Zeitgenössische Kunst

Optische Täuschung

Der Künstler Victor Vasarely steht im February 1976 vor einem seiner Kunstwerke.
Der Künstler Victor Vasarely steht im February 1976 vor einem seiner Kunstwerke. © picture alliance / dpa / Foto: AFP
Von Simone Reber · 30.01.2014
1969 wurde während einer Ausstellung zu Ehren des ungarischen Künstlers Victor Vasarely ein Schild mit "Vasarely go home" hochgehalten und das veränderte den Blick auf die ungarische Kulturpolitik. Andreas Fogarasi hat diesen Vorfall in seiner aktuellen Ausstellung aufgegriffen.
Nichts ist wie es scheint in dieser Ausstellung über die Kunst der optischen Täuschung. 1969, bei der pompösen Eröffnung der ersten Einzelausstellung von Victor Vasarely in der Budapester Kunsthalle, hielt der ungarische Künstler Janos Major ein Schild in die Höhe, darauf stand: "Vasarely go home". In der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst gräbt nun Andreas Fogarasi diese Randnotiz der Geschichte aus. Die winzige Episode verändert den Blick auf die ungarische Kulturpolitik der 60er-Jahre ähnlich wie eine minimale Kopfbewegung die Perspektive in den Bildern von Victor Vasarely verkehrt.
"Es wurden ständig Ausstellungen geschlossen und verboten und die Künstler wurden schikaniert und teils auch des Landes verwiesen. Und in eine solche Situation kommt eine große internationale Ausstellung, wo alle Politiker dahinter stehen. Das ist so ein richtiges Wespennest der Emotionen und Politik."
Andreas Fogarasi, 1970 in Wien als Sohn ungarischer Eltern geboren, interessiert sich in seinem Werk für die Kluft zwischen staatlicher und individueller Kultur. 2007 gewann er für die Gestaltung des ungarischen Pavillons in Venedig den Goldenen Löwen. Da dokumentierte er mit der Kamera die Überreste sozialistischer Kulturzentren in Ungarn. In der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst hat Fogarasi die Fotos der Vasarely-Ausstellung an marmorne Stellwände montiert, die sich bei näherem Hinsehen jedoch als dünne Fassadenverkleidungen erweisen.Politische Illusion oder Illusionismus"Auch die Vorstellung, ob diese künstlerische Illusion, die ja bewusst eingesetzt ist, in den Werken von ´Op-Art` Künstlern, ob das mit politischer Illusion oder Illusionismus zu tun hat. Das finde ich auch eine sehr interessante Fragestellung. z.B. wo steht Vasarely politisch mit seiner Kunst."In einem Film erzählen Zeitgenossen von ihrer Erinnerung an die Ein-Mann-Demonstration. Das Ereignis liegt über vierzig Jahre zurück, Belege fehlen. Vielleicht handelt es sich nur um ein Gerücht. Für Franziska Solyum, die Leiterin der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig, offenbart die Idee jedoch präzise die staatliche Heuchelei."Einerseits wird behauptet, wir wollen keine Doppelmoral, im Ausland zeigen wir das, was wir auch im Inland zeigen. D.h. der Export von abstrakter Kunst wird weiterhin abgelehnt in den 60er-Jahren noch. Gleichzeitig merkt die Kulturadministration dann Mitte/Ende der 60er-Jahre, irgendwie ist jetzt Stillstand, der sozialistische Realismus als Argumentationsgrundlage funktioniert nicht mehr, es muss etwas her, was diesen Stillstand aufbricht."
Ein Paradox, dass der Protest ausgerechnet der ersten abstrakten Ausstellung gilt. Und sich gegen einen Emigranten richtet, der damit nach Hause kommt. Ein Paradox auch, dass Vasarelys Kunst mit der sozialen Idee aufsteigt, das ganze Leben mit den Formen der Moderne gestalten will. Dann aber im Kommerz untergeht.
"Mich interessieren Situationen, die nicht radikale Statements sind. Sondern die quasi eine Situation schaffen, die so zwischen Kritik und Affirmation auf dem dünnen Grat steht und dem Betrachter ermöglicht, beide Lesarten durchzuführen. Und genauso ist auch mein Blick auf Vasarely. Und all diese Komplexität in einer Weise darzustellen, die immer die Wahl lässt und diese zarte Balance findet zwischen einer Behauptung und der Möglichkeit des Widerspruchs."
Mit vermeintlicher Unscheinbarkeit enthüllt Andreas Fogarasi das Gespinst von Utopie und Propaganda, in dem die Diktatur nistet. Besucher müssen sich die Geschichte von "Vasarely go home" allerdings mit viel Fleiß erarbeiten. Sonst verheddern sie sich zwischen Wahrheit und Vagheit.

Die Ausstellung “Vasarely Go Home” von Andreas Fogarasi ist bis zum 1. Juni 2014 in der Galerie für zeitgenössische Kunst Leipzig zu sehen.

Mehr zum Thema