Zarte Kunst zu starken Themen

Von Barbara Wiegand · 25.08.2011
Der im 19. Jahrhundert lebende japanische Künstler Hokusai fertigte heitere, meist harmonische Skizzen, Holzschnitte und Bilder - die manchmal auch Bedrohliches zeigen. Eine Auswahl seiner Werke ist im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen.
Japan um 1800: Durch romantische Landschaften, zeitlose Märchenwelten und heitere Szenarien führt uns diese Retrospektive. Der Besucher ist zu Gast in turbulenten Teehausszenen, betrachtet zauberhaft leicht skizzierte Baumblüten, geht über viele Brücken ins Reich der Fantasie, zick zack oder im hohen Bogen, lacht über kauzige Männer und schrullige Geister. Es ist ein breiter Einblick in Hokusais Oeuvre, den man im Martin-Gropius-Bau bekommt. Obwohl mit 440 Rollbildern und Holzschnitten nur einen kleinen Teil gezeigt wird vom Gesamtwerk, das der Japaner über 70 Jahre schuf.

Hokusais Leben war eines voller Kunst und nur für die Kunst – alles andere war Nebensache. Er lebte bescheiden zur Miete, trug stets einen einfachen Baumwollkimono und hatte auch kein rechtes Verhältnis zu dem Geld, das er durch zahlreiche Verkäufe an reiche Kaufleute, aber auch schon mal mit Arbeiten für den herrschenden Shogun verdiente. Kurator Seiji Nagata:

"Er war sein ganzes Leben lang ein armer Mann. Er hat eben seine ganze Kraft nur der Kunst gewidmet. Sie war alles für ihn. Und er hat ja einige seiner bis heute bekanntesten Werke erst gezeichnet, als er schon 70 Jahre alt war. Viele Künstler ziehen sich da schon zurück vom kreativen Schaffen. Er hat stattdessen wieder neue Stile entwickelt, neue Werke geschaffen. Und er hat auch immer gesagt, dass er 100 Jahre alt werden will. Weil dann sein Werk vollkommen wäre."

Gakyo Rojin, der alte Mann vom Malen besessen, nannte er sich in der letzten Phase seines Lebens, mit über 80 Jahren. Einer von mehr als 30 Künstlernamen, die sich Hokusai im Laufe seines Lebens gab. Und mindestens genauso groß war die Vielfalt seiner Stile. Was ihm von der künstlerischen Konkurrenz bisweilen den Vorwurf des Plagiats einbrachte. Aber auch wenn er einzelne Ideen aufgriff, so tat er es mit großer Fantasie und Variantenreichtum. Gereon Sievernich, Direktor des Martin-Gropius-Baus:

"Es ist eine ungeheure Bandbreite auch in den Sujets. Er hat natürlich die Geister gemalt, die Mythen, die alten Geschichten. Aber es gibt auch die Alltagsszenen, in denen er zeigt, wie ein Fassmacher ein Fass macht. Und die Art und Weise wie er das schafft, das darzustellen, sodass man das heute noch sehen will, das ist faszinierend."

Mit sechs Jahren fing Hokusai an zu zeichnen. Bereits mit 18 ist er Meister im Holzschnitt, will dann aber eher Zeichner sein und liefert die Vorlagen, nach denen die Bilder ins Holz geschnitten und dann gedruckt werden. Außerdem liebt Hokusai es zu malen. Anfangs noch traditionell geprägt, wird sein Strich bald freier. Und seine Arbeiten werden experimenteller. Menschen, Tiere und Geister bevölkern seine Bilder – manchmal annähernd realistisch, oft karikaturenhaft überzeichnet, immer wieder feinfertig fantastisch.

Das zeigen etwa seine Manga benannten freien Skizzen. Kleine, in mehreren Buchbänden veröffentlichte Zeichnungen, die nichts mit den heutigen Comics zu tun haben und doch extrem unterhaltsam sind: Akkurat schraffierte Fische tummeln sich hier neben pummligen Tänzern mit bloßen Hinterteilen und Kürbisköpfen, müde Elefanten dienen kleinen Männlein als faltiges Klettergebirge.

Bei frühen Stadtansichten versucht Hokusai sich an der von niederländischen Händlern nach Japan gebrachten Zentralperspektive. In späteren Landschaftsbildern nutzt er das sogenannte "preußisch blau" aus Berlin. Schneeweiß ragt etwa der Gipfel des Fujiyama schroff in den derart tiefblau gefärbten Himmel hinein. Erhebt sich auf einem anderen Bild der Serie wie aus dem Nichts aus milchigen Wolkenfeldern. Dem Bilderzyklus der Ansichten vom Berg Fuji hat man einen eigenen Raum gewidmet. Darunter auch das sicher bekannteste Werk der Serie: die große Welle. Mit dem Berg als Hintergrund.

"Das berühmteste Bild ist die Welle – ein Tsunami, die es in Japan immer schon gab. Also die bedrohliche Natur in einem Holzschnitt zu zeigen. Und dann dieser einsame Fischer in seinem einsamen Kahn unter dieser Welt. Also wie er es schafft, diese Bedrohung der Natur auf menschliches Maß zurückzuführen, aber auch zu sagen: Der Mensch ist Teil dieser Natur. Er darf sich nicht darüber stellen. Irgendwie steckt da vielleicht eine ökologische Botschaft drin, wenn man das aus heutiger Sicht sieht. Und vielleicht entdeckt man Hokusai auch aus dieser Sicht ganz neu."

Eine Botschaft, die allerdings in Hokusais Bildern gar nicht so pathetisch aussieht wie sie in heutigen Zeiten klingen mag. Denn seine Kunst kommt eher leise daher, selbst wenn sie Bedrohliches zeigt. Sie ist oft heiter, meist harmonisch, zauberhaft und immer wieder einfach schön. Und dabei viel zu reich an Varianten und Motiven, um bloß dekorativ zu sein. Das vermittelt diese umfangreiche Retrospektive – in der man vieles entdecken und sich an manchem nicht satt sehen kann. Ein absolut sehenswerter Blick auf einen faszinierend facettenreichen Künstler.