Zehn Jahre 9/11
Die Anschläge auf das World Trade Center in New York jähren sich im September zum zehnten Mal. In Berlin diskutierten Experten aus diesem Anlass über den "Krieg gegen den Terror" und den Blick des Westens auf die arabische Welt.
Als die Twin Towers gefallen, einige Tausend Todesopfer des islamistischen Terroranschlags zu beklagen waren, da ging es in den USA erst einmal nicht um die Logik der Politik, die Macht der Bilder oder eine Analyse der Sprachregelungen - im Fokus stand zu allererst die Wissenschaft:
"Keiner der Nahostexperten habe den 11. September vorausgesagt, eben weil sie die Gefahren eines islamistischen Terrors allzu weich gezeichnet hätten. Dieses Argument wurde in diversen Medien aufgenommen, weitergeführt und in den Vorwurf gegossen, sie hätten ihre Regierung nicht gewarnt, sie hätten sie gleichsam verraten."
Für einen sachlich fundierten Dialog der Wissenschaft mit Politikern, Poeten und Publizisten plädiert der Berliner Historiker Andreas Eckert, Afrika-Experte und zugleich Vorsitzender des neuen Forums Transregionale Studien, zehn Jahre nach "9/11". Den Anfang machte im Berliner Haus der Kulturen Hans-Ulrich Klose von der SPD. Die deutsche Politik habe den Fehler gemacht, sich bei der Entscheidung über die Unterstützung einer Intervention im Irak allzu sehr auf die "Unterrichtung" durch Nachrichtendienste zu verlassen.
"Und ich wusste eigentlich fast gar nichts über ethnologische Probleme und Anthropologie. Und finde im Nachhinein, wir hätten beides stärker in den Vordergrund schieben müssen. Wahrscheinlich hätten wir die Dominanz des militärischen Denkens schon rechtzeitiger unterbrechen können und wären auf einen anderen Pfad gekommen."
Das allerdings ist fraglich: Seit Jahrzehnten schon hat das US-Militär Sozialwissenschaftler in seine Dienste genommen - und sich doch allen rationalen Erkenntnissen verweigert. Das sah auf diesem Kongress nicht nur Elias Khoury so. Der palästinensische Schriftsteller skizzierte in seiner Eröffnungsrede eine Situation, in der die US-Administration unter George Bush und das Al-Qaida-Terrornetzwerk Osama Bin Ladins besinnungslos ihren Feindbilder hinterherjagten wie einst im Kalten Krieg:
"Dieses vorsätzlichen Missverstehen der Kriegstreiber lieferte den USA ihren Vorwand im Irak einzumarschieren. Unter der Devise, einen "Neuen Mittleren Osten" aufzubauen, machten sie den Kampf ganzer Generationen arabischer Intellektueller für Demokratie zur Farce."
Welche Triebkräfte, welche materiellen Interessen den Konflikt, die blutigen oder auch kriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Westen und der muslimischen Welt auslösen und befördern, darüber war von den Kulturwissenschaftlern wenig zu erfahren. Was die arabischen Länder angeht, steht für Elias Khoury allerdings außer Frage:
"All das hat seine Wurzeln in einer politischen und kulturellen Leere, hervorgerufen durch das Scheitern der nationalen Befreiungsbewegungen und die despotische Herrschaft von Alliierten des Westens wie Ben Ali und Mubarak."
Da taucht prompt die Frage auf, ob nicht die westlichen Reaktionen nach "9/11" einen arabischen Frühling verhindert, die demokratische Revolution um Jahre zurückgeworfen haben? Pinar Bilgin, Politikwissenschaftlerin aus Ankara, antwortet ausweichend: Zwar hat der Westen seinen nach 1989 gepflegten "Menschenrechtsdiskurs" durch eine Politik der Sicherheit ersetzt, ab 2001 im sogenannten "Krieg gegen den Terror" vorgeblich "stabile", de facto diktatorische Regimes unterstützt. Bei den demokratischen Oppositionsbewegungen konnte das ein Gefühl der Hilflosigkeit erzeugen - aber auch den Druck, sich jetzt erst recht auf die eigenen Kräfte zu besinnen. Empirische Untersuchungen zu solchen Mentalitäts-Umschwüngen, überhaupt zur soziokulturellen Situation sind rar. Und damit nimmt die Wissenschaft sich selbst den Wind aus den Segeln. Wie James Der Derian aus New York mit einem Zitat von Karl Rove demonstrierte, dem Stabschef des Weißen Hauses unter George Bush:
"Er sagte: Sie - Journalist, Zuhörer oder Wissenschaftler - sind Teil einer realitätsverhafteten Gemeinschaft. Wir nicht, denn wir sind ein Empire: Während Reporter und Sozialwissenschaftler ihre Kritik formulieren, schaffen wir eine andere Realität."
