Zehn Jahre Wattenmeerplan
Am 22. Oktober 1997 unterzeichneten Deutschland, Dänemark und die Niederlande den Wattenmeerplan. Der Plan regelt, wie Umweltschutz, Deichsicherheit und wirtschaftliche Interessen im Wattenmeer unter einen Hut gebracht werden sollen. Doch was die Regierungen lobten, zerrissen Anwohner und Umweltschützer und Industrieverbände von Anfang an in der Luft.
"Das sind Möwen hier vorne. Da hinten haben wir, ich schätze mal so, 150 Austernfischer, auf der hinteren Sandbank …"
Das Wattenmeer bei St. Peter Ording - weiter Strand, grauer Himmel, in der Ferne ein Leuchtturm. Die Flut kommt. Karl-Heinz Hildebrandt, Schutzgebietsbetreuer im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, sieht in sein Fernglas, beobachtet eine Schar Vögel auf einer Sandbank. Im Frühling und Herbst rasten, mausern und brüten Millionen Zugvögel im Wattenmeer.
"Das ist erfreulich, muss man sagen, dass auch wieder vermehrt Wanderfalken hier durchziehen. Zum Teil hier auch brüten und jagen. Und vor allen Dingen, dass in den letzten Jahren, vor allem im Westküstenbereich, die Seeadler wieder zugenommen haben!"
Das Wattenmeer vor der deutschen Nordseeküste ist Schutzgebiet, mit unterschiedlichen Schutzzonen. Zone 1 ist weitgehend der Natur überlassen, Zone 2 darf eingeschränkt genutzt werden - von Schiffern, Fischern, Landwirten, Schäfern, Jägern, Windkraftanlagenbetreibern, Ölförderern, Touristen.
"Wenn wir hier gehen und die Leute fragen und sagen: Der Hund muss an die Leine, Sie sind im Vogelschutzgebiet - dann sagen die: Ja, wo sind die Vögel denn? Aber die sind schon weg! Die fliegen zum Teil 500, 600 Meter vor den Hunden weg und man sieht sie nicht mehr. Und diese Vögel, insbesondere wenn wir nachher die arktischen hier haben, die sind viele tausend Kilometer schon geflogen. Die müssen sich erstmal wieder satt fressen nach dem harten Flug. 3000, 4000, 5000 Kilometer, meist non-stop - das sind schon Meisterleistungen."
Hildebrand sieht aus, wie die Menschen an der Küste aussehen: wettergegerbtes Gesicht, wasserblaue Augen, Gummistiefel. Seit 1996 arbeitet er im Nationalpark. Er mag den ständigen Wechsel von Ebbe und Flut, die sich immer wieder verändernde Wattlandschaft mit ihren Prielen, die Dünen und Salzwiesen. Da drüben zum Beispiel, ruft er gegen den Wind und deutet auf eine Fläche, die einmal von Schafen kurz gefressen war und auf der heute rote Strandastern, Halligflieder und Strandwermut wachsen.
"Ein Großteil der Salzwiesen im Nationalpark darf nicht mehr beweidet werden, d.h. über Gräben oder Zäune müssen die Schafe im deichnahen Bereich gehalten werden, sie dürfen nicht mehr in die Flächen rein, damit wir wieder so ein Bild kriegen wie hier, dass wir eine Pflanzenvielfalt haben."
Genau das macht Udo Engel sehr wütend.
"Diese Flächen da vorne, die sind entweidet worden, d.h. aus der Nutzung rausgenommen worden."
Das Wattenmeer bei Neufeld, nahe der Elbmündung.
"Und dort konnten sich wieder Distelpopulationen entwickeln, ganz ungestört. Das hier ist die Blüte und hier das, das Weiße, das geht nachher weiter auf und verteilt sich unheimlich weit."
Auf dem Deich weiden Schafe. Dahinter ziehen sich Salzwiesen bis an den Rand zum Watt, Gras und Schilf wachsen wild und hüfthoch. Ungestörte Natur, kilometerweit.
"Es ist aber eine Natur, die wir so nicht haben wollen. Weil die Disteln - flächendeckend wird es irgendwann zu sein! Durch Mähen kriegen wir Disteln nicht weg. Die Gräser verschwinden, denn die Distel ist konkurrenzstärker. Diese Disteln kriegt man im Grunde nur chemisch bekämpft."
Udo Engel ist Schäfer. Er musste, seit zum Schutz der Salzwiesen große Flächen nicht mehr genutzt werden dürfen, Weiden im Binnenland anpachten. Aber das ist nicht alles, schimpft er: im Frühjahr stehen seine 800 Schafe im Stall und fressen Kraftfutter, denn im Frühjahr kommen die Gänse.
"Dieser erste Gräseraufwuchs, den wir für unsere Schafe und unsere Lämmer unbedingt brauchen, der steht uns nicht mehr zur Verfügung, weil die Gänse können dermaßen kurz beißen, dass Sie denken, Sie sind in der Wüste. Das findet kein Schaf etwas zu fressen. Es sind zwölf bis vierzehn Schäfer davon betroffen, und in den letzten drei Jahren sind ungefähr 200.000 Euro Schäden entstanden, nachweislich. Und entschädigt worden sind vielleicht 30.000. Also auf 170.000 Euro bleiben wir sitzen."
Eine Perversion - dieser Naturschutz, schimpft Engel: Da entschieden Leute, die keine Ahnung hätten, die die Küste nicht kennten, die Menschen nicht kennten, die hier seit langem leben - mit der Natur und von der Natur. Wütend stapft er durch das hohe Gras. Ein Hase schießt davon.
