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Bismarcks Schwert und Weimars Wunder

Zeitgenössisches Porträt des deutschen Staatsmanns Otto von Bismarck (1815-1898).
Zeitgenössisches Porträt des deutschen Staatsmanns Otto von Bismarck (1815-1898). © picture alliance / Bibliographisches Institut & F.A
Von Winfried Dolderer |
Drei große Marken buhlen mit ansehnlichen Heften um die Gunst der historisch interessierten Leser: "Geo" setzt aktuell auf die Geschichte des Kapitalismus, der "Spiegel" auf die Weimarer Republik und die "Zeit" auf den ersten Reichskanzler.
Was verbindet uns heute mit Otto von Bismarck? Als dessen hundertster Geburtstag gefeiert wurde, war das noch keine Frage. Ein knappes Dreivierteljahr nach Beginn des Ersten Weltkrieges wurde der "Eiserne Kanzler" als Verkörperung deutschen Wehrwillens und deutscher Selbstbehauptung verehrt. Der Historiker Max Lenz würdigte den Jubilar mit den Worten:
"Bismarcks gewaltiger Schatten zieht mit unseren Heeren. Sein Schwert ist es, dessen Schläge draußen so furchtbar widerhallen."
Am 1. April 2015 wird es 200 Jahre her sein, dass der spätere preußische Ministerpräsident und erste deutsche Reichskanzler in Schönhausen an der Elbe zur Welt kam. Das Magazin "ZEIT Geschichte" erscheint aus diesem Anlass bereits jetzt mit einem Heft, dessen Umschlag den alten Bismarck mit Schlapphut und in Gesellschaft zweier Dobermänner auf der Terrasse sitzend zeigt. Auf 115 Seiten wird der Weg des Titelhelden nachgezeichnet, vom reaktionären Krawallmacher zum Staatsmann, dessen Hauptsorge nach 1871 der Stabilität in Europa galt und der als Pionier der Sozialversicherung manchen Zeitgenossen geradezu als Umstürzler erschien:
"Reaktionär, Revolutionär, Opportunist der Macht"
So charakterisiert ihn der Untertitel. Er selbst erteilte mit dem Bekenntnis zu Macht und Eigennutz als einziger Triebfeder jedem moralgeleiteten Politikverständnis eine geradezu provozierende Absage. Die Alldeutschen, die ihn deswegen als Kronzeugen einer rücksichtslosen Weltpolitik in Anspruch nahmen, haben ihn freilich missverstanden. Der Pragmatiker war sich der begrenzten Möglichkeiten seines Reiches immer bewusst. Zum Nationalhelden wurde Bismarck erst nach dem Abschied aus dem Amt und erst recht posthum stilisiert, wie Volker Ullrich in seinem einleitenden Essay schreibt:
"An Bismarck scheiden sich heute nicht mehr die Geister. Er ist weder Dämon noch nationaler Heros. Der Mythos ist gebrochen... Vielleicht lässt sich sagen, dass dieser umstrittene Staatsmann erst jetzt ganz der Geschichte angehört."
Das Bismarck-Heft ist Auftakt einer Jahrestage-Trilogie, die die Leser von "ZEIT Geschichte" in den nächsten Monaten erwartet. Im Februar soll eine Ausgabe zum 70 Jahre zurückliegenden Ende des Zweiten Weltkrieges folgen. Im Frühsommer ein Heft über die Schlacht bei Waterloo, deren 200. Jahrestag im Juni bevorsteht. Einprägsame Jubiläen und aktuelle Debatten als Anhaltspunkte, um historisches Interesse zu mobilisieren. Gebildeten, anspruchsvollen und interessierten Lesern historische Orientierung für die Gegenwart bieten, darum geht es nach dem Selbstverständnis der Redaktion. Und dies seit 2005 alle drei Monate mit einer durchschnittlich verkauften Auflage von mittlerweile 55.000 Exemplaren.