Zu dieser "anderen Realität" gehört, dass das Pentagon Schlüsselbilder platziert oder über die Frage entscheidet, ob ein Foto der Leiche von Osama Bin Ladin erscheint. Gegen diese Art der Propaganda, so die einhellige Meinung, müsse die Wissenschaft eine andere "Narration" setzen, eine möglichst vielstimmige Spiegelung anderer Gesellschaften in der eigenen Kultur. Aber für den Medienexperten Der Derian reicht das nicht:
"Wenn ihr eure Story nicht so schnell herausbringt wie die, dann ist sie wertlos. Egal wie akkurat, wie gut gemacht oder theoretisch durchdacht. Wir müssen uns der Populärkultur bedienen - und auch der Simulation, der Gegen-Simulation. Statt vorzugeben, im Besitz einer höheren Wahrheit zu sein."
Die "höhere" Wahrheit in einem geradezu makabren Sinn aber haben längst die US-Militärs gepachtet. Aus der Vogelperspektive ferngesteuerter Flugkörper, sogenannter Drohnen, entscheiden ihre Soldaten in Afghanistan über Leben und Tod: Sie feuerten Anfang 2010 Raketen auf einen Autokonvoi von Zivilisten, nur weil die ihren Gebetsteppich ausbreiteten - und deshalb als Taliban eingestuft wurden. Daran erinnert der Islam-Historiker Manan Ahmed - und er vergleicht diesen verengten Blick der Militärs auf eine andere Kultur mit dem aktuellen Cover der US-Zeitschrift "Atlantic", wo unter der Titelzeile "Arab Democracy" ein bis auf den schmalen Augenschlitz vom schwarzen Gebetsschleier verdecktes Frauengesicht zu sehen ist:
"Wie auf dem Monitor der Drohne erledigt das Gebet alle andren Fragen: wer sind sie, welche Absichten haben sie, was werden sie jetzt tun? Ebenso ist es mit dem Schleier auf dem Titelblatt. Keiner fragt mehr, wer die Frau ist, welches Verhältnis sie zu der jetzt so oft zitierten Demokratie hat. So sieht die Perspektive aus, die unsere Politik dominiert und auch den Medienkonsum."
"Keiner der Nahostexperten habe den 11. September vorausgesagt, eben weil sie die Gefahren eines islamistischen Terrors allzu weich gezeichnet hätten. Dieses Argument wurde in diversen Medien aufgenommen, weitergeführt und in den Vorwurf gegossen, sie hätten ihre Regierung nicht gewarnt, sie hätten sie gleichsam verraten."
Für einen sachlich fundierten Dialog der Wissenschaft mit Politikern, Poeten und Publizisten plädiert der Berliner Historiker Andreas Eckert, Afrika-Experte und zugleich Vorsitzender des neuen Forums Transregionale Studien, zehn Jahre nach "9/11". Den Anfang machte im Berliner Haus der Kulturen Hans-Ulrich Klose von der SPD. Die deutsche Politik habe den Fehler gemacht, sich bei der Entscheidung über die Unterstützung einer Intervention im Irak allzu sehr auf die "Unterrichtung" durch Nachrichtendienste zu verlassen.
"Und ich wusste eigentlich fast gar nichts über ethnologische Probleme und Anthropologie. Und finde im Nachhinein, wir hätten beides stärker in den Vordergrund schieben müssen. Wahrscheinlich hätten wir die Dominanz des militärischen Denkens schon rechtzeitiger unterbrechen können und wären auf einen anderen Pfad gekommen."
Das allerdings ist fraglich: Seit Jahrzehnten schon hat das US-Militär Sozialwissenschaftler in seine Dienste genommen - und sich doch allen rationalen Erkenntnissen verweigert. Das sah auf diesem Kongress nicht nur Elias Khoury so. Der palästinensische Schriftsteller skizzierte in seiner Eröffnungsrede eine Situation, in der die US-Administration unter George Bush und das Al-Qaida-Terrornetzwerk Osama Bin Ladins besinnungslos ihren Feindbilder hinterherjagten wie einst im Kalten Krieg:
"Dieses vorsätzlichen Missverstehen der Kriegstreiber lieferte den USA ihren Vorwand im Irak einzumarschieren. Unter der Devise, einen "Neuen Mittleren Osten" aufzubauen, machten sie den Kampf ganzer Generationen arabischer Intellektueller für Demokratie zur Farce."