"Die Häsin kann ihre Junge aufziehen, sie werden nicht von Raubvögeln entdeckt, die Jungen werden groß. Aber wenn jetzt eine Sturmflut kommt, eine leichte reicht schon, ab einem halben Meter über normal - die sehen sie ja nicht kommen! Und bis zum nächsten hochwassersicheren Punkt ist es zu weit. Das Wasser, im Moment hat es 14 Grad: Wie lange kann ein Hase, ein Junghase in 14 Grad kaltem Wasser schwimmen? Die alten kommen vielleicht noch weg, aber die Jungen ertrinken immer. Und wenn das im Dezember passiert, ertrinken die alten auch, weil wenn das Wasser nur noch 8 Grad hat, dann sind die in einer Viertelstunde hin. Das hier hat es früher alles nicht gegeben, alles das, was uns übergestülpt wurde. Die Herausnahme der Nutzung, hat zur Folge, dass sich hier Wildtiere ansiedeln, die hier im Grunde nichts zu suchen haben und die auch keine Überlebenschance haben."
Gerhard Gimini ist Fischer, seit 39 Jahren. Doch Fische fängt er längst nicht mehr.
"Früher war das erheblich besser. Erheblich besser. Heute wird man bloß … - da muss reduziert werden, die Quote wird reduziert, das darf man nicht mehr, das darf man nicht mehr. Das einzige, was im Moment noch frei ist, ist die Krabbenfischerei."
Gimini ist selbstständig und führt ein Familienunternehmen in Friedrichskoog. Vor ein paar Stunden hat er im Hafen von Büsum festgemacht. Und weil der Fang gut war, hat er gute Laune. Aber das Landesfischereigesetz und die EU-Verordnung, das Nationalparkgesetz und die im Wattenmeerplan festgeschriebene Fangquoten bestimmen seinen Alltag: Naturschutz, sagt Gimini, steht heute über allem.
"Der Fischer soll auch leben. Wenn der Fischer in gewissen Gebieten nicht fischen darf, geht er woanders hin, dann nimmt er den anderen Kollegen die Krabben oder Fische weg. Und wenn das Gebiet immer kleiner wird, wird die Flotte auf immer kleinerem Gebiet fischen, und zuletzt bleiben da wahrscheinlich Fischer auf der Strecke bei. Im Augenblick gehen öfters welche! Aber wenn einem Gebiete weggenommen werden - das fehlt!"
In Wilhelmshaven leitet Jens Enemark das Wattenmeersekretariat, das die Umweltschutzaktivitäten Deutschlands, Dänemarks und der Niederlande auf Grundlage des Wattenmeerplans koordiniert.
"Wenn man diesen Plan und diese Zusammenarbeit nicht hätte, hätte man nicht einen Wattenmeerschutz wie man ihn heute hat - und der sich weltweit sehen lassen kann. Wenn wir das international vergleichen, Wattenmeer, dann muss man eigentlich in der Champions League der Schutzgebiete gucken - dann müssen wir uns vergleichen mit Great Barrrier Reef in Australien, um mal ein weltweit bekanntes Beispiel zu nennen."
Das Meer ist sauberer geworden; Salzwiesen haben sich erholt und in ihnen seltene Pflanzen- und Tierarten; rund 20.000 Seehunde leben wieder im Wattenmeer - nachdem die Tiere fast ausgerottet worden waren. Der Wattenmeerplan ist ein Managementplan, die in ihm formulierten Ziele werden in Dänemark, den Niederlanden und Deutschland unterschiedlich umgesetzt. In Deutschland führten sie bspw. zur Einrichtung von Nationalparks. Doch im Alleingang, so Enemark, hätte kein Land so viel erreicht.
"Das hängt natürlich mit gewissermaßen einem Konkurrenzverhältnissen untereinander zusammen: Wenn ein Land einen höheren Schutz für bestimmte Gebiete erreicht, dann setzt das natürlich einen gewissen Druck auf die beiden anderen Staaten. Also auch durch diese Konkurrenz hat man so einen Schutzstatus erreicht."
Der Wattenmeerplan ist auch eine politische Willenserklärung. Naturschutz steht im Vordergrund - gleichzeitig will der Plan Naturschutz und menschliche Nutzung, Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen.
"Mit der Zielsetzung und den einzelnen Vereinbarungen im Wattenmeerplan haben wir es geschafft, innerhalb eines gemeinsamen Rahmens die Nutzung in Einklang zu bringen mit dem Schutz."
"Wie fing Wattenmeerschutz mal an?"
Hans-Ulrich Rösner von der Naturschutzorganisation World Wide Fund For Nature, kurz WWF, in Husum.
"Vor etwa 100 Jahren gab es die ersten, damals sehr kleinen Naturschutzvereine, die gesehen haben, daß Kolonien mit tausenden von Seevögeln hoch bedroht sind, z.B. dadurch, dass dort Touristen hineingegangen sind, Vögel geschossen haben und sich die Federn an den Hut gemacht haben. Das waren die Naturschutzprobleme damals. Das waren winzig kleine Gebiete, die damals geschützt wurden. Dann hat es Jahrzehnte, bis etwa in die 70er Jahre gedauert, bis in der Gesellschaft klar wurde, dass man durch den Schutz winzig kleiner Gebiete natürlich auch keine Vogelarten schützen kann. Und als die Konsequenzen von großen Eindeichungen deutlich wurden, wo riesige Wattgebiete verschwunden sind, wurde deutlich, dass man im Grunde das Wattenmeer in seiner Gesamtheit schützen muss. Und das war die Zeit auch, als die drei Staaten angefangen haben, zusammenzuarbeiten, und das war weltweit zu diesem Zeitpunkt einzigartig. Es ist nicht normal, dass Staaten sagen: Wir haben hier ein Schutzgebiet über mehrere Grenzen hinweg, und da kann man das nicht in einem Land so machen, in einem so, da muss man sich absprechen, wie man Tiere und Pflanzen schützen will – und genau das wird seitdem gemacht."
