Zeichnungen als Protestparolen

Von Johannes Halder |
"Die amerikanische Flagge ist kein Objekt der Verehrung" und "Die Regierung der Vereinigten Staaten zerstört Kunst" sind Protestparolen, mit denen der US-Künstler Richard Serra einige Zeichnungen titulierte und seine Regierung kritisierte. Der 69 Jahre alte Künstler steht im Ruf, plastischer Schwergewichtler und kraftmeiernder Zeichner zu sein.
Es war schon immer so: Wo Richard Serra auftaucht, wird seine Schau zur Belastungsprobe – statisch fürs Gebäude, ästhetisch für das Publikum. Dass wir im gläsernen Gehäuse des Bregenzer Museums nur seine Zeichnungen zu sehen bekommen, hat mit Ersterem zu tun, sagt Serra:

"Als ich das erste Mal hierher kam, wollte ich schon etwas mit Skulpturen machen. Doch leider ist das Gebäude nicht für solche schweren Lasten ausgelegt. Aber für Zeichnungen ist dieses Mu-seum ein ganz wunderbarer Raum, fast wie eine Maschine zum Sehen. Für Zeichnungen kann man sich keinen besseren Schauplatz wünschen."

Zeichnungen also oder zumindest das, was Serra darunter versteht. Gleich im völlig leeren Eingangsraum hängen vier davon an der glatten Betonwand, und zwar geschmiedet aus mas-sivem Stahl: Kreis, Rechteck, Achteck und Quadrat, zehn Zentimeter dick, die Frontseiten fett und pastig eingefärbt mit schwarzer Ölkreide. Serra pflegt eine elementare Zeichensprache, knapp wie ein Statement: Das scheinbar Schwere wirkt ganz leicht und wir sind auf Anhieb beeindruckt.

Das erste Obergeschoss sieht aus wie eine Aussegnungshalle. Keine Spur von Leichtigkeit, überall sattes, andachtsvolles Schwarz. Gut zwei Dutzend quadratische Formate, ein Meter auf ein Meter groß, reihen sich die nackten Betonwände entlang. Ein fast spirituelles Erlebnis, und man wird unwillkürlich still. "Solids" nennt Serra die Serie, und so sehen die Blätter auch aus: solide, gewichtig, handfest.

Serra, der Mann, der als Plastiker den Stahl zum Tanzen bringt, zeigt auch beim Zeichnen körperlichen Einsatz, auch noch mit seinen 69 Jahren. Schwarze Ölkreiden, so genannte "Paintsticks", die er zu dicken Blöcken gießt, reibt und presst er kraftvoll durch ein engmaschiges Gitter, so dass auf dem Papier eine schwarz verkrustete, rissige Schicht zurückbleibt, die das Auge durch ihre schiere Materialität und stoffliche Dichte bezwingt. Museumschef Eckhard Schneider ist ganz begeistert:

"Wenn Sie so eine Serie im Raum sehen, die sitzt einfach perfekt. Sie haben das einfach erstmal so als schwarze Fläche. Und dieser Moment macht Sie völlig frei als Betrachter. Sie sind nicht drauf angewiesen, Geschichten zu hören. Sie müssen sich nur dort hinstellen und dieses Material und die Form und die Intensität dieser Oberflächen, diese dicken Schichten, auf sich wirken lassen. Das ist ein Urmoment. Und diese Intensität, diese Körperlichkeit, die Materialität, dieses Auslöschen von Licht quasi, das saugt ja das Licht weg. Und dafür ist dieser Bau natürlich perfekt."

Zeichnen, das ist bei Serra eher eine Abdrucktechnik, ein schöpferischer Gewaltakt. Beim Zeichnen, sagt er, sei er am konzentriertesten bei sich selbst, und es gehe ihm darum, das Medium weiterzuentwickeln, im buchstäblichen Sinne des englischen "drawing", also beim Ziehen der Farbe aufs Papier.

Serra: "An der Zeichnung in-teressieren mich Masse, Gewicht, Dichte, ihr Verhältnis zur Körperbewegung und ihre Beziehung zur Fläche. Die meisten Zeichnungen haben traditionellerweise mit Linie zu tun, und die führt ja meist auf irgendeine Weise zur Figuration. Das inte-ressiert mich nicht. Mich interessiert, was eine Zeichnung sein kann, nicht was sie schon immer war."

Was Serra damit meint, lässt sich auch im zweiten Oberge-schoss besichtigen: Eine Serie von schwarzen Kreisflächen diesmal, an den Rändern Sprit-zer, als wäre etwas explodiert, als habe ein mächtiger Schmiedehammer die schwarze Masse aufs Papier geknallt. Sichtbar bleibt die Energie, die fettigen Pigmente, der Prozess gespeicherter Arbeits- und Lebenszeit. Und dass Schwarz keine Farbe sei, bestreitet er vehement:

"Schwarz ist eine Farbe, genauso wie Weiß. Zeichnungen sind doch meistens schwarz. Ihrer Natur nach ist die Zeichnung grafisch, und mich interessiert eben das Grafische daran. Deshalb das Schwarz."

Seine früheren Arbeiten, auf der obersten Etage, sind am dichtes-ten bei seinen Skulpturen. Riesige schwarze Flächen stapelt er da übereinander oder setzt sie nebeneinander in Beziehung, um das alte, balancierende Spiel mit der Schwerkraft, das er mit dem Stahl im Raum so virtuos beherrscht, in die zweite Dimension zu projizieren.

Serra, der plastische Schwergewichtler und kraftmeiernde Zeichner, gilt gemeinhin als ein Mann fürs Grobe. Doch das täuscht. So subtil er seine radikalen Konzepte auf die Räume abstimmt und in Szene setzt, so sensibel reagiert der Amerikaner auf gesellschaftliche Gefährdungen in seinem Land.

2004 hat er seinen Zorn über die Vorgänge im irakischen Foltergefängnis von Abu Ghraib auf einer Zeichnung manifestiert, und schon 1989 hat er mit der amerikanischen Regierung abgerechnet, indem er die Titel einiger Zeichnungen als Protestparolen formulierte: "Die amerikanische Flagge ist kein Objekt der Verehrung" heißt ein Blatt, ein anderes trägt den trotzigen Titel "Die Regierung der Vereinigten Staaten zerstört Kunst".

Auslöser war der Skandal um ein Serra-Werk von 1981 auf der Federal Plaza hinter dem New Yorker Rathaus, das die Regierungsbehörden auf Druck der Bürger wieder entfernen ließen.

"Es gab mal einen Fall in meinem Leben, als die Regierung der Vereinigten Staaten eines meiner Werke zerstörte. Da war ich stinksauer. Erst in Auftrag gegeben, und dann zerstört. Und als ich damals gerade eine Serie von Zeichnungen machte, wollte ich ein Statement abgeben zur Unterdrückung von Künstlern in Amerika. Die hält übrigens bis heute an. Das mag sich mit Obama hoffentlich ändern, aber die republikanischen Regierungen hatten für Kunst wirklich nie etwas übrig. Noch nie."

Die Ausstellung "Richard Serra - Drawings. Work Comes Out of Work" ist im Kunsthaus Bregenzbis zum 14. September zu sehen.