Gleichstellungslabor Frankreich

Zehn Jahre Quotengesetz

28:54 Minuten
Eine Gruppe junger Frauen mit Mund-Nasenschutz demonstriert auf der Straße für Gleichstellung.
Auch in Frankreich gibt es noch keine wirkliche Gleichstellung: Darauf wollen die Demonstrantinnen am 8. März 2021 in Paris aufmerksam machen. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Olivier Donnars
Von Suzanne Krause · 17.03.2021
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Vor zehn Jahren hat Frankreich als erster großer Industriestaat ein Gesetz verabschiedet, das eine 40-Prozent-Quote für Frauen in den Aufsichtsräten börsennotierter Großkonzerne vorschreibt. In Sachen Gleichberechtigung ist trotzdem noch einiges zu tun.
Paris, 26. Januar 2021. Im Finanzministerium wird der zehnte Jahrestag des Aufsichtsrats-Quotengesetzes, der 'Loi Copé-Zimmermann' gefeiert.
"Wir können heute stolz sein, eine französische Nation geschaffen zu haben, in der die Frauen quasi die Hälfte aller Aufsichtsratsplätze einnehmen."
Hausherr Bruno Le Maire ist sichtlich begeistert vom Erfolg des Gesetzes.
"Wir stehen europa- und weltweit an der Spitze. Und das ist für eine Nation, die seit jeher den Kampf für die Gleichstellung von Frauen und Männern hochhält, ein Anlass, stolz zu sein."
Gleichstellungsministerin Elisabeth Moreno unterfüttert Le Maires Eindruck mit konkreten Zahlen:
"Dank dem Gesetz haben sich die Aufsichtsräte der an der Pariser Börse notierten Konzerne spektakulär verweiblicht: Waren 2009 an die zehn Prozent der Gremiumsmitglieder Frauen, so beträgt ihr Anteil nun 44,6 Prozent."

Das Quotengesetz ist das Baby einer Konservativen

Heute gilt die französische Quotenvorgabe als 'revolutionär' im Land. Vor einem guten Jahrzehnt aber löste das Ansinnen noch wütende Proteste aus. Doch Marie-Jo Zimmermann ließ sich damals nicht entmutigen. Fast zwanzig Jahre lang, bis 2017, kämpfte die Konservative als Abgeordnete in der Nationalversammlung hartnäckig für mehr Gleichstellung. Das Quotengesetz ist ihr Baby. Für das sie einen hochkarätigen 'Taufpaten' fand, Jean-François Copé, damals Präsident der Gruppe der Konservativen in der Nationalversammlung. Er stand voll zu Zimmermanns Projekt:
"Ich habe den Gesetzesvorschlag damals einfach auf die parlamentarische Tagesordnung gesetzt. Damit war der Fall erledigt, juristisch zumindest. Aber nicht psychologisch. Sie können sich nicht vorstellen, was ich mir anhören musste! Der Chef des Arbeitgeberverbands sagte, eine Quote sorge für zwei Probleme. Er sprach vom 'Lagerbestand' und vom 'Entscheidungsfluss' – unglaublich, diese Wortwahl!"

Im Foyer eines schnuckeligen Hotels mitten im Quartier Latin bereitet sich Marie-Jo Zimmermann auf ein Seminar zur Bilanz des Quotengesetzes vor. Dafür ist die Ex-Abgeordnete aus ihrer Heimatregion Moselle angereist. Nun blättert die 69-Jährige im knallroten Blazer in der jüngsten Erhebung zum Frauenanteil in französischen Aufsichtsräten. Marie-Jo Zimmermann hält kurz inne und zieht eine grundsätzliche Bilanz:
Eine blonde Frau mit rotem Blazer hat vor sich auf einem ein Broschüre und Papiere liegen.
"Der Prozess der Bewusstwerdung ist abgeschlossen, nun sind wir in der Phase des schlechten Gewissens", sagt die Abgeordnete Marie-Jo Zimmermann über Gleichstelllung in Frankreich.© Deutschlandradio / Suzanne Krause
"Der Prozess der Bewusstwerdung ist abgeschlossen, nun sind wir in der Phase des schlechten Gewissens. Wenn heute ein Unternehmen die Quotenvorgabe nicht erfüllt, sorgt das in der Chefetage für ein schlechtes Gewissen: Sie sucht händeringend Kandidatinnen für den Aufsichtsrat. Und falls ein Betrieb sich um die Quotenvorgabe herumzudrücken versucht, legen zum einen die Frauen im Aufsichtsrat und zum anderen die gesamte Gesellschaft sehr schnell den Finger auf die Wunde."