In allen drei Ländern, so Rösner, finden Menschen Naturschutz wichtig. Seehunde beispielsweise sollen nicht aussterben, da sind sich alle einig. Die Tücke … liegt im Detail.
"Es gab eine Zeit vor Jahrzehnten, da war es sicherlich sinnvoll, von ihren Müttern verlassene Seehunde einzusammeln und aufzuziehen und wieder in der Natur auszusetzen. Das ist auch heute noch so in den Niederlanden, dass man das macht: Da wird nahezu jeder Seehund, den man irgendwo findet, auch wenn er vielleicht noch seine Mutter irgendwo hat, der Natur entrissen und aufgezogen und dann wieder in die Natur entlassen. In Deutschland macht man das auch, aber etwas zurückhaltender. Man guckt erstmal sorgfältig, ob nicht die Mutter vielleicht doch noch da ist. Und in Dänemark werden diese Tiere erschossen. Und zwar aus Tierschutzgründen, weil man sie sich nicht länger quälen lassen will."
Gleichzeitig ist die Nordsee ein Wirtschaftsraum, eines der am stärksten befahrenen Gewässer der Welt. Und die Anrainer haben konkurrierende ökonomische Interessen: Die Niederlande wollen riesige Offshore-Windanlagen bauen und Dänemark ist dagegen; Deutschland will ein Verbot der Industriefischerei im Wattenmeer durchsetzen und Dänemark protestiert; deutsche Häfen schimpfen gegen Restriktionen und Auflagen, weil sie fürchten, dass Schiffe auf den Hafen in Rotterdam ausweichen könnten. Der Wattenmeerplan löste damals in Schleswig-Holstein heftige Debatten aus: Bürgermeister wollten verhindern, dass ihre Gäste wegblieben, wenn sie nicht mehr ungestört durchs Watt laufen dürften; Anwohner fürchteten um ihre Existenz und um die Sicherheit der Deiche und hängten Schilder vor ihre Häuser: Stoppt den Öko-Wahn!; Fischereiwirtschaft und Handelskammern forderten die Minister auf, den Plan nicht zu unterschreiben.
"Jeder, der ein Nutzungsinteresse hatte - ob das die Ölindustrie ist, die Fischerei, die Landwirte -, hat versucht, seine Interessen dort hineinzuformulieren. Oder zu vermeiden, dass dort sehr scharfe, strenge Formulierungen gefunden wurden."
Hans-Ulrich Rösner vom WWF.
"Man lässt uns mitreden - das ist aber auch alles."
Der Schäfer Udo Engel.
"Nach dem Motto: Jetzt haben sie geredet, jetzt machen wir das, was wir wollen. Also wir fühlen uns, auf Deutsch gesagt, richtig verarscht."
So mancher fühlte sich übergangen, wollte Selbstbestimmung. In Schleswig-Holstein vermischte sich die Debatte außerdem mit dem Streit um eine Erweiterung des Nationalparks. Alle stritten mit allen, Eier und Tomaten flogen, Anwohner jagten jeden Naturschützer, der auf ihren Deichen auftauchte, zum Teufel, sie kämpften gegen "den Naturschutz" und "die anderen".
Heute ist der Streit vorüber, sagt Klaus Kossmagk-Stephan vom Nationalparkamt Wattenmeer in Tönning, und zitiert eine Umfrage seines Amtes:
"Das war eine Umfrage in den beiden Landkreisen, die an den Nationalpark grenzen, also es war eine Einheimischenbefragung. Und von diesen Einheimischen sind knapp 90 Prozent für den Nationalpark und fünf Prozent sind ausdrücklich dagegen. Wir haben 90 Prozent für uns. Wenn ich Politiker wäre, würde ich sagen: Das ist ein krachendes, positives Wahlergebnis."
"Sämtliche Naturschützer, die hier in irgendwelcher Form kommen, sind hier nicht mehr willkommen – muß man so vorsichtig zu formulieren."
Gustav Krey, Landwirt und Mitglied der Bürgerinitiative Neufelder Koog, jagt noch immer jeden Vogelzähler vom Deich. Oder gleich die Vögel selbst.
"Wir haben wirklich Krieg mit den Leuten hier. Also wir wollen die nicht mehr haben. Das ist so. Wir können auf die Gesetzgebung keinen Einfluss nehmen - darum wehren wir uns eben vor Ort."
"Man kann sagen, dass die Ökonomie hier völlig unter die Räder gerät. Also die Ökologie hat eindeutig Vorrang."
"Die wollten hier so viel haben … - die haben aber vergessen, dass wir hier in den Wattengebieten davon leben. So wie ich z.B.: die Zone-1- und Zone-2-Gebiete, das ist ungefähr mein halber Umsatz!"
