Zeitenwende Stadt
Am 1. Mai trat das novellierte Mietrecht in Kraft. Es erlaubt den Bundesländern, den Preisanstieg für Wohnungen in Stadtquartieren, die stark gefragt sind, gesetzlich zu dämpfen. Die Städte müssten aber mehr tun, als preiswerten Wohnraum zu erhalten, meint Architekturkritiker Gerwin Zohlen.
Landauf landab von München über Stuttgart, Frankfurt und Hamburg bis Berlin wird heute wiedermal nach bezahlbaren Wohnungen gerufen. Und es sind vor allem die Großstädte, die antworten müssen, weniger der ländliche und kleinstädtische Raum Deutschlands.
Das Wohnen und Arbeiten in Städten ist erneut stark beliebt. Ein altes gesellschaftliches Phänomen kehrt zurück - nicht etwa in den städtischen Großraum, sondern mitten hinein in die City. Von einer "Zeitenwende im Verhältnis zu den Städten" sprach gar der Münchner Stadtplaner Peter Zlonicky kürzlich.
Und muss man vielleicht auch nicht solch großes, pathetisches Wort bemühen, so erinnert doch vieles heute an die berühmt-berüchtigte Wende der Moderne gegen die Städte in den notorischen Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Nur mit umgekehrten Vorzeichen.
Kämpfte die damalige Gesellschaft unter Bruno Tauts Schlachtruf: "Reißt sie nieder, die gebauten Gemeinheiten!" gegen die gründerzeitliche Stadt und ihre vermeintlich unhygienisch stinkenden Altbauquartiere, um unter dem Motto von "Reinheit, Luft und Sonne" die clean weißen oder grauen und mokkafarbenen Siedlungen jenseits der dicht bebauten Innenstädte zu errichten.
So drängt die Bevölkerung heute wieder weg aus den städtisch entmischten Siedlungen der funktionalistischen Stadt, ob sie nun Emmertsgrund, Wilhelmsburg oder Gropiusstadt und Marzahn heißen. Erneut sucht sie wieder Anschluss und Wohnung in den dichten, urbanen Quartieren der inneren Stadt und fordert beim Neubau gern deren Schönheit und Komfort ein.
Nur geht das nicht so einfach und hoppla di hopp. Man hat einmal am Beispiel der Berliner Stadtteile Charlottenburg und Wilmersdorf errechnet, dass diese äußerst beliebten, schönen, kompakten und urbanen Quartiere der vorletzten Jahrhundertwende, würden sie nach heutigen Bauvorschriften und auf der Grundlage aktueller Abstands-, Dichte-, Bepflanzungs-, Belichtungs-, Belüftungs- und Parkplatzvorschriften errichtet, eine aufgelockerte und durchgrünte Zone wie das Hansa-Viertel oder die Gropiusstadt ergeben würden.
Das Wohnen und Arbeiten in Städten ist erneut stark beliebt. Ein altes gesellschaftliches Phänomen kehrt zurück - nicht etwa in den städtischen Großraum, sondern mitten hinein in die City. Von einer "Zeitenwende im Verhältnis zu den Städten" sprach gar der Münchner Stadtplaner Peter Zlonicky kürzlich.
Und muss man vielleicht auch nicht solch großes, pathetisches Wort bemühen, so erinnert doch vieles heute an die berühmt-berüchtigte Wende der Moderne gegen die Städte in den notorischen Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Nur mit umgekehrten Vorzeichen.
Kämpfte die damalige Gesellschaft unter Bruno Tauts Schlachtruf: "Reißt sie nieder, die gebauten Gemeinheiten!" gegen die gründerzeitliche Stadt und ihre vermeintlich unhygienisch stinkenden Altbauquartiere, um unter dem Motto von "Reinheit, Luft und Sonne" die clean weißen oder grauen und mokkafarbenen Siedlungen jenseits der dicht bebauten Innenstädte zu errichten.
So drängt die Bevölkerung heute wieder weg aus den städtisch entmischten Siedlungen der funktionalistischen Stadt, ob sie nun Emmertsgrund, Wilhelmsburg oder Gropiusstadt und Marzahn heißen. Erneut sucht sie wieder Anschluss und Wohnung in den dichten, urbanen Quartieren der inneren Stadt und fordert beim Neubau gern deren Schönheit und Komfort ein.
