Zankende Wissenschaftler

Wissenschaftler sind nüchterne Zeitgenossen - sollte man meinen. Aber sie sind auch Menschen und als solche nicht frei von Geltungssucht oder der Gefahr, sich zu verrennen. Heinrich Zankl hat in seinem Werk Beispiele streitbarer Forscher versammelt.
Newton und Leibniz zankten sich zeitlebens um die Erfindung der Infinitesimalrechnung, Sigmund Freud vertrug keine Kritik an seiner Psychoanalyse und Voltaire war einfach streitlustig und verscherzte es sich mit mehreren Zeitgenossen und zwei Königshäusern. Die Liste der Streitenden ist beachtlich, die Zahl ihrer Streitgründe hingegen überschaubar. Es sind rechthaberische Kämpfe um die "richtige" Theorie, die oft mit polemischen und unfairen Mitteln geführt wurden. Es geht um die prestigeträchtige Frage, wer was wann als erster entdeckt hat. Oder um Posten und Forschungsgelder.

Anerkannte Autoritäten wie Rudolf Virchow oder Lord Kelvin unterdrückten mit ihrer Popularität Theorien, die ihnen nicht passten. Außenseiter, wie der Meteorologe Alfred Wegener, der die Geologen davon überzeugen wollte, dass die Kontinente sich auf Platten über Jahrmillionen verschieben, wurden von den Fachleuten nicht ernst genommen. Einsteins Relativitätstheorie war so revolutionär, dass man sie als wissenschaftlichen Dadaismus bezeichnete, und um die Existenz eines von Menschen zu verantwortenden Klimawandels streiten Befürworter und Gegner heute erbitterter als je zuvor.

Meinungsverschiedenheiten gehören zum wissenschaftlichen Alltag. Dort, wo sie eskalieren, in der Öffentlichkeit ausgetragen werden oder zu lebenslangen Feindschaften führen, sind sie Thema dieses Buches. Es ist ein lehrreiches und lesenswertes Unterfangen, diese Streitigkeiten dem Vergessen zu entreißen. Sie lassen erahnen, wie schwierig es neue Erkenntnisse und Sichtweisen oft haben. Allzu leicht sieht man in den Wissenschaften nur die Ergebnisse und vergisst, welche verschlungenen Wege oftmals zu ihnen führten. Heinrich Zankl zeigt: Es menschelt stark hinter den Kulissen. Auch wenn es nach außen hin um harte Fakten gehen sollte, werden die Forscher als aufklärerische, eitle, angriffslustige, verblendete, enttäuschte, hintergangene, ehrgeizige und verbissene Persönlichkeiten sichtbar.

Zwar recycelt Heinrich Zankl hier viel Material aus früheren Veröffentlichungen ("Fälscher, Schwindler, Scharlatane", "Nobelpreise: Brisante Affairen, umstrittene Entscheidungen", "Irrwitziges aus der Wissenschaft"), aber der neue Blickwinkel macht die unterhaltsame und kurzweilige Lektüre unbedingt lohnenswert. Ein ausführliches Quellenverzeichnis zu den einzelnen Streitigkeiten rundet das Buch ab.

Besprochen von von Gerrit Stratmann

Heinrich Zankl: Kampfhähne der Wissenschaft. Kontroversen und Feindschaften
Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2010
298 Seiten, 24,90 Euro