"Uns wurde ja glaubhaft versichert, dass durch den Nationalpark zum Beispiel mehr Tourismus käme. Das ist überhaupt nicht so geworden. Wir haben laufend die letzten zehn Jahren jedes Jahr negative Besucherzahlen an der Küste."
"Dieser Tourismus ist auf ein intaktes Wattenmeer in hohem Maße angewiesen. Man wird das für die ganze Nordseeküste so wichtige Gewerbe des Nordseetourismus auf Dauer nur gesund halten können, wenn man intakte Natur an der Nordseeküste bewahrt. Und ich glaube, dass sich gerade in diesem Bereich zeigt, in wie hohem Maße wirtschaftliche, in diesem Fall Tourismusinteressen, und Naturschutzinteressen in Einklang gebracht werden müssen und zunehmend ja auch werden."
Das Statische Landesamt, das Übernachtungen in Herbergen mit mehr als neun Betten erfasst, verzeichnete im Kreis Dithmarschen sinkende Zahlen bis 2004 - seither kommen wieder mehr Gäste. Im Kreis Nordfriesland stiegen die Gästezahlen seit 2001 kontinuierlich.
Die Nordsee-Tourismus-Service GmbH, die auch Übernachtungen in privaten Herbergen erfasst, meldet steigende Gäste- und Übernachtungszahlen.
Eine Untersuchung der TU Dresden ergab: Rund ein Viertel aller Übernachtungsgäste kam wegen des Nationalparks an die Nordsee.
Ökologie und Ökonomie im schleswig-holsteinischen Wattenmeer - zehn Jahre nach der Verabschiedung des Wattenmeerplans. Der WWF wirft dem Nationalparkamt vor, inzwischen praktisch alle industriellen Interessen zu genehmigen. Vogelarten wie der Sandregenpfeifer sind immer noch gefährdet. Noch immer gelangen Schadstoffe in die Nordsee. Der Energiekonzern RWE Dea fördert im Nationalpark Öl und will Probebohrungen vornehmen, um weitere Ölvorkommen zu erschließen. Umweltgefahren, die man vor zehn Jahren zu wenig berücksichtigt hat, bedrohen das Wattenmeer: die Verschleppung fremder Arten und der Klimawandel.
"Ein beschleunigter Meeresspiegelanstieg, und der ist ja Folge des Klimawandels, hat zur Folge, dass das Wattenmeer erodieren könnte. Dass es im Grunde verschwinden könnte und große Gebiete nicht mehr Wattflächen sind, sondern Wasserflächen. Dass auch die Inseln und Halligen in große Gefahr geraten. Es gibt eine durchaus natürliche Anpassungsfähigkeit an solchen Meeresspiegelanstieg, wir haben ja auch einen natürlichen Meeresspiegelanstieg, das Wattenmeer kann quasi mitwachsen, aber nicht, wenn man es zu sehr einengt, zu sehr in feste Strukturen gießt. Und deswegen, und das ist eine Diskussion, die wir in den kommenden Jahren ganz intensiv mit dem Küstenschutz führen müssen, brauchen wir einfach Anpassung in der Art wie wir Dämme bauen, wie wir Deiche bauen, wie wir Küstenschutz machen."
Herausforderungen für künftige Generationen. 2010 findet die nächste trilaterale Regierungskonferenz statt, auf der der Wattenmeerplan fortgeschrieben werden soll. Bis dahin, und wohl nicht nur bis dahin, werden die Beteiligten noch viel miteinander reden müssen…
"Wenn ich das alles gegeneinander aufrechne, komme ich dahin, dass wir ein ungefähr 10.000 Quadratkilometer großes Naturgebiet mitten in hoch industrialisierten Ländern geschafft haben, es sich insgesamt nicht verschlechtern zu lassen. Und das ist mehr als wir in den meisten Gebieten der Welt über den Naturzustand sagen können."
"Man soll die Natur lassen, wie sie ist - sagen wir immer."
Der Fischer Gerhard Gimini.
"Wir wären ja schön dumm, wenn wir uns die Natur selbst kaputt machen würden. Wir sollen hier in der Natur unser Geld verdienen! Und die Nordseekrabben - das ist Natur. Wenn man sich das kaputtmacht, dann haben wir hier keinen Verdienst mehr."
Vor St. Peter-Ording gräbt Karl-Heinz Hildebrandt nach Wattwürmern. Er deutet auf Fraßspuren einer Meeräsche, kleine helle Flecken, wie Rostflecken im nassen Sand. Was die Menschen im Wattenmeer, Naturschützer und die, die sich zu geschützt fühlen, eint, ist die Liebe zur Landschaft. Weiter Strand, endloser Himmel. In der Ferne ein Leuchtturm. Die Flut geht, die Ebbe kommt.
"Das ist das Beständige am Wattenmeer: der ständige Wechsel. Mit jeder Flut, jeder Windrichtung kann wieder was abgetragen werden, die Priele verändern sich - und das ist eben das Schöne."
"Das Wattenmeer ist eine der schönsten Landschaften, die ich kenne. Weil es selten eine Gegend gibt, wo man sagen kann: Horizont trifft Meeresgrund."
"Das Wattenmeer ist, mit Ausnahme vielleicht der deutschen Alpen, die einzige Wildnis, die wir eigentlich haben. Wenn man sich im Wattenmeer bewegt, bewegt man sich auch auf den Bedingungen der Natur. Wenn Sie vom Festland zu den Inseln gehen, dann können Sie das nur tun bei Niedrigwasser. Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht überrascht werden, Sie müssen einen Kompass mithaben usw. Das fasziniert mich einerseits, andererseits ist es so: Der Mensch hat in dieser Gegend 2500 Jahren gelebt. Er hat die Landschaft hinter den Deichen geformt. Dieser Zusammenprall zwischen Natur und Kulturlandschaft macht das Wattenmeer auch zu etwas Einmaligem, weltweit!"
