"Zarteste Quartiere" und "Knackmandeln"
Der Katalog "Walter Benjamins Archive" macht mit einem Autor bekannt, der sehr früh Vorsorge für seine Hinterlassenschaften getroffen hat. Benjamin war nicht nur ein leidenschaftlicher Sammler, sondern auch ein sehr gewissenhafter Archivar seiner Schriften. Zudem ist die Repoduktion seines Adressbuch aus der Pariser Zeit ein beeindruckendes Zeugnis des Exils.
Seit 2004 befindet sich das Walter Benjamin Archiv in der Akademie der Künste in Berlin. Die Initiative dazu, die einzelnen Benjamin-Nachlässe in Berlin zu konzentrieren, ging vom Vorsitzenden der Hamburger Stiftung für Wissenschaft und Kultur, Jan Philipp Reemtsma, aus. Er hat den Erben von Benjamins Sohn Stefan den Nachlass abgekauft und so die Basis geschaffen, dass die drei Teilnachlässe zusammengeführt werden konnten.
Nunmehr liegen in Berlin jene Unterlagen, die Benjamin bei seiner Flucht 1940 in seiner Pariser Wohnung zurücklassen musste, und die den Nachlassteil ausmachten, der seit 1957 in der Ostberliner Akademie der Künste lag. Weiterhin zählen dazu die Schriften, die Giorgio Agamben 1981 in der Bibliothèque Nationale in einem Koffer entdeckte, den Georges Bataille dort vor den deutschen Besatzern versteckt hatte - darunter die Fassung letzter Hand von Benjamins Berliner Kindheit um neunzehnhundert. Und aus Frankfurt am Main kam der Nachlassteil hinzu, der sich im Besitz von Theodor W. Adorno befand. Es war das Ende einer Odyssee von Benjamins Schriften, denn im Unterschied zum Autor, dessen Grab sich auf keinem jüdischen Friedhof in Berlin findet, haben die Schriften Benjamins nun in seine Geburtstadt zurückgefunden.
Der Katalog Walter Benjamins Archive, der zur gleichnamigen Ausstellung erschienen ist - sie kann noch bis zum 19.11. in der Akademie der Künste besichtigt werden -, macht mit einem Autor bekannt, der sehr früh Vorsorge für seine Hinterlassenschaften getroffen hat. Benjamin war nicht nur ein leidenschaftlicher Sammler, sondern auch ein sehr gewissenhafter Archivar seiner Schriften. Es ist erstaunlich, was sich von Benjamins "verzettelten Schreibereien" erhalten hat, wenn man bedenkt, welches Schicksal den Verfasser ereilte.
Der jüdische Intellektuelle floh 1933 zunächst nach Paris. Als er auch dort nicht mehr sicher war, verließ er 1940 die französische Hauptstadt, um nach New York zu emigrieren. Doch er kam nur bis Port Bou. In dem kleinen Grenzort endete seine Flucht. Aus Angst, an die Gestapo ausgeliefert zu werden, beging Benjamin Selbstmord. Lange Zeit gab die Aktentasche, die Benjamin auf der Flucht mit sich führte, Anlass zu unterschiedlichen Spekulationen, denn es wurde überliefert, dass ihm der Inhalt wichtiger als sein Leben war.
Im Unterschied zu Notizzetteln, Restaurantrechnungen und Briefbögen, die Benjamin nutzte, um seine Gedanken festzuhalten, und von denen sehr interessante Exemplare im Katalog abgebildet sind, ist der Inhalt der Aktentasche verschollen.
Aber es existiert erstaunlich viel Nachlassmaterial, um das Bild des Autors Walter Benjamin aus seinen Archiven zu rekonstruieren. Der Katalog bietet Einblicke in dreizehn Archivbereiche, eine für Benjamin wichtige Zahl. Vom "Baum der Sorgfalt", so der Titel des Eingangskapitels, gelangt der Leser zu Archiven, die alle auf Bezeichnungen Benjamins zurückgehen und sehr prosaisch klingen. Sie heißen unter anderem "Zarteste Quartiere", "Lumpensammlung" oder "Knackmandeln".
Benjamin hat sehr bewusst in mikroskopisch kleiner Schrift geschrieben. Gegenüber seinem Freund Scholem berichtet er von dem nie erreichten Ehrgeiz, "hundert Zeilen auf eine normale Briefseite zu bringen." Immerhin gelang es ihm, auf einem Blatt von nur 22 cm Länge 81 Zeilen unter zu bringen. Beispiele seiner "Mikrographien" sind in dem Archiv "Vom Kleinen ins Kleinste" zu besichtigen. Dazu zählt auch Benjamins Adressbuch aus der Pariser Exilzeit, das mit seinen Maßen von 7 x 4,4 cm überrascht. Die Reproduktion des Buches liegt nun in einem von Christine Fischer-Defoy herausgegebenen Druck vor. Der Band ist ein beeindruckendes Zeugnis des Exils, denn es belegt "wie überall hin die Leute verstreut sind." Und es vermittelt einen Eindruck, von Benjamins Freundes- und Bekanntenkreis. Zwei spannende Lektüreerlebnisse, die zu einem Autor führen, den es weiterhin oder neu zu entdecken gilt.
