Yuval Noah Harari: "Sapiens. Die Falle"

Mephisto sandte das Weizenkorn

06:13 Minuten
Das Cover zu Yuval Noahs Hararis "Sapiens. Die Falle"
© C. H. Beck Verlag

Yuval Noah Harari, David Vandermeulen, Daniel Casanave

"Sapiens. Die Falle"C.H.Beck, München 2021

226 Seiten

25,00 Euro

Von Susanne Billig · 12.01.2022
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Erbärmlich sehen sie aus, die frühen Bäuerinnen und Bauern der Jungsteinzeit. Ausgemergelte Körper, krumme Rücken, düstere Ringe unter den Augen und Verzweiflung im Blick. Sie sind in eine Falle geraten: die Falle der Landwirtschaft.
„Sapiens – Die Falle“ heißt der zweite Teil der Graphic-Novel-Fassung des Weltbestsellers „Eine kurze Geschichte der Menschheit“. Wie schon in Teil eins brechen Autor und Illustratoren die umfassenden Theoriegebäude des wuchtigen Buches gekonnt in eine Vielzahl kleinerer und größerer Comic-Erzählstränge um, die zu einem witzigen und intelligenten Lesevergnügen zusammenfließen.

Schlaksiges Strichmännchen mit Brille

Einmal mehr führt Harari selbst als Strichmännchen – schlaksig, Brille, ewig jung – durch die Jahrtausende. Ihn begleiten seine neugierige Nichte und die indische Professorin Saraswati, freundliche Expertin für Anthropologie. Den erzählerischen Auftakt bildet ein Theaterbesuch; auf dem Spielplan steht ein veränderter „Faust“. Darin legt Mephisto den Menschen in Ketten, indem er ihm das Weizenkorn unterjubelt. Um die weitreichendenden Folgen der Erfindung der Landwirtschaft zu erkunden, sausen Protagonistinnen und Protagonist nun durch die Jahrtausende, sprechen mit einfachen Menschen, besuchen Herrscher und Philosophen.
Eindringlich schildert die Graphic Novel, welches Elend die Weizen-Abhängigkeit der jungsteinzeitlichen Menschheit bescherte. Jeder vermeintliche Fortschritt schuf umgehend neue Zwänge. Weil es mehr Nahrung gab, brachten die Frauen mehr Kinder zur Welt. Doch die wollten ernährt werden, also musste eine Hacke her, ein Pflug, eine verbesserte Weizensorte. Also hieß es mehr Land roden, mehr Weizen pflanzen, mehr arbeiten, mehr Kinder gebären – und wehe der Regen blieb aus oder Schädlinge überfielen die Felder.

Ein Teufelskreis des "Immer mehr"

Schon in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ wandte sich Yuval Noah Harari auch dem unglücklichen Massenschicksal der mit dem Menschen versklavten Nutztiere ausführlich zu. Im Comic spricht Onkel Yuval mit seiner Nichte darüber: Kuh, Schwein und Huhn haben es als Spezies nicht „geschafft“, ebenso wenig wie der Mensch, nur weil sie heute milliardenfach den Planeten besiedeln. Als Individuen wie als Arten sind sie in einem Teufelskreis des "Immer mehr" gefangen – Mephisto hat es angezettelt.
So ziehen in der Graphic Novel Steinzeit, frühe Hochkulturen, Imperien, Geldwirtschaft und Religionen in bunten Bildern vorüber, genretypische schnelle Schnitte und Fantasy-Elemente erlauben kühne Überblendungen. Der zeichnerische Einfallsreichtum von David Vandermeulen und Daniel Casanave kennt keine Grenzen und mit viel Humor setzen sie auch noch die abstraktesten Ideen Yuval Noah Hararis in Szene – zum Beispiel die immense Bedeutung kollektiver Fantasien.

An den Sollbruchstellen schwelt die Revolte

Denn Zivilisationen mit ihren kulturellen Errungenschaften, aber auch ihren Mechanismen von Herrschaft und Unterdrückung funktionieren nur deshalb, weil Menschen gemeinsam an Götter, Rechtssysteme, soziale Rollen und Geldscheine glauben. Erdachte Ordnungen schweißen Kulturen zusammen, statten sie aber auch mit Sollbruchstellen aus, an denen stets Empörung und Revolte schwelen.
Am Ende gibt es sogar noch ein Loblied auf die Kraft des Feminismus – wie sich auch das noch in dieses Buch fügt: anschauen, lesen und genießen.

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