Zeitlose Erkundung des Inneren
Ein Tag im Leben eines Schauspielers, ein Streifzug durch Wald und Stadt, eine unbekannte Frau: Das neue Buch von Peter Handke trägt Züge eines Märchens, eines großen Gesangs sowie Anklänge an das Leben eines Taugenichts.
Der "Große Fall" ist eine magische Formel in diesem Buch. Sie wird nicht erklärt, bestimmt aber den ersten und den letzten Satz des Textes. Es gibt Züge eines Märchens, eines großen Gesangs sowie Anklänge an das Leben eines Taugenichts. Wir erleben einen Tag im Leben eines Schauspielers. Das Haus der Frau, in dem er übernachtet hat, liegt abgelegen mitten in der Natur. Erzählt wird, wie er sich von diesem Haus zu Fuß aufmacht, durch Wälder und Gestrüpp die Randgebiete der Metropole durchstreift und schließlich bis zum Zentrum vordringt. Dort ist er in der Nacht wieder mit der Frau verabredet.
Obwohl die unmittelbare Gegenwart unverkennbar ist – Mobiltelefone, Autobahnringe und "Stadtrandwolkenkratzer" prägen das Bild – hat die Erzählung etwas Zeitloses. Und zwischen Epischem und Dramatischem gibt es bei Handke wie schon in seinen letzten Büchern keinerlei Unterschied. Die Peripherie der Stadt, ihre Anonymität erscheint wie in einem künstlichen Licht, einer Filmkulisse – typisierende Gestalten tauchen auf, Einsame und Verlorene. Je näher der Schauspieler dem Stadtzentrum kommt, desto endzeitlicher werden seine Tagträume und Fantasien. Als Grundmotiv tritt immer deutlicher das des Abschieds zutage.
Es sind in diesem Text verschiedene Spuren angelegt, die zum Zielort in der nächtlichen Bar führen. Im Durchstreifen des Zentrums mehren sich Motive aus einer Kriminalgeschichte. Der Schauspieler befindet sich auf einer "geheimen Mission". Es ist ein existenzieller Krimi, ein Rückblick auf das Leben und die Frage, was jetzt noch kommt. Dieser "Große Fall" geht über die gewohnten Fragestellungen der Kommissare hinaus. Ein Anspielungsnetz verdichtet sich dabei unverkennbar: Sämtliche zwischenmenschliche Beziehungen sind prekär. In den Stadtrandwohnungen sieht der Schauspieler die Nachbarn permanent Kriege führen, bei denen ein Friedensschluss unmöglich ist. Und er liebt die Frau, die er gleich wieder treffen wird und die ihn ihrerseits zu lieben scheint, durchaus nicht: "Indem er der Liebe zu der Frau bisher ausgewichen war, hatte er ihrer beider Heiterkeit bewahrt."
Auf den letzten Seiten des Buches geht es um ein Aussetzen der Sprache. Der letzte Satz – "Stattdessen der Große Fall" – hat kein Verb. Es fehlt das Zeitwort, also die gesamte Bewegung der Sprache. Der Auslöser für diesen Absturz ist offenkundig die Beziehung zu jener namenlosen Frau, die Begegnung kann nicht mehr stattfinden. Doch das ist nur ein Aspekt dieses Gangs von oben hinab in die Unterwelt der Stadt, dieser Erkundung des Inneren. Denn es ist die alte Paradoxie der Literatur, dass die Erfahrung solch eines Absturzes der Sprache das Schreiben erst möglich macht.
Besprochen von Helmut Böttiger
Peter Handke: Der Große Fall. Erzählung
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
278 Seiten, 24,90 Euro
Obwohl die unmittelbare Gegenwart unverkennbar ist – Mobiltelefone, Autobahnringe und "Stadtrandwolkenkratzer" prägen das Bild – hat die Erzählung etwas Zeitloses. Und zwischen Epischem und Dramatischem gibt es bei Handke wie schon in seinen letzten Büchern keinerlei Unterschied. Die Peripherie der Stadt, ihre Anonymität erscheint wie in einem künstlichen Licht, einer Filmkulisse – typisierende Gestalten tauchen auf, Einsame und Verlorene. Je näher der Schauspieler dem Stadtzentrum kommt, desto endzeitlicher werden seine Tagträume und Fantasien. Als Grundmotiv tritt immer deutlicher das des Abschieds zutage.
Es sind in diesem Text verschiedene Spuren angelegt, die zum Zielort in der nächtlichen Bar führen. Im Durchstreifen des Zentrums mehren sich Motive aus einer Kriminalgeschichte. Der Schauspieler befindet sich auf einer "geheimen Mission". Es ist ein existenzieller Krimi, ein Rückblick auf das Leben und die Frage, was jetzt noch kommt. Dieser "Große Fall" geht über die gewohnten Fragestellungen der Kommissare hinaus. Ein Anspielungsnetz verdichtet sich dabei unverkennbar: Sämtliche zwischenmenschliche Beziehungen sind prekär. In den Stadtrandwohnungen sieht der Schauspieler die Nachbarn permanent Kriege führen, bei denen ein Friedensschluss unmöglich ist. Und er liebt die Frau, die er gleich wieder treffen wird und die ihn ihrerseits zu lieben scheint, durchaus nicht: "Indem er der Liebe zu der Frau bisher ausgewichen war, hatte er ihrer beider Heiterkeit bewahrt."
Auf den letzten Seiten des Buches geht es um ein Aussetzen der Sprache. Der letzte Satz – "Stattdessen der Große Fall" – hat kein Verb. Es fehlt das Zeitwort, also die gesamte Bewegung der Sprache. Der Auslöser für diesen Absturz ist offenkundig die Beziehung zu jener namenlosen Frau, die Begegnung kann nicht mehr stattfinden. Doch das ist nur ein Aspekt dieses Gangs von oben hinab in die Unterwelt der Stadt, dieser Erkundung des Inneren. Denn es ist die alte Paradoxie der Literatur, dass die Erfahrung solch eines Absturzes der Sprache das Schreiben erst möglich macht.
Besprochen von Helmut Böttiger
Peter Handke: Der Große Fall. Erzählung
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
278 Seiten, 24,90 Euro