Rezensiert von Michael Opitz
Walter Benjamins Archive. Bilder, Texte und Zeichen
Hrsg. v. Walter Benjamin Archiv.
Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2006, 244 Seiten. 24,80 Euro
Walter Benjamin: Das Adressbuch des Exils 1933-1940
Hrsg. v. Christine Fischer-Defoy.
Koehler & Amelang, Leipzig 2006, 240 Seiten. 24,90 Euro
Nunmehr liegen in Berlin jene Unterlagen, die Benjamin bei seiner Flucht 1940 in seiner Pariser Wohnung zurücklassen musste, und die den Nachlassteil ausmachten, der seit 1957 in der Ostberliner Akademie der Künste lag. Weiterhin zählen dazu die Schriften, die Giorgio Agamben 1981 in der Bibliothèque Nationale in einem Koffer entdeckte, den Georges Bataille dort vor den deutschen Besatzern versteckt hatte - darunter die Fassung letzter Hand von Benjamins Berliner Kindheit um neunzehnhundert. Und aus Frankfurt am Main kam der Nachlassteil hinzu, der sich im Besitz von Theodor W. Adorno befand. Es war das Ende einer Odyssee von Benjamins Schriften, denn im Unterschied zum Autor, dessen Grab sich auf keinem jüdischen Friedhof in Berlin findet, haben die Schriften Benjamins nun in seine Geburtstadt zurückgefunden.
Der Katalog Walter Benjamins Archive, der zur gleichnamigen Ausstellung erschienen ist - sie kann noch bis zum 19.11. in der Akademie der Künste besichtigt werden -, macht mit einem Autor bekannt, der sehr früh Vorsorge für seine Hinterlassenschaften getroffen hat. Benjamin war nicht nur ein leidenschaftlicher Sammler, sondern auch ein sehr gewissenhafter Archivar seiner Schriften. Es ist erstaunlich, was sich von Benjamins "verzettelten Schreibereien" erhalten hat, wenn man bedenkt, welches Schicksal den Verfasser ereilte.
Der jüdische Intellektuelle floh 1933 zunächst nach Paris. Als er auch dort nicht mehr sicher war, verließ er 1940 die französische Hauptstadt, um nach New York zu emigrieren. Doch er kam nur bis Port Bou. In dem kleinen Grenzort endete seine Flucht. Aus Angst, an die Gestapo ausgeliefert zu werden, beging Benjamin Selbstmord. Lange Zeit gab die Aktentasche, die Benjamin auf der Flucht mit sich führte, Anlass zu unterschiedlichen Spekulationen, denn es wurde überliefert, dass ihm der Inhalt wichtiger als sein Leben war.
Im Unterschied zu Notizzetteln, Restaurantrechnungen und Briefbögen, die Benjamin nutzte, um seine Gedanken festzuhalten, und von denen sehr interessante Exemplare im Katalog abgebildet sind, ist der Inhalt der Aktentasche verschollen.
Aber es existiert erstaunlich viel Nachlassmaterial, um das Bild des Autors Walter Benjamin aus seinen Archiven zu rekonstruieren. Der Katalog bietet Einblicke in dreizehn Archivbereiche, eine für Benjamin wichtige Zahl. Vom "Baum der Sorgfalt", so der Titel des Eingangskapitels, gelangt der Leser zu Archiven, die alle auf Bezeichnungen Benjamins zurückgehen und sehr prosaisch klingen. Sie heißen unter anderem "Zarteste Quartiere", "Lumpensammlung" oder "Knackmandeln".
Benjamin hat sehr bewusst in mikroskopisch kleiner Schrift geschrieben. Gegenüber seinem Freund Scholem berichtet er von dem nie erreichten Ehrgeiz, "hundert Zeilen auf eine normale Briefseite zu bringen." Immerhin gelang es ihm, auf einem Blatt von nur 22 cm Länge 81 Zeilen unter zu bringen. Beispiele seiner "Mikrographien" sind in dem Archiv "Vom Kleinen ins Kleinste" zu besichtigen. Dazu zählt auch Benjamins Adressbuch aus der Pariser Exilzeit, das mit seinen Maßen von 7 x 4,4 cm überrascht. Die Reproduktion des Buches liegt nun in einem von Christine Fischer-Defoy herausgegebenen Druck vor. Der Band ist ein beeindruckendes Zeugnis des Exils, denn es belegt "wie überall hin die Leute verstreut sind." Und es vermittelt einen Eindruck, von Benjamins Freundes- und Bekanntenkreis. Zwei spannende Lektüreerlebnisse, die zu einem Autor führen, den es weiterhin oder neu zu entdecken gilt.
Rezensiert von Michael Opitz
Walter Benjamins Archive. Bilder, Texte und Zeichen
Hrsg. v. Walter Benjamin Archiv.
Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2006, 244 Seiten. 24,80 Euro
Walter Benjamin: Das Adressbuch des Exils 1933-1940
Hrsg. v. Christine Fischer-Defoy.
Koehler & Amelang, Leipzig 2006, 240 Seiten. 24,90 Euro