"Yiddish Summer" in Weimar

Zeitgenössischer jiddischer Tanz

Das Jugend- und Kulturzentrum "mon ami" in Weimar.
Das Jugend- und Kulturzentrum "mon ami" in Weimar: Hier findet die Premiere von "GILGUL – Transformation" statt. © imago/Torsten Becker
Von Wolfram Nagel · 05.08.2016
Beim "Yiddish Summer" in Weimar gibt es neben Klezmer-Musik und jiddischen Koch-Kursen auch traditionellen und zeitgenössischen Tanz. In diesem Sommer wartet das Festival mit zwei Weltpremieren auf.
Abendliche Jam Session auf dem Weimarer Theaterplatz, am Goethe-Schiller-Denkmal. Anfangs sind es nur ein paar Musiker und Zuschauer. Aber dann werden es immer mehr.
Tuba, Akkordeon, Trompete, Trommel, ein Dutzend Klarinetten vereinigen sich schließlich zu einer großen Klezmer - Band. Zuschauer tanzen im Kreis.
Die Zuschauer begeistern sich an den improvisierten Klängen. Teilnehmer des Yiddish Summer hingegen lassen in der lauen Abendluft einen anstrengenden Probentag ausklingen.
"Sehr spannend, sehr viel los, jeden Tag grandiose Konzerte. Wir proben jeden Tag neun Stunden. Es ist ziemlich intensiv."

"Traditionelle Elemente aufbrechen"

David Kummer gehört zur Yiddish-Summer-Tanzkompanie des Choreografen Steve Weintraub. Der 27-Jährige hat in Weimar Urbanistik studiert, dann noch Tanz in Berlin und Kopenhagen. Vor ein paar Monaten hat er sich für die Tanzperformance "GILGUL – Transformation" beworben, das erste Bühnen-Tanzprojekt des Yiddish Summer überhaupt.
"Das Stück hat sechs verschiedene Teile. Es sind verschiedene jüdische Elemente. Es gibt zum Beispiel so' n Teil, das heißt Mikwa. Also da geht's um dieses Baderitual. Und wir arbeiten gerade daran, diese traditionellen Elemente aufzubrechen. Mit zeitgenössischen Tanzelementen."
GILGUL bedeutet "Verwandlung", in der jüdischen Mystik auchSeelenwanderung. Seit zehn Jahren spielt Steve Lee Weintraub mit der Idee, das Thema als modernen Tanz auf die Bühne zu bringen: als Tanz-Performance. Genauso lange engagiert sich der Choreograf aus Philadelphia bereits beim Yiddish Summer in Weimar.
"Die Tänzer studieren Bewegungsabläufe ein, die auf jiddischem Tanz und Folklore basieren. Wir versuchen die Tradition aufzunehmen und daraus 21. Jahrhundert zu machen. Neue Körper. Das Thema des Stücks GILGUL heißt ja transformieren. Und die Hoffnung ist, dass sich im Laufe des Stücks die Tänzer verwandeln, in der Art, wie sie auf diese neue Musik reagieren."

"Tradition ist die Weitergabe des Feuers"

Doch bisher gab es keine finanziellen Mittel, ein solches Bühnenstück in Weimar einzustudieren. Die erstmalige Unterstützung des Yiddish Summer durch die Kulturstiftung des Bundes machte den Weg frei, professionelle Tänzer und Musiker zu engagieren. Nicht nur für GILGUL, auch für das Bühnespektakel Bobe Mayses und für eine wissenschaftliche Tagungbekommt das Festival zusätzliches Geld.
"Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers." Dieser Ausspruch Gustav Mahlers dient Steve Weintraub als Leitsatz für seine Choreografie. Er möchte die Glut der verloren gegangenen jiddischen Moderne neuentfachen. Eine Moderne, die in osteuropäischen Städten wie Warschau, Odessa oder Moskau einmal ganz stark war.
"Das Stück ist wirklich wie eine zeitgenössisch-moderne Tanzaufführung aufgebaut. Es mischt folkloristischeElemente, jüdisches Leben und Rituale bleiben erkennbar. Die Tänzer reagieren auf neue Klezmer-Musik, aber zugleich bleibt der Bezug zu originaler Klezmer Musik erhalten. Wir versuchen einen Tanz zu entwickeln, der das gegenwärtige Lebensgefühl aufgreift, aber deutlichen Bezug zur Tradition behält."
Die Musiker und Tänzer kommen aus Lettland, Frankreich, Belgien, Italien, Dänemark, Tschechien, USA, Großbritannien, Deutschland und Polen. Nicht alle haben einen jüdischen Hintergrund. Aber sie begeistern sich für jüdische Kunst, für die jüdischen Schriften.