Quoten wurden nicht überall durchgesetzt

In der Statistik schimmert allerdings durch, dass vielerorts in kleinen und mittleren Firmen nach wie vor Nachholbedarf besteht. Denn bislang wird die Umsetzung der Quotenregelung nur bei Großkonzernen strikt kontrolliert. Nun jedoch plant die Regierung, auch in kleineren Betrieben die Quote kontrollieren zu wollen. Allgemein sei es aber so, dass bislang in keinem einzigen Fall Sanktionen verhängt worden seien, sagt Zimmermann.
"Das Ziel war nie, säumige Unternehmen zu sanktionieren, sondern ihnen auf pädagogische Art klarzumachen: Die Präsenz von Frauen im Aufsichtsrat ist keine Strafe für das Unternehmen, sondern eine Wohltat. Dort, wo die Botschaft angekommen ist, haben sich die Dinge auf Ebene des Aufsichtsrats gewandelt. Hier wird nun anders reflektiert als noch 2011. Aufs Tapet kommen andere Fragen und Empfehlungen als früher. Oftmals dank der Frauen: Sie haben die Geschäftsberichte nicht nur komplett studiert, sondern auch gewisse Passagen unterstrichen. Frauen stellen im Aufsichtsrat immer wieder Fragen, die verstörend wirken, aufrüttelnd. Das ist für das gesamte Unternehmen produktiv."
Caroline Weber saß schon in vielen Aufsichtsräten und amtiert auch jetzt bei einer Handvoll teils börsennotierter Unternehmen. Sie war an der Spitze mehrerer Firmen tätig. Gründete ein Netzwerk für angehende Karriere-Frauen. Und leitet seit Jahren MiddleNext, einen Lobby-Verein für mittlere Börsenbetriebe, der am früheren Sitz der Pariser Börse seine Büroräume hat. Die Chefin sitzt vor gleich zwei Laptops, klickt mal hier, mal dort. Während der Kaffee durchläuft, erzählt Weber, wie ihr, damals aufstrebende Jungunternehmerin, erstmals ein Posten angetragen wurde. Das ist nun ein gutes Vierteljahrhundert her.
"Als ich den allerersten Aufsichtsrats-Posten antrat, war ich 31 Jahre alt. Ich war unglaublich jung und zudem eine Frau, kurzum: eine absolute Ausnahmeerscheinung. Als ich zur ersten Sitzung in den Saal kam, war ich sehr beeindruckt. Mir fiel gleich auf, dass meine Kleidung nicht dem Dresscode entsprach, da musste ich mich anpassen. Nun, jedes erste Mal ist beeindruckend. Bald war der Job gar nicht mehr so schwierig."

Anerkennung von Lebensläufen mit Brüchen

Bei Caroline Weber stehen die Unternehmen mit Angeboten für einen Posten im Aufsichtsrat weiterhin Schlange. Dabei mangele es keineswegs an Nachwuchs, sagt sie.
"Unser Verein MiddleNext hat einen Talentepool aufgebaut und sehr viele bemerkenswerte Frauen in Aufsichtsräte vermittelt. Da handelt es sich häufig um Personen, deren Karriere nicht klassisch, gradlinig verlaufen ist, ihr Lebenslauf weist Brüche auf. Kleine und mittlere Unternehmen aber wollen zumeist Frauen, die das Terrain kennen. Talentierte Frauen gibt es genug. Allerdings sind sie oftmals wenig sichtbar. Sie betreiben kaum Netzwerkarbeit, sie machen wenig auf sich aufmerksam. Aber: Es gibt wirklich viele bemerkenswerte Frauen."
Zu denen auch sie selbst zählt. Nach dem Studium an einer Elite-Handelsschule legte Weber nicht nur eine steile Karriere hin, sie ist außerdem dreifache Mutter und seit eh und je mit demselben Mann verheiratet. Vier Stunden Schlaf pro Nacht reichen ihr, sagt sie und lacht.
"Meine Urgroßmutter war Chefin eines Unternehmens. Das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr selten. Ich bin also mit dem Gedanken aufgewachsen, dass eine Frau sehr wohl einen Betrieb führen kann. Außerdem habe ich eine außergewöhnliche Schwiegermutter, die ihrem Sohn die richtige Erziehung angediehen ließ. Mein Mann und ich haben uns die Familienarbeit immer geteilt, er hat mir viel geholfen. Zudem verfügt Frankreich über ein gutes Krippensystem und die Kosten für die Tagesmutter, die wir angestellt hatten, sind steuerlich absetzbar. Zu meinem Glück waren die Kinder rundum gesund. Alle drei haben es im Leben weit gebracht – sie waren schon früh selbstständig."

