so richtig unmöglich, untätig, wie sagt man, blockierend handelt. Und da ist dann mein Jagdinstinkt geweckt, ich habe gesagt, da wollen wir doch mal gucken, was dahintersteckt! Und je mehr ich mich damit befasse, desto mehr lerne ich: Das Problem ist ernster, als wir glauben. Es gibt viel wichtigere Fragen in der Politik, das ist wahr. Aber es ist eine von den kleinen Fragen, die man mit wenig Aufwand zur Zufriedenheit der Menschen zurücknehmen könnte.
Welty: Inwieweit macht die Sommerzeit tatsächlich Probleme, Ihrer Recherche nach?
Reul: Ich habe mir in der letzten Zeit ja verstärkt Literatur angeguckt, wir hatten diese Woche im Europäischen Parlament erstmalig eine offizielle Anhörung von drei Fachausschüssen, und da waren unterschiedliche Fachleute, zum Beispiel auch eine Schlafforscherin. Und wenn Sie sich anhören, was die sagen, dass dieses Umschalten im Lebens- und Schlafrhythmus, Wach- und Schlafrhythmus Folgen hat für die Gesundheit, dann werden Sie nachdenklich. Nicht bei jedem, nicht bei jedem gleich, nicht auf einen Streich. Aber ich meine, das weiß ja jeder: Wenn er nach Amerika fliegt und dieses Time Lack hat, dass der Körper das irgendwie nicht in Ordnung findet. Ich meine, wenn der Körper das nicht in Ordnung findet, muss man ihm das doch nicht zumuten! Es sei denn, es muss sein, weil es einfach aus beruflichen Gründen so was wie früh aufstehen und lang arbeiten oder in Schichten arbeiten geben muss.
Welty: Wie schnell kann das denn gehen, die Sommerzeit abzuschaffen?
Reul: Wie immer im Leben, wenn man will, ganz schnell.
Welty: Nächstes Jahr?
Reul: Nein, ich glaube es nicht, ist doch klar. Weil dieser Widerstand oder die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, viel zu beharrlich ist. Apparate sind da mühsam. Aber es könnte schnell gehen, denn es muss ja nur jeder Mitgliedsstaat sagen, jawohl, einverstanden. Und dann neue Richtlinie und aus. Übrigens, es stellt sich sogar die Frage, da die Mitgliedsstaaten verantwortlich sind, ob es überhaupt einer europäischen Richtlinie bedarf. Aber das wollen wir uns mal schenken, das ist doch juristischer Kleinkram.
Welty: Wen müsse Sie denn alles mit ins Boot holen, damit dieses Ihr Vorhaben gelingen kann?
Reul: Natürlich wäre es leichter, wenn in der Kommission nicht die Kleinkrämer den Ton angeben würden, sondern diejenigen, die die Sorgen von Menschen ernst nähmen, und die würden einen Vorschlag machen. Weil, irgendeiner muss jetzt mal einen Vorschlag machen. Im Moment, es gibt eine Bürgerpetition im Deutschen Bundestag von Zigtausenden Unterschriften, das Ergebnis dieser Beratung war, Brüssel muss es machen. Die Brüsseler sagen, die Mitgliedsstaaten müssen es entscheiden. Ich meine, das ist ja langsam auch nicht mehr akzeptabel. Irgendjemand muss anfangen. Entweder ein Mitgliedsstaat im Rat, oder die Kommission, das wäre sicherlich das Einfachste.
Welty: Und wie wäre das technische Prozedere, welche Beschlüsse oder Abstimmungen braucht es wann wo?