Das Wattenmeer bei St. Peter Ording - weiter Strand, grauer Himmel, in der Ferne ein Leuchtturm. Die Flut kommt. Karl-Heinz Hildebrandt, Schutzgebietsbetreuer im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, sieht in sein Fernglas, beobachtet eine Schar Vögel auf einer Sandbank. Im Frühling und Herbst rasten, mausern und brüten Millionen Zugvögel im Wattenmeer.
"Das ist erfreulich, muss man sagen, dass auch wieder vermehrt Wanderfalken hier durchziehen. Zum Teil hier auch brüten und jagen. Und vor allen Dingen, dass in den letzten Jahren, vor allem im Westküstenbereich, die Seeadler wieder zugenommen haben!"
Das Wattenmeer vor der deutschen Nordseeküste ist Schutzgebiet, mit unterschiedlichen Schutzzonen. Zone 1 ist weitgehend der Natur überlassen, Zone 2 darf eingeschränkt genutzt werden - von Schiffern, Fischern, Landwirten, Schäfern, Jägern, Windkraftanlagenbetreibern, Ölförderern, Touristen.
"Wenn wir hier gehen und die Leute fragen und sagen: Der Hund muss an die Leine, Sie sind im Vogelschutzgebiet - dann sagen die: Ja, wo sind die Vögel denn? Aber die sind schon weg! Die fliegen zum Teil 500, 600 Meter vor den Hunden weg und man sieht sie nicht mehr. Und diese Vögel, insbesondere wenn wir nachher die arktischen hier haben, die sind viele tausend Kilometer schon geflogen. Die müssen sich erstmal wieder satt fressen nach dem harten Flug. 3000, 4000, 5000 Kilometer, meist non-stop - das sind schon Meisterleistungen."
Hildebrand sieht aus, wie die Menschen an der Küste aussehen: wettergegerbtes Gesicht, wasserblaue Augen, Gummistiefel. Seit 1996 arbeitet er im Nationalpark. Er mag den ständigen Wechsel von Ebbe und Flut, die sich immer wieder verändernde Wattlandschaft mit ihren Prielen, die Dünen und Salzwiesen. Da drüben zum Beispiel, ruft er gegen den Wind und deutet auf eine Fläche, die einmal von Schafen kurz gefressen war und auf der heute rote Strandastern, Halligflieder und Strandwermut wachsen.
"Ein Großteil der Salzwiesen im Nationalpark darf nicht mehr beweidet werden, d.h. über Gräben oder Zäune müssen die Schafe im deichnahen Bereich gehalten werden, sie dürfen nicht mehr in die Flächen rein, damit wir wieder so ein Bild kriegen wie hier, dass wir eine Pflanzenvielfalt haben."
Genau das macht Udo Engel sehr wütend.
"Diese Flächen da vorne, die sind entweidet worden, d.h. aus der Nutzung rausgenommen worden."
Das Wattenmeer bei Neufeld, nahe der Elbmündung.
"Und dort konnten sich wieder Distelpopulationen entwickeln, ganz ungestört. Das hier ist die Blüte und hier das, das Weiße, das geht nachher weiter auf und verteilt sich unheimlich weit."
Auf dem Deich weiden Schafe. Dahinter ziehen sich Salzwiesen bis an den Rand zum Watt, Gras und Schilf wachsen wild und hüfthoch. Ungestörte Natur, kilometerweit.
"Es ist aber eine Natur, die wir so nicht haben wollen. Weil die Disteln - flächendeckend wird es irgendwann zu sein! Durch Mähen kriegen wir Disteln nicht weg. Die Gräser verschwinden, denn die Distel ist konkurrenzstärker. Diese Disteln kriegt man im Grunde nur chemisch bekämpft."
Udo Engel ist Schäfer. Er musste, seit zum Schutz der Salzwiesen große Flächen nicht mehr genutzt werden dürfen, Weiden im Binnenland anpachten. Aber das ist nicht alles, schimpft er: im Frühjahr stehen seine 800 Schafe im Stall und fressen Kraftfutter, denn im Frühjahr kommen die Gänse.
"Dieser erste Gräseraufwuchs, den wir für unsere Schafe und unsere Lämmer unbedingt brauchen, der steht uns nicht mehr zur Verfügung, weil die Gänse können dermaßen kurz beißen, dass Sie denken, Sie sind in der Wüste. Das findet kein Schaf etwas zu fressen. Es sind zwölf bis vierzehn Schäfer davon betroffen, und in den letzten drei Jahren sind ungefähr 200.000 Euro Schäden entstanden, nachweislich. Und entschädigt worden sind vielleicht 30.000. Also auf 170.000 Euro bleiben wir sitzen."
Eine Perversion - dieser Naturschutz, schimpft Engel: Da entschieden Leute, die keine Ahnung hätten, die die Küste nicht kennten, die Menschen nicht kennten, die hier seit langem leben - mit der Natur und von der Natur. Wütend stapft er durch das hohe Gras. Ein Hase schießt davon.
