Zeitehe als iranisches Phänomen

Von Bernd Sobolla · 02.08.2011
Die Zeitehe geht auf den Propheten Mohammed zurückgeht. Die Filmemacherin Sudabeh Mortezai widmet sich diesem Phänomen, das im Westen nahezu unbekannt ist und neue Blicke auf die iranische Gesellschaft ermöglicht.
Das iranische Strafgesetzbuch ist eindeutig: "Unerlaubter Geschlechtsverkehr von unverheirateten Männern und Frauen gilt als Unzucht und wird mit 100 Peitschenhieben bestraft. Der außereheliche Geschlechtsverkehr eines verheirateten Mannes oder einer verheirateten Frau gilt als Ehebruch und wird mit Steinigung bestraft". Mit dem Gesetzestext beginnt Sudabeh Mortezai ihren Dokumentarfilm "Im Bazar der Geschlechter" und taucht dann in das heutige Teheran ein. Sie zeigt Männer und Frauen, die sich für eine Zeitehe entschieden haben, besucht Moschen und spricht mit geistlichen Würdenträgern.

Sudabeh Mortezai: "Die Protagonistensuche hat sehr lange gedauert. Ich wollte ja eine Frau, einen Mann und einen Mullah als Hauptfiguren. Es war, interessanterweise bei den Geistlichen, bei den Mullahs überhaupt kein Problem, Protagonisten zu finden. Ich glaube, es ist auch so, dass es ein westliches Missverständnis ist, zu denken, dass die Geistlichen im Iran solche Berührungsängste hätten. Ganz im Gegenteil. Die Geistlichen im Iran reden sehr offen und sehr gern über Sexualität."

Im Bazar der Geschlechter:"Der Islam würde nie erlauben, dass eine Frau mit 100 Männern Sex hat. Es sei denn, die Männer zahlen dafür und kommen für den Unterhalt auf. Darum geht es in der Zeitehe. Man will sich mit dem anderen Geschlecht sexuell vereinigen. Jeder Mensch braucht das. Das ist natürlich. Leute, die zum Heiraten nicht genug Geld haben, können eine Zeitehe eingehen. All das hat der Islam bedacht."

Und ein Ayatollah weist darauf hin, dass die Zeitehe auch eine Möglichkeit für junge Männer sei, die sich in Ehedingen nicht gut auskennen, Erfahrungen zu sammeln. Danach wäre es für sie leichter, sich eine Ehefrau auszusuchen. Allerdings ist die Zeitehe keineswegs nur für junge Leute gedacht.

Ins Heiratsbüro von Hossein Nouri zum Beispiel kommen Shahram und Nasrin, beide etwa Mitte 40. Auf die Frage des Beamten, ob Shahram verheiratet sei, sagt Shahram: Er sei zwar verheiratet gewesen, seine Frau habe sich aber von ihm scheiden lassen, als sie von der Zeitehe erfuhr, die er bereits zuvor mit Nasrin führte. Der Beamte schüttelt den Kopf.

Im Bazar der Geschlechter: "Da hat der Richter einen Fehler gemacht. Im Koran steht: "Ein Mann kann bis zu vier reguläre Frauen nehmen - und Zeitfrauen, egal ob 10, 20 oder 100". Solange sie die finanziellen Mittel haben, können sie jederzeit zur Trauung hierher kommen."

So ernst das Thema ist, so hart die Gesetzgebung, der Film von Sudabeh Mortezai versetzt den Zuschauer beinahe in eine beschwingte Stimmung, weil er auch viele komische Momente hat. Zum Beispiel, wenn einer der Mullahs einen Taxifahrer fragt, ob er verheiratet sei.

Im Bazar der Geschlechter: "Offiziell habe ich noch nicht geheiratet. Ja, und praktisch ... ? Also, Sie sind ja Geistlicher, da kann ich mich ihnen anvertrauen. Ich hatte schon einige Frauen auf Zeit. Also nacheinander, nicht gleichzeitig. Weil ich die Person, mit der ich mein Leben verbringen will, vorher kennenlernen will."

An andere Stelle wird darauf hingewiesen, dass sich iranische Frauen häufig scheiden ließen, wenn sie von einer Zeitehe ihres Mannes erführen. Während in Saudi-Arabien alle Ehefrauen in Eintracht im selben Auto säßen, würden die Iranerinnen – zum Leidwesen der Männer - wenig Toleranz zeigen. Deshalb ist die Zeitehe gesellschaftlich tabuisiert und wird meist verschwiegen. Als ein Paar nach geschlossener Zeitehe auf die Straße kommt, singt, passend dazu, ein Straßenmusiker von Liebe und Treuem, die nichts als Trug seien.

Im Bazar der Geschlechter:
Gesang: "Liebe und Treue, alles nur Trug. Mein Herz ist so schwer. Mein Herz ist nicht aus Stein. Das Leben spielt mit uns 1000 Spiele."

Eine Zeitehe kann theoretisch für 99 Jahre geschlossen werden oder für eine einzige Stunde. Nur die Dauer und das Brautgeld müssen festgelegt sein, wie Subadeh Mortezai erläutert.

Subadeh Mortezai: "Das Brautgeld geht ursprünglich darauf zurück, dass Zeitehe als Legalisierung von Prostitution gedacht war. Das war sozusagen der Lohn für die Frau, für die Sexarbeiterin wie man heute sagen würde. Das ist für die damalige Zeit, vor rund 1400 Jahren, war das sicher sogar eine fortschrittliche Praxis. Heutzutage werden Zeitehen ja auch teilweise aus anderen Gründen eingegangen. Zum Beispiel als Schlupfloch, um einfach eine Beziehung zu leben, die keine klassische Ehe ist."

Für Witwen und geschiedene Frauen bietet sie zudem eine Möglichkeit wirtschaftlicher Absicherung, da Männer fast immer eine Dauerehe nur mit unverheirateten Frauen eingehen. Ein vielschichtiger, hochinteressanter und zugleich unterhaltsamer Film.