Welche Triebkräfte, welche materiellen Interessen den Konflikt, die blutigen oder auch kriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Westen und der muslimischen Welt auslösen und befördern, darüber war von den Kulturwissenschaftlern wenig zu erfahren. Was die arabischen Länder angeht, steht für Elias Khoury allerdings außer Frage:
"All das hat seine Wurzeln in einer politischen und kulturellen Leere, hervorgerufen durch das Scheitern der nationalen Befreiungsbewegungen und die despotische Herrschaft von Alliierten des Westens wie Ben Ali und Mubarak."
Da taucht prompt die Frage auf, ob nicht die westlichen Reaktionen nach "9/11" einen arabischen Frühling verhindert, die demokratische Revolution um Jahre zurückgeworfen haben? Pinar Bilgin, Politikwissenschaftlerin aus Ankara, antwortet ausweichend: Zwar hat der Westen seinen nach 1989 gepflegten "Menschenrechtsdiskurs" durch eine Politik der Sicherheit ersetzt, ab 2001 im sogenannten "Krieg gegen den Terror" vorgeblich "stabile", de facto diktatorische Regimes unterstützt. Bei den demokratischen Oppositionsbewegungen konnte das ein Gefühl der Hilflosigkeit erzeugen - aber auch den Druck, sich jetzt erst recht auf die eigenen Kräfte zu besinnen. Empirische Untersuchungen zu solchen Mentalitäts-Umschwüngen, überhaupt zur soziokulturellen Situation sind rar. Und damit nimmt die Wissenschaft sich selbst den Wind aus den Segeln. Wie James Der Derian aus New York mit einem Zitat von Karl Rove demonstrierte, dem Stabschef des Weißen Hauses unter George Bush:
"Er sagte: Sie - Journalist, Zuhörer oder Wissenschaftler - sind Teil einer realitätsverhafteten Gemeinschaft. Wir nicht, denn wir sind ein Empire: Während Reporter und Sozialwissenschaftler ihre Kritik formulieren, schaffen wir eine andere Realität."
Zu dieser "anderen Realität" gehört, dass das Pentagon Schlüsselbilder platziert oder über die Frage entscheidet, ob ein Foto der Leiche von Osama Bin Ladin erscheint. Gegen diese Art der Propaganda, so die einhellige Meinung, müsse die Wissenschaft eine andere "Narration" setzen, eine möglichst vielstimmige Spiegelung anderer Gesellschaften in der eigenen Kultur. Aber für den Medienexperten Der Derian reicht das nicht:
"Wenn ihr eure Story nicht so schnell herausbringt wie die, dann ist sie wertlos. Egal wie akkurat, wie gut gemacht oder theoretisch durchdacht. Wir müssen uns der Populärkultur bedienen - und auch der Simulation, der Gegen-Simulation. Statt vorzugeben, im Besitz einer höheren Wahrheit zu sein."
Die "höhere" Wahrheit in einem geradezu makabren Sinn aber haben längst die US-Militärs gepachtet. Aus der Vogelperspektive ferngesteuerter Flugkörper, sogenannter Drohnen, entscheiden ihre Soldaten in Afghanistan über Leben und Tod: Sie feuerten Anfang 2010 Raketen auf einen Autokonvoi von Zivilisten, nur weil die ihren Gebetsteppich ausbreiteten - und deshalb als Taliban eingestuft wurden. Daran erinnert der Islam-Historiker Manan Ahmed - und er vergleicht diesen verengten Blick der Militärs auf eine andere Kultur mit dem aktuellen Cover der US-Zeitschrift "Atlantic", wo unter der Titelzeile "Arab Democracy" ein bis auf den schmalen Augenschlitz vom schwarzen Gebetsschleier verdecktes Frauengesicht zu sehen ist:
"Wie auf dem Monitor der Drohne erledigt das Gebet alle andren Fragen: wer sind sie, welche Absichten haben sie, was werden sie jetzt tun? Ebenso ist es mit dem Schleier auf dem Titelblatt. Keiner fragt mehr, wer die Frau ist, welches Verhältnis sie zu der jetzt so oft zitierten Demokratie hat. So sieht die Perspektive aus, die unsere Politik dominiert und auch den Medienkonsum."