"Die Häsin kann ihre Junge aufziehen, sie werden nicht von Raubvögeln entdeckt, die Jungen werden groß. Aber wenn jetzt eine Sturmflut kommt, eine leichte reicht schon, ab einem halben Meter über normal - die sehen sie ja nicht kommen! Und bis zum nächsten hochwassersicheren Punkt ist es zu weit. Das Wasser, im Moment hat es 14 Grad: Wie lange kann ein Hase, ein Junghase in 14 Grad kaltem Wasser schwimmen? Die alten kommen vielleicht noch weg, aber die Jungen ertrinken immer. Und wenn das im Dezember passiert, ertrinken die alten auch, weil wenn das Wasser nur noch 8 Grad hat, dann sind die in einer Viertelstunde hin. Das hier hat es früher alles nicht gegeben, alles das, was uns übergestülpt wurde. Die Herausnahme der Nutzung, hat zur Folge, dass sich hier Wildtiere ansiedeln, die hier im Grunde nichts zu suchen haben und die auch keine Überlebenschance haben."
Gerhard Gimini ist Fischer, seit 39 Jahren. Doch Fische fängt er längst nicht mehr.
"Früher war das erheblich besser. Erheblich besser. Heute wird man bloß … - da muss reduziert werden, die Quote wird reduziert, das darf man nicht mehr, das darf man nicht mehr. Das einzige, was im Moment noch frei ist, ist die Krabbenfischerei."
Gimini ist selbstständig und führt ein Familienunternehmen in Friedrichskoog. Vor ein paar Stunden hat er im Hafen von Büsum festgemacht. Und weil der Fang gut war, hat er gute Laune. Aber das Landesfischereigesetz und die EU-Verordnung, das Nationalparkgesetz und die im Wattenmeerplan festgeschriebene Fangquoten bestimmen seinen Alltag: Naturschutz, sagt Gimini, steht heute über allem.
"Der Fischer soll auch leben. Wenn der Fischer in gewissen Gebieten nicht fischen darf, geht er woanders hin, dann nimmt er den anderen Kollegen die Krabben oder Fische weg. Und wenn das Gebiet immer kleiner wird, wird die Flotte auf immer kleinerem Gebiet fischen, und zuletzt bleiben da wahrscheinlich Fischer auf der Strecke bei. Im Augenblick gehen öfters welche! Aber wenn einem Gebiete weggenommen werden - das fehlt!"
In Wilhelmshaven leitet Jens Enemark das Wattenmeersekretariat, das die Umweltschutzaktivitäten Deutschlands, Dänemarks und der Niederlande auf Grundlage des Wattenmeerplans koordiniert.
"Wenn man diesen Plan und diese Zusammenarbeit nicht hätte, hätte man nicht einen Wattenmeerschutz wie man ihn heute hat - und der sich weltweit sehen lassen kann. Wenn wir das international vergleichen, Wattenmeer, dann muss man eigentlich in der Champions League der Schutzgebiete gucken - dann müssen wir uns vergleichen mit Great Barrrier Reef in Australien, um mal ein weltweit bekanntes Beispiel zu nennen."
Das Meer ist sauberer geworden; Salzwiesen haben sich erholt und in ihnen seltene Pflanzen- und Tierarten; rund 20.000 Seehunde leben wieder im Wattenmeer - nachdem die Tiere fast ausgerottet worden waren. Der Wattenmeerplan ist ein Managementplan, die in ihm formulierten Ziele werden in Dänemark, den Niederlanden und Deutschland unterschiedlich umgesetzt. In Deutschland führten sie bspw. zur Einrichtung von Nationalparks. Doch im Alleingang, so Enemark, hätte kein Land so viel erreicht.
"Das hängt natürlich mit gewissermaßen einem Konkurrenzverhältnissen untereinander zusammen: Wenn ein Land einen höheren Schutz für bestimmte Gebiete erreicht, dann setzt das natürlich einen gewissen Druck auf die beiden anderen Staaten. Also auch durch diese Konkurrenz hat man so einen Schutzstatus erreicht."
Der Wattenmeerplan ist auch eine politische Willenserklärung. Naturschutz steht im Vordergrund - gleichzeitig will der Plan Naturschutz und menschliche Nutzung, Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen.
"Mit der Zielsetzung und den einzelnen Vereinbarungen im Wattenmeerplan haben wir es geschafft, innerhalb eines gemeinsamen Rahmens die Nutzung in Einklang zu bringen mit dem Schutz."
"Wie fing Wattenmeerschutz mal an?"
Hans-Ulrich Rösner von der Naturschutzorganisation World Wide Fund For Nature, kurz WWF, in Husum.
"Vor etwa 100 Jahren gab es die ersten, damals sehr kleinen Naturschutzvereine, die gesehen haben, daß Kolonien mit tausenden von Seevögeln hoch bedroht sind, z.B. dadurch, dass dort Touristen hineingegangen sind, Vögel geschossen haben und sich die Federn an den Hut gemacht haben. Das waren die Naturschutzprobleme damals. Das waren winzig kleine Gebiete, die damals geschützt wurden. Dann hat es Jahrzehnte, bis etwa in die 70er Jahre gedauert, bis in der Gesellschaft klar wurde, dass man durch den Schutz winzig kleiner Gebiete natürlich auch keine Vogelarten schützen kann. Und als die Konsequenzen von großen Eindeichungen deutlich wurden, wo riesige Wattgebiete verschwunden sind, wurde deutlich, dass man im Grunde das Wattenmeer in seiner Gesamtheit schützen muss. Und das war die Zeit auch, als die drei Staaten angefangen haben, zusammenzuarbeiten, und das war weltweit zu diesem Zeitpunkt einzigartig. Es ist nicht normal, dass Staaten sagen: Wir haben hier ein Schutzgebiet über mehrere Grenzen hinweg, und da kann man das nicht in einem Land so machen, in einem so, da muss man sich absprechen, wie man Tiere und Pflanzen schützen will – und genau das wird seitdem gemacht."