ZEIT Geschichte, Zeitverlag Gerd Bucerius, Heft 4 / 2014, 5,90 Euro

Um die Zielgruppe der Gebildeten, Anspruchsvollen und historisch Interessierten konkurrieren noch zwei weitere Publikationen von vergleichbarem Zuschnitt. Die mit einer verkauften Auflage von über 166.000 gewichtigste, zugleich älteste auf dem Markt ist die Zeitschrift "Geo Epoche". Sie erscheint seit 1999 mittlerweile alle zwei Monate. Ebenfalls sechsmal im Jahr liegt seit Anfang 2009 "Spiegel Geschichte" in den Regalen, Auflage knapp 100.000. Allen drei gemeinsam ist, dass Leser hier nicht ein Titelthema nebst verschiedenen anderen finden. Es geht in Essays, Reportagen, Interviews immer nur einen einzigen Gegenstand. So entstehen Hefte, die auch dem Umfang nach monographischen Sammelbänden gleichen. Die Redaktion von "Geo Epoche" meldet nicht ohne Stolz, dass seit Gründung der Zeitschrift neben den jeweils aktuellen Heften zwei Millionen Altexemplare geordert wurden von Lesern, die offenbar ihre Sammlungen komplettieren wollen.
Dem Aufwand in der Gestaltung der Texte entspricht die Opulenz des Layouts. Wer etwa durch die aktuelle Ausgabe von "Geo Epoche" blättert, stößt zunächst auf neun farbige Hochglanz-Doppelseiten. Historische Porträts von Kaufleuten und Bankiers, Stadtansichten, Markt- und Fabrikszenen.
"Der Kapitalismus. Wie ein Wirtschaftssystem die Welt eroberte"
So das Thema, in das die üppige Bildstrecke hineinführt. Der Bogen spannt sich von den Anfängen des Bankwesens und einer profitorientierten Wirtschaftsweise in den norditalienischen Handelsmetropolen der Zeit um 1300 bis zur Lehman-Brothers-Pleite und Finanzkrise 2008. Wie die niederländische Vereinigte Ostindische Companie in 17. Jahrhundert ihre Gewinnziele auf dem indonesischen Archipel mit Mord und Brand realisierte, kommt ebenso zur Sprache wie die Überwindung des britischen Sozialstaats der Nachkriegsjahrzehnte durch Margaret Thatcher. Karl Marx als Begründer der wissenschaftlichen Kapitalismuskritik, John D. Rockefeller als "Raubtier unter den Unternehmern" sind mit umfangreichen Porträts vertreten.
"Der Kapitalismus beruht auf zwei der stärksten menschlichen Emotionen - Gier und Angst. Die Gier befeuert das Streben nach Gewinn. Weil aber die hohen Profite des einen Marktteilnehmers andere anlocken, entsteht Wettbewerb... Das ist die permanente Angst der Akteure."

Geo Epoche, Heft 69, Gruner und Jahr, 10 Euro.

"Die Weimarer Republik. Deutschlands erste Demokratie".
So der Titel der Herbstausgabe von "Spiegel Geschichte". Ein Heft, das sich auch als Versuch einer Rehabilitierung lesen lässt. Die "Republik von Weimar", das war ursprünglich ein Kampfbegriff der Nazis, um die Demokratie verächtlich zu machen. Im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt hat er sich in den 50er-Jahren, als "Weimar" zum Inbegriff politischen Versagens gestempelt wurde. Eine Negativfolie, vor der sich die Bonner Nachkriegsdemokratie umso strahlender abhob. Wird diese Sicht den politischen Möglichkeiten und dem kulturellen Reichtum der Weimarer Jahre gerecht? Der Historiker und Hindenburg-Biograf Wolfram Pyta hält dagegen:
"Es gab kein Staatsversagen... Polizei und Verwaltung funktionierten. Die Weimarer Republik war nicht das, was man heute einen 'failed state', einen gescheiterten Staat, nennt."
Mag sein, dass unser Geschichtsbild noch zu sehr von der Nachkriegszeit geprägt ist, in der allen noch der Schrecken über das Scheitern der Weimarer Demokratie in den Knochen steckte. Deswegen gleich ein deutsches Wunder auszurufen, wie es im Editorial geschieht, ist freilich des Guten zuviel.

Spiegel Geschichte, Heft 5, 2014, SPIEGEL-Verlag, 7,80 Euro