Zehnter Todestag von Christoph Schlingensief

Ein Künstler, der provokant die Gesellschaft mitgestaltet hat

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Der Künstler Christoph Schlingensief
Am 21. August 2010 starb Christoph Schlingensief an einer Krebserkrankung. © dpa / picture alliance / Ingo Wagner
Anta Helena Recke im Gespräch mit Britta Bürger · 20.08.2020
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Christoph Schlingensief bleibe für sie der bedeutendste deutsche Künstler, sagt die Theaterregisseurin Anta Helena Recke. Manchen seiner Kunstaktionen steht sie trotzdem ablehnend gegenüber. Vor zehn Jahren starb der Regisseur und Aktionskünstler.
Christoph Schlingensief gehört zu den bedeutenden Regisseuren der Gegenwart und hat die deutschsprachige Film- und Theaterwelt gleichermaßen irritiert wie beflügelt. Als Enfant terrible der deutschen Kulturszene wurde er zum Aushängeschild für provokante Theater- und Operninszenierungen. Vor zehn Jahren starb er mit 49 Jahren an Lungenkrebs.

"Wichtigster deutscher Künstler"

Christoph Schlingensief sei eine wichtige Bezugsgröße, sagt Anta Helena Recke. Sie arbeitet als Performerin und Theaterregisseurin, unter anderem an den Münchner Kammerspielen und setzt sich in ihren Inszenierungen mit Diversität und Rassismus auseinander. "Ich glaube, Schlingensief ist immer noch einer der wichtigsten deutschen Künstler. Das bleibt auch so."
Schlingensief gehöre zu den ganz wenigen Künstlern, die die Möglichkeiten des erweiterten Kunstbegriffs in Deutschland tatsächlich genutzt hätten – als ein Künstler, der kreativ die Gesellschaft und Politik mitgestaltet. "Das ist schon etwas, was ich mir irgendwie in der Gegenwart mehr wünschen würde."
Einzigartig sei sein Können gewesen, sich konsequent als Kunstfigur zu inszenieren, die aber gleichzeitig authentischer nicht hätte sein können. "Und ich kann einfach sehr viel damit anfangen, dass er auch jemand war, der verstanden hat, dass es überhaupt nicht so wichtig ist, sich mit der Frage aufzuhalten, ob man jetzt noch in ein Medium reinpasst oder in welchem Medium man sich befindet." Fragen wie "Ist das noch Theater?" hätte er überwunden.
Der Regisseur Christoph Schlingensief steht in Burkina Faso vor mehreren strohgedeckten Lehmhütten.
Die Errichtung eines Operndorfes in Burkina Faso war ein wichtiges Anliegen von Christoph Schlingensief© dpa / picture alliance / Aino Laberenz
Dass Schlingensiefs Idee für ein Operndorf in Burkina Faso als Kunstprojekt gesehen wurde, habe sie nie so empfunden. Dies sei im Grunde nur ein Beispiel für ein typisches White-Savior-Charity-Projekt, "wo eben der Europäer in Afrika was aufbaut und hilft. Ich habe nie gesehen, was daran der Griff einer Kunstaktion sein soll", sagt Recke.

Ein sehr früher "Identitätspolitiker"

Christoph Schlingensief hat sich kompromisslos mit dem Nationalismus der Nachkriegszeit und dem neuen Rechtsextremismus auseinandergesetzt. Zur Frage, wie sich Schlingensief mit den heutigen Gesellschaftsthemen von Cancel Culture bis Black Lives Matter wohl beschäftigt hätte, sagt Recke, er habe vielen Menschen vorausgehabt, die eigene Redeposition zu markieren.
"Er hat immer vorangestellt, dass er ein Apothekersohn aus Oberhausen ist und hat immer seine religiöse katholische Prägung erwähnt. Man könnte eigentlich sagen, dass er da eigentlich ein sehr früher Identitätspolitiker war und in seiner Kunst weiße Identitätspolitik betrieben hat."

Warum Blackfacing?

Kritisch sieht Recke die Verwendung von Blackfacing, das Schlingensief immer wieder in Inszenierungen verwendet hat. "Egal wann, in welcher Zeit und wer: Das kann man nicht machen", sagt Recke.
Heutzutage müsse sich die Diskussion eher darum drehen, warum dies in seinen Arbeiten vorkomme: "Die meisten Dinge, die er getan hat, bewegen sich ja auch ganz bewusst entlang dieser Grenze. Und es ist halt wichtig, in jedem Einzelfall genau hinzugucken und präzise darüber zu sprechen, was da eigentlich passiert und was daran vielleicht eine Kritik sein könnte."
(mle)
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