Vaterschaftsurlaub und Paritäts-Index

Vor einem halben Jahr hat die Macron-Regierung den Vaterschaftsurlaub verdoppelt, auf nunmehr 28 Tage, darunter sieben Tage Pflichturlaub. Im November 2019 wurde ein Paritätsindex eingeführt. Seither müssen Privatbetriebe aufdecken, ob es bei ihnen geschlechtsbedingte Lohnunterschiede gibt. Oder auch, ob, falls Löhne und Prämien für die gesamte Belegschaft erhöht wurden, aus dem Mutterschaftsurlaub rückkehrende Arbeitnehmerinnen ebenfalls davon profitieren. Klafft das Einkommen zwischen männlichen und weiblichen Angestellten zu weit auseinander, drohen Sanktionen. Frankreich sei in vielen Bereichen auf dem Gleichstellungsweg, bestätigt Weber.

Gleichberechtigung in den Unternehmen hat für die französische Politik offenbar Priorität. Was dabei ein wenig unter den Tisch fällt ist, dass die Politik selbst noch einiges tun könnte in Sachen Gleichberechtigung. Natürlich gibt es auch hier bereits ein zwanzig Jahre altes Gesetz, nach dem Parteien verpflichtet sind, vor Wahlen genauso viele Frauen wie Männer als Kandidaten zu präsentieren. Wenn das nicht geschieht, erstattet der Staat deutlich weniger Wahlkampfkosten. Allerdings verzichten in der Praxis die meisten Parteien dann doch immer noch lieber auf das Geld, als auf einen Listenplatz für einen Mann. Aber fünf der zehn größten Städte Frankeichs werden inzwischen von Frauen regiert. Unter ihnen die Sozialistin Anne Hidalgo. Die Bürgermeisterin von Paris, der längst Ambitionen auf mehr nachgesagt werden. Christiane Kaess, unsere Korrespondentin in Paris, verfolgt den Weg der Anne Hidalgo schon eine Weile.
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Ein Weg, den auch das 'Laboratoire de l'Egalité' gepflastert hat. Bei dem 'Gleichstellungs-Labor' handelt es sich um eine Art Thinktank, der 2010 in Paris gegründet wurde. Dessen Vize-Präsidentin Corinne Hirsch hält Vorträge zur beruflichen Chancengleichheit, ihrem Fachgebiet.
"Das 'Gleichstellungs-Labor' versammelt heute 1500 Experten und Expertinnen zu Fragen der Gleichstellung im Job. Forscher, die uns Statistiken liefern, engagierte Unternehmen, Vereine, Netzwerke, die darauf drängen, ungleiche Behandlung statistisch aufdecken. Unterschiedliche Abgeordnete, die das Arbeitsrecht verbessern wollen sowie Gewerkschafter und Arbeitgeberverband. Unsere Rolle ist es, konkrete Vorschläge auszuarbeiten, um die Dinge auf Ebene der Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft voranzubringen – für die Gleichstellung im Job."

Ideen vom "Gleichstellungs-Labor"

Hirsch vergleicht das 'Laboratoire de l'Egalité' mit einer Küche: Unzählige Ideen brodeln im Topf, werden nach und nach auf ihre Substanz reduziert, konzentriert.
"Die besten Vorschläge unterbreiten wir regelmäßig der Öffentlichkeit, weil wir die öffentliche Meinung brauchen, damit sich etwas bewegt. Jetzt müssen die Männer ins häusliche und familiäre Leben integriert werden. Sonst treten wir auf der Stelle. Solange Haus- und Familienarbeit zu 85 Prozent auf den Schultern der Frauen lasten, geht nichts voran."
Eine Frau mit langen, dunklen Haaren sitzt über ein Laptop gebeugt an einem großen Tisch aus hellem Holz.
Mit ihrer Initiative '2Gap' will Nathalie Pilhes mehr Frauen in Führungspositionen bringen.© Deuschlandradio / Suzanne Krause
Mit der 'Loi Copé-Zimmermann' ging die Hoffnung einher, das Gesetz gebe ausreichend Elan, quasi automatisch mehr Frauen auf Führungsposten zu bringen – also in leitende Positionen auf Ebene der Geschäftsführung, an der Firmenspitze. Der Wunsch hat sich nicht erfüllt: In der Führungsspitze aller französischer Unternehmen liegt der Frauenanteil im Schnitt gerade mal bei 20 Prozent.
Ein Unding, heißt es bei der Initiative '2Gap'. Die Abkürzung steht für 'Gender and Gouvernance Action Platform'. Die Aktions-Plattform verfolgt ein einziges Ziel: mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst. '2Gap', ein Netzwerk verschiedener Berufsnetzwerke von Frauen, entstand vor einem Jahr in Paris.

