"Yolocaust" von Shahak Shapira

Selfies am Holocaust-Mahnmal - angemessenes Verhalten?

Italienische Touristinnen machen am Holocaust-Denkmal in Berlin ein Selbstporträt mit einem "Selfie-Stick".
Welches Verhalten am Holocaust-Mahnmal ist angemessen? Die Debatte ist im vollen Gang. © picture alliance / dpa/ Felix Zahn
19.01.2017
Darf man am Holocaust-Mahnmal in Berlin lustige Fotos schießen? Der Satiriker Shahak Shapira hat mit der Aktion "Yolocaust" darüber eine Debatte angestoßen. Der Zuspruch ist enorm - aber auch skeptische Stimmen werden laut. Wir haben uns umgesehen.
Einen Tag nach Björn Höckes umstrittener Dresdner Rede hat Shahak Shapira mit der Website yolocaust.de unterstrichen, dass sich die Erinnerungskultur in Deutschland keineswegs so darstellt, wie sich der AfD-Politiker dies vorstellt.

Heikle gute Laune

Auf der Website präsentiert Shapira Fotos, auf die der Autor und Satiriker im Netz gestoßen ist: Zu sehen sind junge Menschen, die das Leben richtig genießen. #Yolo lautet das Motto - you only live once = "Man lebt nur einmal". Doch es gibt ein entscheidendes Detail: Die Bilder entstanden beim Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden Europas. Und solch demonstrativ gute Laune an einem Ort, der dem Gedächtnis an die Opfer der Schoah gewidmet ist, hält Shapira für heikel. Wer mit dem Mauszeiger über die Bilder fährt, sieht daher, wie sich das Bild wandelt: Mit einem Mal feiern die Selfie-Fotografen ihre gute Laune – unfreiwillig – vor dem Hintergrund historischer Aufnahmen aus den Konzentrationslagern der Nazis.
Shahak Shapira sorgt mit "Yolocaust" für hohes Aufsehen.
Shahak Shapira sorgt mit "Yolocaust" für hohes Aufsehen.© Deutschlandradio - Philipp Eins
Mit diesem provokanten Statement sorgt Shapira derzeit für hohes Aufsehen. Rund 9000 Mal wurde sein Facebook-Posting geteilt. In den Kommentaren bildete sich darunter im Nu eine lebhafte Kontroverse. Nachdem der Satiriker Jan Böhmermann den Link ohne weiteren Kommentar auf Twitter geteilt hatte, gingen auch dort die Zahl der Likes und Re-Tweets in die Höhe. Viele Nutzer brachten ihre Zustimmung zum Ausdruck: In deren Augen verdeutliche die Aktion das krasse Zwieverhältnis zwischen der Würde des Gedenkorts und dem Verhalten einiger Besucher, das sich dort alltäglich beobachten lasse.
Tatsächlich trifft Shapira hier einen empfindlichen Punkt. Dass Menschen sich auf den Stelen des Denkmals ausruhen, dort Speisen einnehmen und die Anlage zum Versteckspiel nutzen, gehört mittlerweile zum Alltag vor Ort. Auch die einschlägigen Fotoportale im Netz zeigen, dass der Kulisse längst ein ästhetischer Mehrwert abgewonnen wird.
So etwa für Mode-Fotografien:
Oder für Selfiespaß:
Aber auch Zweifel an Shapiras Aktion wurden laut. Der Kulturjournalist Fabian Wolff etwa vermisst den Erkenntnisgewinn. Insbesondere auf den Architekten Peter Eisenmann kamen viele zu sprechen. Der hatte das Denkmal einst konzipiert. "Das Denkmal ist kein heiliger Ort", sagte er bereits 2005 in einem "Spiegel-Online"-Interview. Schon damals ahnte er, dass sich die Besucher des Mahnmals nicht nur pietätvoll verhalten würden: "Menschen werden im dem Feld picknicken. Kinder werden in dem Feld Fangen spielen. Es wird Mannequins geben, die hier posieren, und es werden hier Filme gedreht werden." Mit dem Segen des Architekten übrigens.

Zuspruch als Gratismut?

Auch Chajm Guski, der als Kommentator unter anderem für die "Jüdische Allgemeine" schreibt, äußerte sich auf seinem Blog skeptisch: Anders als Shapira dies in einem "Jetzt"-Interview nahelegt, handle es sich bei dem Mahnmal schließlich weder um einen Friedhof, noch um einen historischen Ort. Historische Bilder aus den Konzentrationslagern für "drastische Satire" zu verwenden, hält Guski seinerseits für heikel: "Man verwendet also die Bilder von Opfern der Schoah für Satire?" Der Zuspruch, auf den Shapira stößt, hält Guski für Gratismut: "Man kann irgendwie zeigen, dass man die Schoah doof findet, muss sich dafür aber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen."

Fraglich ist auch, ob Shapira die Bilder ohne weiteres übernehmen darf.
(thg)
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