Zeitgeschichte in Bildern

Von Ingo Kottkamp · 23.11.2006
"Könnte Ihre Armee mal bitte zwei Schritte rückwärts gehen? Das sieht auf dem Bild besser aus." Dieser Ausspruch wird einem Fotografen zugeschrieben, der einen militärischen Aufmarsch ablichtete. Er konnte es sich leisten, denn sein Auftraggeber war nicht irgendein Magazin, sondern "Life", die Ikone des amerikanischen Fotojournalismus.
Eine alte Presseweisheit besagt: Die wirklich guten Ideen sind so simpel, dass hinterher jeder denkt, er hätte selber drauf kommen können. Das "Life Magazine" startete am 23. November 1936 im damals völlig neuen Großformat, und sein Prinzip lautete schlicht: die Welt in Bildern erzählen.

"1937: Die Explosion des Zeppelins Hindenburg. 1940: Die nächtliche Tower Bridge in London im Feuerschein der deutschen Luftangriffe. 1941: Rita Hayworth kniend auf ihrem Bett. 1942: Winston Churchill in grimmiger Herrscherpose."

Es war Henry Luce, Chef der Medienorganisation "Time Inc.", der diese Idee umsetzte. Er gab bereits das erfolgreiche "Time Magazine" heraus und ließ sich für sein neues Flagschiff von Vorbildern wie der Pariser "Vu" oder der "Berliner Illustrierten Zeitung" anregen. Einige der neuen Starfotografen wie Alfred Eisenstaedt, Fritz Goro oder Robert Capa waren jüdische Emigranten aus Europa. "Life" erreichte schnell den Status des Klassikers. Das lag nicht zuletzt am Zweiten Weltkrieg: Er lieferte die spektakulären, dramatischen, menschlich anrührenden Bilder, die das Magazin ausmachten. Schon damals, nicht erst im Zeitalter der embedded journalists, waren die Fotografen dicht dran am Kriegsgeschehen bis hin zur Dokumentation der D-Day-Invasion amerikanischer Truppen an der Atlantikküste. Bis 1943 unterlagen die Kriegsfotos der Zensur; erst als der Sieg der Alliierten sich abzeichnete, wurden die ersten amerikanischen Toten gezeigt.

"1954: Die neuen Badeanzüge. 1961: Ein Mikrochip und das Auge einer Stubenfliege im Größenvergleich. 1969: 217 Bilder von US-Soldaten, die während der vergangenen Woche in Vietnam umgekommen sind. 1972: Mark Spitz mit sieben Goldmedaillen um den Hals."

Nach dem Krieg begann das Fernsehen dem Magazin Konkurrenz zu machen. Aber "Life" blieb zunächst der Tycoon, der eine weltweite Legion von Mitarbeitern in Bewegung setzte, um immer die besten Bilder zu bekommen. Bei der Beerdigung von Winston Churchill 1965 wurde ein Flugzeug von London nach New York in eine mobile Redaktionsstation inklusive Dunkelkammer umgewandelt, um gleich in der nächsten Ausgabe eine 17-seitige Titelstory bringen zu können. Die Redakteure wussten um die Macht ihrer Bilder: niemals schickten sie einen Reporter aufs Geratewohl los; immer lag dem Auftrag ein Exposé bei, der die Story und ihre Tendenz von vorneherein festlegte. In seiner Hochzeit in den 50er-Jahren war "Life" das visuelle Aushängeschild der USA, und das hatte Herausgeber Luce schon zu Kriegszeiten proklamiert.

"Wir haben etwas in diesem Land, das unendlich kostbar ist und typisch amerikanisch - Freiheitsliebe, Sinn für Chancengleichheit, eine Tradition der Unabhängigkeit und zugleich der Zusammenarbeit. Die Zeit ist für uns gekommen, das Kraftwerk zu sein, von dem aus diese Ideale sich um die ganze Welt verbreiten."

Der Mann auf dem Mond 1969 war noch einmal ein großes "Life"-Thema: ein Bild, das sofort ins kulturelle Gedächtnis einging und auch noch eine amerikanische Flagge zeigte. Ansonsten aber entfernte sich die Welt immer mehr vom Mythos der homogenen Mittelklassegesellschaft, den "Life" so lange erfolgreich präsentiert hatte. Zudem veränderte sich der Zeitschriftenmarkt: Es gab jetzt mehr, aber an spezielleren Interessen ausgerichtete Magazine. Als die riesige Apparatur nicht mehr finanzierbar war, stellte "Life" sein Erscheinen im Jahr 1972 ein. Was folgte, war eine Serie von Reanimierungskonzepten.

"1976: Mao Zedong, aufgebahrt unter der chinesischen Flagge. 1979: Muhammed Ali mit glitzernden Schweißperlen. 1989: A special kind of hero - ein TV-Darsteller mit Down-Syndrom. 2000: Ein Kind schaut durch den Stacheldraht eines albanischen Flüchtlingslagers."

Erst erschienen Jahrgangsbände, dann versuchten es die Herausgeber mit einer monatlichen anstelle der wöchentlichen Erscheinungsweise. Heute nennt "Life" sich Weekend-Magazin" und liegt einer Reihe amerikanischer Sonntagszeitungen als kostenlose Dreingabe bei. Die Fotos der jüngsten Jahrgänge sind immer noch auf hohem Niveau, aber die Grandezza ist verschwunden. Als Lieferant der prägenden Bilder seines Zeitalters hat LIFE längst ausgedient. Die Welt, zusammengefasst in einem wöchentlichen Bilderbogen - diese Aufgabe könnte heute auch keine einzelne Zeitschrift mehr leisten.