In allen drei Ländern, so Rösner, finden Menschen Naturschutz wichtig. Seehunde beispielsweise sollen nicht aussterben, da sind sich alle einig. Die Tücke … liegt im Detail.
"Es gab eine Zeit vor Jahrzehnten, da war es sicherlich sinnvoll, von ihren Müttern verlassene Seehunde einzusammeln und aufzuziehen und wieder in der Natur auszusetzen. Das ist auch heute noch so in den Niederlanden, dass man das macht: Da wird nahezu jeder Seehund, den man irgendwo findet, auch wenn er vielleicht noch seine Mutter irgendwo hat, der Natur entrissen und aufgezogen und dann wieder in die Natur entlassen. In Deutschland macht man das auch, aber etwas zurückhaltender. Man guckt erstmal sorgfältig, ob nicht die Mutter vielleicht doch noch da ist. Und in Dänemark werden diese Tiere erschossen. Und zwar aus Tierschutzgründen, weil man sie sich nicht länger quälen lassen will."
Gleichzeitig ist die Nordsee ein Wirtschaftsraum, eines der am stärksten befahrenen Gewässer der Welt. Und die Anrainer haben konkurrierende ökonomische Interessen: Die Niederlande wollen riesige Offshore-Windanlagen bauen und Dänemark ist dagegen; Deutschland will ein Verbot der Industriefischerei im Wattenmeer durchsetzen und Dänemark protestiert; deutsche Häfen schimpfen gegen Restriktionen und Auflagen, weil sie fürchten, dass Schiffe auf den Hafen in Rotterdam ausweichen könnten. Der Wattenmeerplan löste damals in Schleswig-Holstein heftige Debatten aus: Bürgermeister wollten verhindern, dass ihre Gäste wegblieben, wenn sie nicht mehr ungestört durchs Watt laufen dürften; Anwohner fürchteten um ihre Existenz und um die Sicherheit der Deiche und hängten Schilder vor ihre Häuser: Stoppt den Öko-Wahn!; Fischereiwirtschaft und Handelskammern forderten die Minister auf, den Plan nicht zu unterschreiben.
"Jeder, der ein Nutzungsinteresse hatte - ob das die Ölindustrie ist, die Fischerei, die Landwirte -, hat versucht, seine Interessen dort hineinzuformulieren. Oder zu vermeiden, dass dort sehr scharfe, strenge Formulierungen gefunden wurden."
Hans-Ulrich Rösner vom WWF.
"Man lässt uns mitreden - das ist aber auch alles."
Der Schäfer Udo Engel.
"Nach dem Motto: Jetzt haben sie geredet, jetzt machen wir das, was wir wollen. Also wir fühlen uns, auf Deutsch gesagt, richtig verarscht."
So mancher fühlte sich übergangen, wollte Selbstbestimmung. In Schleswig-Holstein vermischte sich die Debatte außerdem mit dem Streit um eine Erweiterung des Nationalparks. Alle stritten mit allen, Eier und Tomaten flogen, Anwohner jagten jeden Naturschützer, der auf ihren Deichen auftauchte, zum Teufel, sie kämpften gegen "den Naturschutz" und "die anderen".
Heute ist der Streit vorüber, sagt Klaus Kossmagk-Stephan vom Nationalparkamt Wattenmeer in Tönning, und zitiert eine Umfrage seines Amtes:
"Das war eine Umfrage in den beiden Landkreisen, die an den Nationalpark grenzen, also es war eine Einheimischenbefragung. Und von diesen Einheimischen sind knapp 90 Prozent für den Nationalpark und fünf Prozent sind ausdrücklich dagegen. Wir haben 90 Prozent für uns. Wenn ich Politiker wäre, würde ich sagen: Das ist ein krachendes, positives Wahlergebnis."
"Sämtliche Naturschützer, die hier in irgendwelcher Form kommen, sind hier nicht mehr willkommen – muß man so vorsichtig zu formulieren."
Gustav Krey, Landwirt und Mitglied der Bürgerinitiative Neufelder Koog, jagt noch immer jeden Vogelzähler vom Deich. Oder gleich die Vögel selbst.
"Wir haben wirklich Krieg mit den Leuten hier. Also wir wollen die nicht mehr haben. Das ist so. Wir können auf die Gesetzgebung keinen Einfluss nehmen - darum wehren wir uns eben vor Ort."
"Man kann sagen, dass die Ökonomie hier völlig unter die Räder gerät. Also die Ökologie hat eindeutig Vorrang."
"Die wollten hier so viel haben … - die haben aber vergessen, dass wir hier in den Wattengebieten davon leben. So wie ich z.B.: die Zone-1- und Zone-2-Gebiete, das ist ungefähr mein halber Umsatz!"
"Uns wurde ja glaubhaft versichert, dass durch den Nationalpark zum Beispiel mehr Tourismus käme. Das ist überhaupt nicht so geworden. Wir haben laufend die letzten zehn Jahren jedes Jahr negative Besucherzahlen an der Küste."
