Xavier Tapies: "Banksy Provokation"

Banksy provoziert - auch im Homeoffice

06:21 Minuten
Von Eva Hepper · 10.07.2020
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Der Bildband "Banksy Provokation" versammelt die bedeutendsten Werke des weltberühmten Streetart-Künstlers und zeigt seine Genialität. Seit über 20 Jahren kommentiert der noch immer anonym agierende Brite Zeitgeschehen auf höchstem Niveau.
Banksy im Homeoffice? Unvorstellbar! Doch tatsächlich zwangen Coronakrise und Lockdown den weltweit berühmtesten Streetart-Künstler in die eigenen vier Wände. Genauer: aufs stille Örtchen. Ausgerechnet dort, am für die Öffentlichkeit am weitesten abgelegenen Platz, ließ er im April 2020 seine berühmten Ratten auftreten. Statt an den Fassaden von New York oder London turnten die Tiere nun zwischen heimischen Spiegeln, Waschbecken und der Toilette. Und damit die Aktion nicht gänzlich im Privaten blieb, postete Banksy eine Fotografie seines Badezimmers auf Instagram. Ein typischer Banksy im untypischen Ambiente.
Wie originell, geistreich, gewitzt und charmant, wie sozialkritisch und politisch zugleich und vor allem wie vielfältig das Werk des seit Jahrzehnten anonym arbeitenden Künstlers tatsächlich ist, zeigt der umfangreiche Bildband "Banksy Provokation". Er stammt von dem Streetart-Experten Xavier Tapies und versammelt die bedeutendsten Werke des Briten von seinen Anfängen aus dem Jahr 1999 bis heute.

Großartige Bilder und ihre Bedeutung

Sieben, chronologisch nach Jahreszahlen sortierte Kapitel strukturieren das Buch. Dabei wird eingangs auf einer doppelseitigen Weltkarte jedes Werk verortet sowie sein Verbleib dokumentiert. So ist unmittelbar ersichtlich, welches Bild noch heute am Originalschauplatz zu sehen ist, welches vernichtet wurde, welches konserviert, abgenommen oder verkauft. Auf den Folgeseiten wird jede einzelne Arbeit dann mit einer großformatigen Abbildung und einem ausführlichen Erläuterungstext vorgestellt.
Das Mädchen mit dem wegfliegenden Ballon (2002), der Vermummte, der einen Blumenstrauß wirft (2003), das Zimmermädchen, das den Dreck unter den Teppich kehrt (2006), das britische Affenparlament (2009), die Europaflagge, aus der ein Stern herausgemeißelt wird (2017), Steve Jobs als syrischer Flüchtling (2015), das versteigerte und anschließend per Automatik zur Hälfte geschredderte Ballonmädchen (2017) – all diese ikonischen Bilder und Aktionen passieren Revue.

Vom Arbeiten mit Schablonen in großer Höhe

Xavier Tapies erklärt den jeweiligen politischen Kontext, bietet wichtige Hintergrundinformationen und erläutert auch technische Vorgehensweisen wie das Arbeiten mit Schablonen in großer Höhe. Zudem schildert er quasi nebenbei die Entwicklung des Künstlers von einem lokal agierenden Bristoler Graffiti-Gang-Mitglied zu einem weltweit intervenierenden, das Zeitgeschehen so bissig wie humorvoll kommentierenden Artisten. Allein die Vielzahl der von Banksy ins Visier genommenen Themen ist beeindruckend: darunter Überwachung, Digitalisierung, Mauerbau in der Westbank oder den USA, Finanz-, Klima- und Migrationskrise, Brexit und ganz aktuell Rassismus.
Eine Frau mit einem Fahrrad läuft an einer Installation von Banksy am Pariser Club Bataclan vorbei.
Aktuelle Anlässe bestimmen Banksys Werk: Nach dem terroristischen Anschlag auf den Pariser Club Bataclan installierte er ein Graffiti.© picture alliance / Le Pictorium / Michael Bunel
So kenntnisreich Xavier Tapies in Banksys Kosmos einführt, so sehr lässt er leider dessen Humor vermissen. Wo der Künstler seine Gesellschaftskritik subtil und pointiert auf die Wände sprayt, wettert der Autor immer wieder gegen "Galeriekunst", "widerliche Luxuspassagen" und "Konsumterror". Die Verspieltheit von Ratten im eigenen Badezimmer käme ihm sicher nie in den Sinn.

Xavier Tapies: "Banksy Provokation"
Aus dem Englischen von Claudia Koch
Midas Verlag Collection, Zürich 2020
228 Seiten, 39 Euro

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