Nur geht das nicht so einfach und hoppla di hopp. Man hat einmal am Beispiel der Berliner Stadtteile Charlottenburg und Wilmersdorf errechnet, dass diese äußerst beliebten, schönen, kompakten und urbanen Quartiere der vorletzten Jahrhundertwende, würden sie nach heutigen Bauvorschriften und auf der Grundlage aktueller Abstands-, Dichte-, Bepflanzungs-, Belichtungs-, Belüftungs- und Parkplatzvorschriften errichtet, eine aufgelockerte und durchgrünte Zone wie das Hansa-Viertel oder die Gropiusstadt ergeben würden.

Die Gropiusstadt im Süden Neuköllns© Joachim Dresdner
Bild einer Stadt aus der Nachkriegszeit
Also keine Straßen mit Läden und Cafés, Restaurants und Boutiquen, sondern einzeln über die Grünfläche verstreute Häuser ohne städtischen Raum. Vor allem aber wäre die gleiche Anzahl an Wohnungen und Häusern nur auf einer Fläche zu realisieren, die größer ist als das gesamte Stadtgebiet Berlins. (Ulrich Pfeiffer, Empirica 1993)
Man kann und darf das nachgerade als Skandal bezeichnen, und zwar sowohl aus klimatischen und ökologischen wie auch aus kulturellen und sozialpolitischen Gründen. In den heutigen Bauvorschriften ist nach wie vor das Bild einer Stadt eingeschrieben und zementiert, das in der Nachkriegszeit um 1960 in Mode stand.
Die Stadt der 1960er-Jahre war die autogerechte Stadt, in der im städtischen Archipel zwischen den einzelnen Funktionsinseln fürs Wohnen, Arbeiten, das Business oder die Vergnügungen mit dem Pkw hin und her gehetzt werden musste. Das mag in der späten Hochphase des Industriezeitalters dem damaligen Wunsch und Bewusstsein der Bevölkerung entsprochen haben. Heutigen Standards und Erkenntnissen genügt das keinesfalls mehr.
Kurzum: Es gibt Handlungsbedarf. Die Kommunen haben kaum Finanzen, um selbst in die Stadtlandschaft zu investieren. Da könnten Mitarbeiter in den Rathäusern und Politiker in den Gemeindeparlamenten ihre Zeit gut nutzen, um die gesetzlichen Bauvorschriften zu entrümpeln, falsche Vorgaben zu streichen und sich neue auszudenken, sich also vorzustellen, wie das urbane Leben zu modernisieren wäre.
Vielleicht ließen sich die Bürger - und mit ihnen ihr Geld und ihre Ideen - davon anregen. Eine Zeitenwende will auch gestaltet sein.
Gerwin Zohlen, Publizist, Architekturkritiker, geboren 1950; Studium der Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Heidelberg. Seit 1982 freier Autor und Publizist in Radio, Zeitung, Fernsehen, Buchverlagen.
Man kann und darf das nachgerade als Skandal bezeichnen, und zwar sowohl aus klimatischen und ökologischen wie auch aus kulturellen und sozialpolitischen Gründen. In den heutigen Bauvorschriften ist nach wie vor das Bild einer Stadt eingeschrieben und zementiert, das in der Nachkriegszeit um 1960 in Mode stand.
Die Stadt der 1960er-Jahre war die autogerechte Stadt, in der im städtischen Archipel zwischen den einzelnen Funktionsinseln fürs Wohnen, Arbeiten, das Business oder die Vergnügungen mit dem Pkw hin und her gehetzt werden musste. Das mag in der späten Hochphase des Industriezeitalters dem damaligen Wunsch und Bewusstsein der Bevölkerung entsprochen haben. Heutigen Standards und Erkenntnissen genügt das keinesfalls mehr.
Kurzum: Es gibt Handlungsbedarf. Die Kommunen haben kaum Finanzen, um selbst in die Stadtlandschaft zu investieren. Da könnten Mitarbeiter in den Rathäusern und Politiker in den Gemeindeparlamenten ihre Zeit gut nutzen, um die gesetzlichen Bauvorschriften zu entrümpeln, falsche Vorgaben zu streichen und sich neue auszudenken, sich also vorzustellen, wie das urbane Leben zu modernisieren wäre.
Vielleicht ließen sich die Bürger - und mit ihnen ihr Geld und ihre Ideen - davon anregen. Eine Zeitenwende will auch gestaltet sein.
Gerwin Zohlen, Publizist, Architekturkritiker, geboren 1950; Studium der Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Heidelberg. Seit 1982 freier Autor und Publizist in Radio, Zeitung, Fernsehen, Buchverlagen.