Reul: Jeder Mitgliedsstaat muss natürlich eine Entscheidung treffen. Denn die Zuständigkeit über die Frage, Zeitumstellung ja oder nein, trifft der Staat, nicht Europa. Nur, es wäre ja verrückt, wenn jeder da was anderes machen würde. Insofern ist es klug, dass in europäischer Abstimmung zu machen. Nur, irgendjemand muss es mal in die Hand nehmen. Und da die Herrschaften alle irgendwie da unbeweglich sind, erzeugen wir Druck. Und das hat sich über die letzten Jahre – ich mache das ja schon fast zehn Jahre, ich meine, so nebenbei, unter anderem, es gibt viel Wichtigeres, mit dem ich mich befassen muss und will –, aber der Druck wird immer größer, es melden sich immer mehr Leute, es sammeln sich immer mehr Leute, es gibt immer mehr Publikationen, und zwar ... Es kommt so ein bisschen jetzt langsam aus der Da-haben-ein-paar-eine-verrückte-Idee-Ecke raus und wird ernster genommen, fundierter genommen.
Welty: Sie haben jetzt schon ein paarmal darauf hingewiesen, dass Brüssel sich da so unbeweglich zeigt. Haben Sie eine Erklärung dafür gefunden, woher diese Unbeweglichkeit kommt? Ist das einfach dann eine blöde Gewohnheit, an der Sommerzeit festzuhalten, oder steckt mehr dahinter?
Reul: Ich glaube, das ist ganz einfach. Was beschlossen ist und läuft, und wenn da kein Riesenprotest ist, lässt man es, weil man ja immer was Neues macht. Die Brüsseler Politik ist stark dadurch geprägt im Übrigen, dass man sich mehr mit der Frage "immer ein neues Gesetz" befasst als mit der Frage, sind eigentlich die Gesetze und Richtlinien, die wir haben, noch vernünftig? Insofern ist das auch ein Beispielfall, wenn man ehrlich ist.
Welty: Sie wissen schon, dass Sie alle Vorurteile gegen Brüssel gerade bestätigen?
Reul: Ja, ich bin in Brüssel als Abgeordneter und verstehe mich, dass ich erstens dafür sorge, dass die europäische Politik funktioniert, weil sie die einzige Antwort für eine gute Zukunft ist. Aber umgekehrt, dass in Brüssel dieser Kleinscheiß endlich nicht mehr reguliert wird, der die Leute zum Wahnsinn treibt. Ich meine, ich könnte Ihnen noch ein paar Fälle nennen wie Glühbirnen und anderes. Das wird die Menschen nicht für Europa fesseln und wird uns auch nicht voranbringen. Und wenn Sie es nicht benennen, wird es nie geändert. Denn die sitzen da, die haben es gemacht, und die Bereitschaft, da ranzugehen, ist nicht so ausgeprägt.
Welty: Nehmen wir mal an, Sie sind erfolgreich und die Sommerzeit wird abgeschafft: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass sich dann sofort die Stimmen mehren, die Sommerzeit doch bitte dann wieder einzuführen?
Reul: Auch das kann sein. Man muss es ja auch miteinander besprechen. Es gibt natürlich auch Leute, die sagen, passt auf, das mit dem langen Sommerabend ist doch wunderschön! Das finde ich auch wunderschön, aber dann bleibt man eben eine Stunde länger draußen sitzen, wo ist denn das Problem? Das muss man dann eben für sich selbst entscheiden, und samstags und sonntags, wenn man in Biergärten sitzt, ist in der Regel am nächsten Tag auch kein Diensttermin. Also, das geht alles! Nur, da hat man sich dran ... Man findet das schön und glaubt, diese langen, schönen Sommerabende, die gingen nur, wenn die Zeit umgestellt wird. Habe ich noch nie verstanden! Das kann ich doch auch machen ohne Zeitumstellung! Also, natürlich wird es Gegenargumente, gibt es auch. Aber der Zuspruch ist schon eindrucksvoll. Also, wir haben ja jetzt in Deutschland eine Umfrage von forsa, 75 Prozent der Menschen. Ich meine, das haben wir nicht bei allen Fragen!
Welty: Alle 35 Jahre dann doch schon wieder was Neues! Für die Abschaffung der Sommerzeit engagiert sich der Europaabgeordnete Herbert Reul, ich danke für dieses Gespräch und ich wünsche erst mal viel Erfolg beim Uhren-Umstellen! Diese Nacht müssen wir ja noch mal!
Reul: Alles Gute, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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