"Dieser Tourismus ist auf ein intaktes Wattenmeer in hohem Maße angewiesen. Man wird das für die ganze Nordseeküste so wichtige Gewerbe des Nordseetourismus auf Dauer nur gesund halten können, wenn man intakte Natur an der Nordseeküste bewahrt. Und ich glaube, dass sich gerade in diesem Bereich zeigt, in wie hohem Maße wirtschaftliche, in diesem Fall Tourismusinteressen, und Naturschutzinteressen in Einklang gebracht werden müssen und zunehmend ja auch werden."
Das Statische Landesamt, das Übernachtungen in Herbergen mit mehr als neun Betten erfasst, verzeichnete im Kreis Dithmarschen sinkende Zahlen bis 2004 - seither kommen wieder mehr Gäste. Im Kreis Nordfriesland stiegen die Gästezahlen seit 2001 kontinuierlich.
Die Nordsee-Tourismus-Service GmbH, die auch Übernachtungen in privaten Herbergen erfasst, meldet steigende Gäste- und Übernachtungszahlen.
Eine Untersuchung der TU Dresden ergab: Rund ein Viertel aller Übernachtungsgäste kam wegen des Nationalparks an die Nordsee.
Ökologie und Ökonomie im schleswig-holsteinischen Wattenmeer - zehn Jahre nach der Verabschiedung des Wattenmeerplans. Der WWF wirft dem Nationalparkamt vor, inzwischen praktisch alle industriellen Interessen zu genehmigen. Vogelarten wie der Sandregenpfeifer sind immer noch gefährdet. Noch immer gelangen Schadstoffe in die Nordsee. Der Energiekonzern RWE Dea fördert im Nationalpark Öl und will Probebohrungen vornehmen, um weitere Ölvorkommen zu erschließen. Umweltgefahren, die man vor zehn Jahren zu wenig berücksichtigt hat, bedrohen das Wattenmeer: die Verschleppung fremder Arten und der Klimawandel.
"Ein beschleunigter Meeresspiegelanstieg, und der ist ja Folge des Klimawandels, hat zur Folge, dass das Wattenmeer erodieren könnte. Dass es im Grunde verschwinden könnte und große Gebiete nicht mehr Wattflächen sind, sondern Wasserflächen. Dass auch die Inseln und Halligen in große Gefahr geraten. Es gibt eine durchaus natürliche Anpassungsfähigkeit an solchen Meeresspiegelanstieg, wir haben ja auch einen natürlichen Meeresspiegelanstieg, das Wattenmeer kann quasi mitwachsen, aber nicht, wenn man es zu sehr einengt, zu sehr in feste Strukturen gießt. Und deswegen, und das ist eine Diskussion, die wir in den kommenden Jahren ganz intensiv mit dem Küstenschutz führen müssen, brauchen wir einfach Anpassung in der Art wie wir Dämme bauen, wie wir Deiche bauen, wie wir Küstenschutz machen."
Herausforderungen für künftige Generationen. 2010 findet die nächste trilaterale Regierungskonferenz statt, auf der der Wattenmeerplan fortgeschrieben werden soll. Bis dahin, und wohl nicht nur bis dahin, werden die Beteiligten noch viel miteinander reden müssen…
"Wenn ich das alles gegeneinander aufrechne, komme ich dahin, dass wir ein ungefähr 10.000 Quadratkilometer großes Naturgebiet mitten in hoch industrialisierten Ländern geschafft haben, es sich insgesamt nicht verschlechtern zu lassen. Und das ist mehr als wir in den meisten Gebieten der Welt über den Naturzustand sagen können."
"Man soll die Natur lassen, wie sie ist - sagen wir immer."
Der Fischer Gerhard Gimini.
"Wir wären ja schön dumm, wenn wir uns die Natur selbst kaputt machen würden. Wir sollen hier in der Natur unser Geld verdienen! Und die Nordseekrabben - das ist Natur. Wenn man sich das kaputtmacht, dann haben wir hier keinen Verdienst mehr."
Vor St. Peter-Ording gräbt Karl-Heinz Hildebrandt nach Wattwürmern. Er deutet auf Fraßspuren einer Meeräsche, kleine helle Flecken, wie Rostflecken im nassen Sand. Was die Menschen im Wattenmeer, Naturschützer und die, die sich zu geschützt fühlen, eint, ist die Liebe zur Landschaft. Weiter Strand, endloser Himmel. In der Ferne ein Leuchtturm. Die Flut geht, die Ebbe kommt.
"Das ist das Beständige am Wattenmeer: der ständige Wechsel. Mit jeder Flut, jeder Windrichtung kann wieder was abgetragen werden, die Priele verändern sich - und das ist eben das Schöne."
"Das Wattenmeer ist eine der schönsten Landschaften, die ich kenne. Weil es selten eine Gegend gibt, wo man sagen kann: Horizont trifft Meeresgrund."
"Das Wattenmeer ist, mit Ausnahme vielleicht der deutschen Alpen, die einzige Wildnis, die wir eigentlich haben. Wenn man sich im Wattenmeer bewegt, bewegt man sich auch auf den Bedingungen der Natur. Wenn Sie vom Festland zu den Inseln gehen, dann können Sie das nur tun bei Niedrigwasser. Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht überrascht werden, Sie müssen einen Kompass mithaben usw. Das fasziniert mich einerseits, andererseits ist es so: Der Mensch hat in dieser Gegend 2500 Jahren gelebt. Er hat die Landschaft hinter den Deichen geformt. Dieser Zusammenprall zwischen Natur und Kulturlandschaft macht das Wattenmeer auch zu etwas Einmaligem, weltweit!"