Zeitlose Familiengeschichte

Mit "Gustavs Traum" legt der junge Schweizer Autor Christian Zehnder einen Erzählband abseits des Mainstreams vor. Wendungen wie "So begab es sich" gehören zum Stil der Erzählung. Im kunstvoll verklärten Ton breitet er eine Familiengeschichte aus, die zeitlich nicht zu fixieren ist.
Merk- und denkwürdige Prosa: Da legt ein junger Schweizer Autor, Jahrgang 1983, sein Debüt, eine schmale Erzählung, vor, und kaum etwas scheint dieser Text mit den aktuellen Oberflächenphänomenen des 21. Jahrhunderts zu tun zu haben.

Kühn entzieht sich Christian Zehnder in "Gustavs Traum" allen Zuordnungen, und nichts verbindet ihn, zumindest auf den ersten Blick, mit seinen Kollegen, die sich mit Beziehungsthemen oder der Weltpolitik befassen. In einem surreal verspielten, kunstvoll verklärten Ton, der Wendungen wie "So begab es sich" einstreut, breitet Zehnder eine Familiengeschichte aus, die zeitlich nicht zu fixieren ist.
Wiewohl auch von Neubausiedlungen, Fußballplätzen und Autohäusern die Rede ist, breitet sich schon nach wenigen Seiten ein mit Anachronismen und Brechungen durchzogenes Niemandsland aus, das mal mittelalterliche und mal biedermeierliche Züge annimmt.

Gustav, der den Restauratorenberuf seines Vaters nicht fortführen will, und Veronika waren einander in tiefer Liebe verbunden - eine Leidenschaft, die nach und nach abkühlte. Bis hin zu Gustavs Tod am Ende des ersten Teils begleiten wir das Heranwachsen des Sohnes Dominik.

Unfähig, den Verlust des Vaters angemessen zu betrauern, macht dieser sich danach mit seiner Mutter auf Wanderschaft. Man durchquert Landstriche und Städte, sucht nach den poetischen Tiefenschichten des Gesehenen und lernt schließlich neue Verbündete - Paul und Juliane - kennen. Am Ende setzt starker Regen ein. Eine Barke trägt die Protagonisten übers Wasser.

"Gustavs Traum" ist eine Erzählung, die ihre Romantik- und Fin-de-siècle-Wurzeln nicht verleugnet. Das Entsetzen über die "geringe Phantasie der Wirklichkeit", das die Figuren auf ihrem Weg empfinden, führt zu einer Entgrenzung, zu einem Nicht-Akzeptieren der herkömmlichen Kausalität.

Christian Zehnder lässt seine fragilen Helden, die man aus der Prosa von Hugo von Hofmannsthal und Leopold Andrian ("Der Garten der Erkenntnis") zu kennen scheint, beharrlich nach dem "Geheimnis" - so ein Leitmotiv des Textes - fahnden, wissend, dass dieses letztlich nicht ergründet sein darf.

Wer sich als junger Autor derart selbstbewusst vom Mainstream entfernt, riskiert sein Scheitern, auf hohem Niveau. Nicht alle Einfälle Christian Zehnders sind frei von überdrehtem Ästhetizismus. Wenn man etwa mit dem Schlagen kleiner Schwalbenherzen, die sich "nach Süden" sehnen, konfrontiert wird, schlagen die literaturkritischen Warnglocken Alarm.

Doch aufs Ganze gesehen, verblüfft, wie es dieser kleinen Erzählung spielerisch gelingt, Verwandtschafts- und Liebeskonstellationen derart versiert in einen magischen Rahmen einzubetten und sinnliche Nuancen fasslich zu machen. Manche Sätze dieses Buches merkt man sich sofort, Sätze wie "Ich erinnere mich, wie ich dir ansah, dass ich dich liebe".

Rezensiert von Rainer Moritz

Christian Zehnder: Gustavs Traum. Erzählung
Ammann Verlag, Zürich 2008
100 Seiten, 17,90 Euro