Zu den eigenen Wurzeln zurückkehren

Die Tänzerin Izah wurde auf den Philippinen geboren und lebt in Berlin:
"Ich hab noch nie etwas mit jiddischem Volkstanz gemacht. Und es ist echt spannend. Es ist das erste Mal, dass etwas mit jiddischem und zeitgenössischem Tanz gemacht wird."
Alina hingegen erlebt plötzlich, wie es sich anfühlt, zu den eigenen Wurzeln zurückzukehren. Die Tänzerin wurde in Kasachstan geboren, ist in Nordrhein-Westphalen aufgewachsen, und hat unter anderem in Lübeck Tanz studiert.
"Ich habe mit der jüdischen Kultur praktisch nicht so viel zu tun, weil meine Familie nicht religiös ist. Bis auf die Verwandten in Israel leben wir sehr europäisch, aber was wir leben, ist die Kultur, d.h. Essen, die Musik, Tanz natürlich, und genau das kommt hier vor und es ist für mich super.Und ich denke, dass das GilGul-Projekt ein sehr gutes Beispiel ist für gelungene Interkulturalität."
Die Geigerin Alina Bauer nimmt seit 2008 am Yiddish Summer teil. Angefangen hatte es bei ihr mit einer Klezmer-Band in Gießen. Sie gehört zu dem kleinen Ensemble von vier GilGul Musikern, die traditionelle jiddische Musik in die heutige Zeit übertragen.
"Es ist natürlich so, dass wir alle aufwachsen mit der elektronischen Musik um uns rum und den ästhetischen Kriterien, die damit zusammen hängen. Ich finde, es macht sehr viel Sinn, das zu versuchen zusammen zu bringen, genauso auch wie den Tanz. Das ist hier deutlich durch den jiddischen Tanz inspiriert, aber auch ganz eindeutig durch den modernen Tanz, zeitgenössischen Tanz."

"Vielleicht färbt ja was ab"

"Wir ham da auch so' ne Szene mit Schuhen. Da ist so’n Berg mit Schuhen und da bekommt man sofort die Assoziation zum Holocaust. Und da gibt’ s aber auch so was Lebendiges darum, diese Kultur wieder aufzuleben."
Erzählt David Kummer. Die Tänzerumkreisen die Schuhe, ziehen sie an, erkunden deren Geschichte. So die Idee von Steve Weintraub. Einzelne Töne verschmelzen zu einem Chor. Vermischt mit Elementen anderer Kulturen, beispielsweise aus der Türkei oder Bulgarien, entsteht schließlich eine neue Musik, eine neuer Tanz.
"Ich denke nicht, dass Menschen solch eine Aufführung jemals auf der Bühne gesehen haben. Nach der Premiere wollen wir eine kleine Tanzparty machen – für das Publikum. Vielleicht färbt ja was ab, eine andere Art Musik zu hören, eine andere Art den Rhythmus zu spüren, eine andere Art deinen Körper zu halten."
Und am Ende lädt das Yiddish-Summer-Tanzorchester die ganze Stadt zum großen Abschlussball ein, unter anderem mit Steve Weintraub als Tanzmeister.