Posten mit Entscheidungsgewalt sind oft noch Männersache

'2Gap'-Präsidentin Nathalie Pilhes ist gerade zu Gast in Afrika. Virtuell. Vom heimischen Schreibtisch aus nimmt sie an einer Webkonferenz der afrikanischen UN-Wirtschaftskommission teil. Das Thema: Weibliches Leadership. Gelegenheit, eine erste Bilanz der '2Gap'-Aktivitäten zu ziehen.
"In den letzten Monaten haben wir zusammengestellt, welche Hürden Frauen den Zugang zu Posten mit Entscheidungsgewalt verwehren und Vorschläge zu deren Abschaffung ausgearbeitet. Unsere Stärke und Spezifität entstammt der Kombination zweier Aspekte. Zum einen beherrschen wir jedes Thema aus dem Effeff. Das befähigt uns, Einwände gegen unsere Vorschläge zu parieren. Zum anderen können wir dank des Netzwerks auf dem Terrain prüfen, ob unsere Vorschläge funktionieren."
Nathalie Pilhes ist seit dreißig Jahren im höheren Dienst tätig, arbeitete für den Premierminister, dann im Verteidigungsministerium und nun im Innenministerium. Eines ihrer Spezialgebiete: Sicherheitsfragen. Ihr Wissen um die Funktionsweise der staatlichen Verwaltung bringt Pilhes nun bei '2GAP' ein.
"Die Idee zu '2Gap' kam uns, als wir sahen, dass die Regierung Initiative über Initiative zur beruflichen Gleichstellung auflegte. Das Thema hat Macron bei Amtsantritt zum 'nationalen Anliegen' erklärt, für die fünfjährige Legislaturperiode. Ein Glücksfall!"
Seit 2017 hat die Regierung viel für die ökonomische Gleichstellung von Frauen getan: mit dem betrieblichen Paritätsindex, der Verlängerung des Vaterschaftsurlaubs oder auch der Ausdehnung der Aufsichtsratsquote auf kleinere Betriebe. Ausgespart aber blieb immer ein Aspekt: Frauen in Führungspositionen. Kein Wunder: Wer einen Posten mit Entscheidungsgewalt innehat, hat Macht, sagt Nathalie Pilhes. Im vergangenen Jahr habe UN-Generalsekretär Guterres an die Welt appelliert, mehr Frauen auf Leadership-Posten zu setzen. Worte, die ihr aus der Seele sprechen:
"Um alle Probleme hinsichtlich der beruflichen Benachteiligung von Frauen zu lösen, braucht es Frauen in Führungspositionen."

Gleichstellung bringt Wiederaufschwung

Gleich nach der Gründung von '2Gap' im März 2020 schrieben die Aktivistinnen einen offenen Brief an Staatspräsident Macron – ein Plädoyer für eine Frauenquote für Führungspositionen an der Firmenspitze. Der Erfolg war umwerfend: Aus zehn Ministerien traten Berater an '2GAP' heran, die Regierung stellte ein Gesetz in Aussicht. Dann herrschte allerdings Funkstille, wegen Covid-19. Im September hakten Pilhes und ihre Kolleginnen in den Ministerien nach, energisch. Zunächst hieß es dort, das Thema sei vom Tisch, absolut prioritär sei nun, die Corona-bedingte Krise zu managen und die Wirtschaft neu anzukurbeln.
"Daraufhin haben wir erklärt, eines sei nun wirklich belegt: Sind Frauen und Männer im Betrieb gleichgestellt, ist das Unternehmen leistungsfähiger. Um gut aus der aktuellen Krise herauszukommen, muss die Gleichstellung ins Zentrum gerückt werden. Denn das erhöht die Chancen für einen gelungenen Wiederaufschwung."
Die Argumente zeigten Wirkung, wie in der Rede von Finanzminister Le Maire zum zehnten Jahrestag des Aufsichtsrat-Quotengesetzes deutlich wurde.
"Jeder sieht sehr wohl: Diejenigen, die am meisten unter den ökonomischen Folgen der aktuellen Krise leiden, sind die Frauen."
Am 8. März präsentierte die Regierung ein neues Gesetzesprojekt. Geplant ist unter anderem, Krippenplätze für Alleinerziehende zu reservieren. Vor allem aber geht es um eine neue Quotenregelung: Bis 2030 sollen vierzig Prozent der Führungsposten mit Frauen besetzt sein. Das wünscht auch Bruno Le Maire.
"Ich bin fest überzeugt: Wir brauchen Quoten auf Ebene der Führungsspitze von Unternehmen, um die wirkliche Gleichstellung von Frauen und Männern in den Chefetagen französischer Unternehmen, insbesondere der größten, zu erzielen."
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