Zapfenstreich

"Ein vordemokratisches Weltbild, das da transportiert wird"

Ein Großer Zapfenstreich, hier anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der Deutschen Marine. Mit dem militärischen Zeremoniell mit Fackeln und Fanfare wird auch der Bundespräsident verabschiedet.
Ein Großer Zapfenstreich, hier anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der Deutschen Marine. Mit dem militärischen Zeremoniell mit Fackeln und Fanfare wird auch der Bundespräsident verabschiedet. © picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck
Der Soziologe Ulrich Steuten im Gespräch mit André Hatting · 17.03.2017
Wer aus hohen politischen Ämtern scheidet, wird mit einem militärischen Ritual verabschiedet, zum Beispiel der bisherige Bundespräsident Joachim Gauck. Der Zapfenstreich hat Tradition in Deutschland - aber ist dieses Ritual überhaupt noch zeitgemäß?
Wenn Bundespräsidenten, Bundeskanzler, Verteidigungsminister oder Generäle aus dem Amt scheiden, werden sie am Abend mit einem militärischen Zeremoniell verabschiedet: Beim Zapfenstreich marschiert das Militär in Parade-Uniform, im Fackel-Licht musiziert ein Spielmannszug der Bundeswehr. Die Musikauswahl aus maximal vier Titeln trifft derjenige, der verabschiedet wird. Joachim Gauck hat sich für drei Titel entschieden:
- Der Schlager "Über sieben Brücken musst du gehen" von der DDR-Rockband Karat
- Das Volkslied "Freiheit, die ich meine"
- Das protestantische Kirchenlied "Ein feste Burg ist unser Gott", geschrieben von Martin Luther

"Überflüssig", aber "bis heute keine Alternative"

Der Soziologe Ulrich Steuten ist Autor der Veröffentlichungen "Das Ritual in der Lebenswelt des Alltags" und "Die Inszenierung eines Rituals - Der große Zapfenstreich im Bonner Hofgarten". Er hält die Tradition des Zapfenstreichs in Deutschland für überholt:
"Ich halte sie für überflüssig. Offen gestanden ist es mir nicht ganz klar, dass es bis heute keine Alternative, keine andere Form gibt, um verdienstvolle Menschen wie Bundespräsidenten zu verabschieden."
Schon seit den 1960er-Jahren hat es immer wieder Proteste und Widerstand gegen den Zapfenstreich gegeben. Steuten erinnert daran, dass es auch Vorstöße aus der SPD in den 1980er gegeben habe, volksnähere Formen der Verabschiedung zu finden. Aber der Zapfenstreich hat als Ritual und Tradition bis in das Jahr 2017 überlebt:
"Das Ritual soll ein Gefühl von Verbundenheit erzeugen, das sind soziale Handlungen, die Gemeinschaftsgefühle stärken sollen. Bei den politischen Ritualen wie dem Zapfenstreich ist es auch das Nationalgefühl, das beschworen werden soll.
Der Soziologe empfindet die militärische Verabschiedung von Politikern als eine "Verbrämung von nationalen Fantasien", das auch ein "vordemokratisches Weltbild" transportiere.

Zapfenstreich bedeutete Nachtruhe bei Soldaten

Der Zapfenstreich stammt aus dem soldatischen Brauchtum im 16. Jahrhundert, so Ulrich Steuten. Wenn der Säbel über dem Zapfen der Bierfässer gestrichen wurde - der wortwörtliche Zapfenstreich - bedeutete das für die Soldaten die Sperrstunde und die Nachtruhe.
Die kaiserliche Armee, die Reichswehr und die Wehrmacht pflegten das Ritual weiter. Die Bundesrepublik übernahm das Ritual ohen große Änderungen als Erbe der Kaiserzeit. Auch in der DDR gab es einen "Zapfenstreich" der Nationalen Volksarmee, der sich allerdings aus ideologischen Gründen von der preußischen Tradition unterschied.
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