Yorkshire-Ripper und andere Grausamkeiten

Rezensiert von Katharina Döbler · 28.04.2005
Der englische Autor David Peace, geboren 1967 in West-Yorkshire/England, ist – eingestandenermaßen - besessen von der Geschichte des Peter Sutcliffe: der, von den Medien "Yorkshire-Ripper" getauft, zwischen 1977 und 1981 mehrere Frauen auf grausame Weise getötet hat. Als er verhaftet wurde, war David Peace vierzehn Jahre alt und, so sagt er selbst, unendlich erleichtert, dass seine Mutter nun nicht mehr in Gefahr war – aber auch, dass er seinen Vater nicht mehr verdächtigen musste.
Denn, auch das hatten die Medien jahrelang verkündet: jeder kam als Täter in Frage, und zu irgendeiner Familie musste er ja gehören.

David Peace sagt auch, dass jede Gesellschaft, jede Epoche die Verbrechen hat, die sie verdient. Und so hat er in seinem vierteiligen "Yorkshire Quartet" unter den Titeln 1974, 1977, 1980 und 1983 der britischen Gesellschaft jener Jahre sein Zeugnis ausgestellt.

"1974" in einer Kleinstadt nahe bei Manchester: Elf Tage vor Weihnachten wird die Leiche eines misshandelten und vergewaltigten Schulmädchens gefunden. Der ehrgeizige junge Polizeireporter Edward Dunford sieht einen Zusammenhang mit dem Verschwinden weiterer Kinder in den letzten Jahren und will wissen, was dahinter steckt. So gerät er in ein Labyrinth von Gewalt, Erpressung, Politik, Korruption und sexueller Perversion.

Vor dem Hintergrund der stets präsenten und ständig zitierten Popmusik aus den frühen Siebziger Jahren entwirft Peace sein finster infernalisches Bild einer vorgeblich friedlichen Gegend. Der Bau eines Einkaufszentrums, das Management einer Rugbymannschaft, die Berichterstattung in der Lokalzeitung, für die Dunford arbeitet und die Mädchenmorde: alles ist Teil einer grausamen Maschinerie, als sei das ganz normale alltägliche Leben durch heimliche böse Mächte ferngesteuert.

Paranoid ist das Wort dafür. Und das ist dieses Buch auch: paranoid, obsessiv und schwarz. Auch die im Thriller-Genre übliche moralische Empörung fehlt nicht. Doch der Protagonist Edward Dunford ist ebenso ehrgeizig wie moralisch, ebenso obsessiv wie rücksichtslos: Die Gewalt holt ihn ein, und er wird ein Teil von ihr.

Vor der Folie des von Peace so brillant geschilderten provinziellen Alltagslebens mit seinen familiären Pflichten, den Männergesprächen in der Kneipe, dem Respekt vor den Honoratioren und der Atmosphäre gleichförmiger Reihenhaussiedlungen bekommen die üppig ausgemalten surrealen Schreckensbilder von Sex, Terror und Gewalt eine Intensität, die alles andere in den Schatten stellt. Blutige Alpträume von fiebriger Farbigkeit bilden die unangenehmen Höhepunkte dieses Buches, von dem dennoch gesagt werden muss, dass es, von seinen schriftstellerischen Qualitäten her, wirklich gut ist – geschrieben in einer Sprache, die das triviale Niveau weit überschreitet. Das Problem ist, dass der Autor mit seinem Buch eben auch den moralischen Anspruch stellt, gut zu sein.

Die Behauptung, die Fehler und Sünden einer Gesellschaft müssten - zu deren Besten natürlich – entlarvt werden, indem man, beispielsweise, Korruption und Frauenfeindlichkeit möglichst drastisch und explizit darstellt, kann ausgesprochen heuchlerisch sein. Die Schilderung der Jämmerlichkeit erpressbarer Politiker, die mit heruntergelassener Hose erwischt werden, oder Szenen sexueller Gewalt gegen Frauen und Kinder dienen kaum dem Willen zur Veränderung gesellschaftlicher Bedingungen. Dergleichen dient – bestenfalls – dem Willen, offenen Auges in die Abgründe menschlicher Destruktivität zu blicken. Dann weiß man, dass das, was sich Menschen ausdenken, auch geschehen kann. Aber das wusste man schon.

Dieses Buch ist nicht das Ergebnis moralischer Überlegungen sondern einer Obsession. Und es ist dementsprechend packend und abstoßend, unerträglich und faszinierend.

David Peace: 1974
Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg
Verlag liebeskind, 2005. geb. 380 S.