Zeitenwende

Das Ende des Internets, wie wir es kennen

Eine Person mit Rechner auf der re:publica 2015.
Wohin führt die Zukunft des Internets? © picture alliance/dpa/Foto: Britta Pedersen
Von Enno Park · 29.06.2018
Wikileaks, Piratenpartei und die wilden Onlinejahre sind vorbei. Stattdessen diskutieren wir über Upload Filter und die Datenschutzgrundverordnung. Dafür gebe es gute Gründe, aber die Regulierung habe auch ihren Preis, meint der Informatiker Enno Park.
Wann immer ein neues Medium in die Welt trat und für Umwälzungen sorgte, gab es eine anarchistische Frühphase, in der dieses Medium völlig unreguliert genutzt wurde und damit die Macht der Herrschenden herausforderte.
Von der Erfindung des Buchdruckes bis zum Index verbotener Bücher der katholischen Kirche dauerte es rund 100 Jahre. Und etwa 50 Jahre lang war das Telefon weitgehend unreguliert. In den USA zogen Farmer einfach ihre eigenen Strippen, bis AT&T es 1899 schaffte, eine Monopolstellung zu erlangen und Nutzung und Weiterentwicklung des Telefons zu kontrollieren.
Es ist nicht bekannt, wann das erste mal ein deutscher Politiker sagte, das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum sein. Belegt ist, dass der damalige Forschungsminister Jürgen Rüttgers diese Floskel bereits 1996 verwendete. Danach wurde sie vielfach wiederholt, zuletzt 2017 von damals noch Justizminister Heiko Maas als Begründung für die Einführung des sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes.

Das Internet war nie ein rechtsfreier Raum

Dabei ist allen, die sich ernsthaft damit beschäftigen, klar, dass das Internet nie ein rechtsfreier Raum gewesen ist. Gesetze, die außerhalb gelten, galten selbstverständlich von Anfang an auch im Internet. Und sie wurden durchgesetzt. Das belegen allein die zahlreichen Abmahnwellen wegen Urheberrechtsverletzungen oder Verstößen gegen die Impressumspflicht. Trotzdem werden Politiker aller Parteien nicht müde, immer neue Regulierungen zu fordern.
Dagegen erwies sich das Internet bisher als bemerkenswert resistent. Zwar kontrollieren heute Giganten wie Google und Facebook große Teile der Netznutzung, aber es ist immer noch allen Menschen relativ leicht möglich, dort Dienste und Inhalte frei anzubieten. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Seiten wie Wikipedia überhaupt entstehen konnten. Die Frage ist allerdings, wie lange noch, denn 2018 wird kein gutes Jahr für das offene Internet.
Eines seiner Grundprinzipien – die Netzneutralität – ist bedroht. Sie besagt, dass alle Inhalte gleichberechtigt durchgeleitet werden müssen. So soll verhindert werden, dass Internet-Provider das Netz wirtschaftlich oder inhaltlich kontrollieren. Leider wurde dieses Prinzip der Netzneutralität soeben von der amerikanischen Regulierungsbehörde FCC abgeschafft.

Europa arbeitet unterdessen an anderen Beschränkungen. Die gerade erst eingeführte Datenschutzgrundverordnung bürokratisiert das Publizieren im Netz und ein weiteres Gesetzesvorhaben steht Anfang Juli auf der EU-Agenda. Kommt es durch, können Verleger eine Gebühr verlangen, sobald man auch nur auf ihre Inhalte verlinkt. Zugleich sollen Upload-Filter künftig verhindern, dass die Nutzer urheberrechtlich geschütztes Material hochladen.

Die große Freiheit im Internet endet nach 50 Jahren

Solche Filter gefährden die Meinungsfreiheit, da die automatisch arbeitenden Systeme auch legale Parodien oder journalistische Zitate von den Plattformen fernhalten werden. Die Pflicht, solche Filter einzubauen, stellt außerdem kleine Start-Ups vor große Probleme, da einiges an technischem Know-how nötig ist.
Der Trend ist eindeutig: Das Internet konzentriert sich immer weiter auf einige wenige Monopolisten, die ihrerseits zunehmend staatlich reguliert werden. Das Ausüben der Rede- und Meinungsfreiheit wird immer schwieriger, egal ob auf diesen Plattformen oder jenseits von ihnen.
Vielleicht muss man sich an den Gedanken gewöhnen, dass auch für das Internet die weitgehend unregulierte Anfangszeit vorbeigeht. Angesichts von Hate Speech und Propaganda werden viele nicht allzu traurig darüber sein. Aber es wäre das Ende des offenen Internet, wie wir es kennen. Immerhin hätte seine anarchistische Frühphase gut 50 Jahre gedauert.

Enno Park ist Journalist und Wirtschaftsinformatiker. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Gesellschaft bis hin zur Verschmelzung von Mensch und Maschine. Seit er Cochlea-Implantate trägt, bezeichnet er sich selbst als Cyborg und ist einer der Gründer des Cyborgs e. V. in Berlin.

© Deutschlandradio / Cara Wuchold
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