Ypsilanti und andere Flops

Von Klaus Schroeder |
Im Trubel der erregten und mitunter hysterischen bis widerlichen Reaktionen auf die gescheiterte Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin in Hessen werden zwei Aspekte kaum beachtet, die die politische Landschaft Deutschlands in den nächsten Jahren prägen werden.
Zum einen ist die kommunistische Landnahme im Westen unserer Republik mit der Wahlniederlage der Linken in Bayern und der ausgebliebenen Regierungsbeteiligung in Hessen vorerst gescheitert. Der Wolf steht nun wieder ohne Schafspelz da und muss sich auf seine Heimat im Osten und das ebenfalls hoch subventionierte Saarland konzentrieren. Zum anderen wird die dünne Decke des politischen Führungspersonals nicht nur in der SPD deutlich. Gänzlich vom Aussterben bedroht scheinen charismatische Politiker, die gleichermaßen Anhänger und Wähler mobilisieren können, ohne schwierige Probleme in einer komplexen Welt auf einfache und nicht realisierbare Antworten zu reduzieren.

Schon der Abschuss von Kurt Beck als SPD-Vorsitzender, die Wahl seines schon einige Jahre im Rentenalter stehenden Vor-Vorgängers Franz Müntefering und die Nominierung des farblosen Außenministers Frank-Walter Steinmeier zum SPD-Spitzenkandidaten offenbarten, dass die älteste deutsche Partei keine einsatzfähigen Nachwuchskräfte parat hat, die über den programmatischen und taktischen Tellerrand der Partei hinaus denken und Charisma ausstrahlen. Außer skrupellosen Machtpolitikern à la Wowereit und Ypsilanti, von denen kaum inhaltliche Impulse geschweige denn Leitideen ausgehen, drängt sich niemand als zukünftige Spitzenkraft auf.

Vor einem ähnlichen Dilemma stand die CSU, die bei der jüngsten Wahl eine bittere Quittung für ihre selbstgefällige Politik und ihr schwaches Führungspersonal vor allem in Gestalt von Erwin Huber erhielt. Dass es der in der Partei nicht gerade beliebte Horst Seehofer richten muss, der gleichzeitig mit einer selbst in Bayern kaum gekannten Machtfülle versehen wird, spricht ebenfalls nicht gerade für einen breiten Personalfundus der politischen Klasse in Bayern. Aber zumindest versucht Seehofer, den Teufelskreis zu durchbrechen, dass älter werdende Politiker sorgsam darauf achten, dass keine innerparteilichen Widersacher nach oben kommen. Einige bisher weitgehend im Verborgen blühende Nachwuchskräfte erhalten nun die Chance zur Profilierung.

Die Gründe für das dünne Reservoir an politischem Spitzenpersonal liegen auf der Hand. Gestandene und im Funktionärskorps der Partei verankerte Politiker klammern sich an ihre Posten und verstopfen hoffnungsvollen Nachwuchstalenten den Weg nach oben. Je länger ein Politiker an der Macht ist, umso schwerer fällt ihm der Abschied. Allenfalls nach Wahlniederlagen oder während innerparteilicher Krisen gelingt dem Nachwuchs ein unverhoffter Aufstieg. So Angela Merkel im schwierigen Ablösungsprozess der Union von Helmut Kohl und Matthias Platzeck in der orientierungslosen Nach-Schröder-SPD. Selbst der ehrgeizige, gleichwohl auf Ministerebene verbannte Helmut Schmidt wurde erst nach dem von Herbert Wehner betriebenen oder zumindest beschleunigten Sturz von Willy Brandt Bundeskanzler. Nur wenige, wie zum Beispiel der langjährige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen, Bernhard Vogel, treten von Spitzenämtern freiwillig zurück und bereiten ihrem Nachfolger einen erfolgversprechenden Übergang.

Bei den Postkommunisten und Bündnis-Grünen haben es nach oben strebende Politiker ebenfalls schwer. Gysi und Lafontaine, Künast und Trittin versperren den Weg, drängen selbst noch einmal an die Schalthebel der Macht. Junge Politiker, vor allem Frauen, werden allenfalls gebraucht, um jüngere Wähler anzusprechen, Spitzenfunktionen dürfen sie nicht übernehmen.

Weitere und wohl gewichtigere Gründe für die dünne Personaldecke in allen Parteien sind das schlechte Image und die begrenzten Verdienstmöglichkeiten von Politikern. Spitzenleute aus der Wirtschaft scheuen ebenso den Gang in die Politik wie viele Wissenschaftler, Freiberufler oder Kulturschaffende. Weder wollen sie in den Hinterzimmern der Macht um jede Parteitagsstimme kungeln, noch sich in den Fußgängerzonen von aus welchen Gründen auch immer aufgebrachten Bürgern anpöbeln lassen. So finden sich in der politischen Klasse vor allem die wieder, deren Berufsleben als Lehrer, Sozialarbeiter oder Verwaltungsbeamter keine Herausforderung mehr darstellt.

Diese nun schon seit Jahrzehnten beklagte Situation birgt durchaus eine Gefahr: Eine Verheißung und Erlösung versprechende charismatische Lichtgestalt könnte, auch wenn sie keiner demokratischen Partei angehört, unkritische Wähler an sich binden. Deshalb: Parteien, öffnet eure Tore und gebt dem Nachwuchs und Quereinsteigern endlich eine bessere Chance!

Der 1949 in Lübeck geborene Klaus Schroeder leitet an der Freien Universität Berlin den Forschungsverbund SED-Staat und die Arbeitsstelle Politik und Technik und ist Professor am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Letzte Veröffentlichungen: "Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft 1949-1990", Hanser-Verlag, München 1998; "Der Preis der Einheit. Eine Bilanz", Hanser-Verlag, München 2000; "Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland. Ein Ost-West-Vergleich", Schöningh-Verlag, Paderborn 2004. "Die veränderte Republik. Deutschland nach der Wiedervereinigung", Verlag Ernst Vögel, Stamsried 2006. Soeben erschienen: "Soziales Paradies oder Stasi-Staat? Das DDR-Bild von Schülern", zus. mit Monika Deutz-Schroeder, Verlag Ernst Vögel.
Klaus Schroeder
Klaus Schroeder© privat