WZB-Verkehrsexperte: "Da müssen wir uns einfach drauf einstellen"
Der Leiter der Projektgruppe Mobilität des Wissenschaftszentrums Berlin, Andreas Knie, hält Zugausfälle und gedrosselte Geschwindigkeiten in harten Wintern auch in Zukunft für unvermeidlich.
Andreas Müller: Stau auf den Straßen, Chaos bei der Bahn, Stillstand auf den Flughäfen – der Winter macht uns modernen, höchste Mobilität gewohnten Menschen einen Strich durch Reisepläne oder einfach nur den Versuch, pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen. Was führte zum Chaos, wer ist verantwortlich und werden wir uns in den kommenden Wintern an diese unfreiwilligen Entschleunigungen gewöhnen müssen? Darüber möchte ich jetzt mit Professor Andreas Knie sprechen, er ist Leiter der Projektgruppe "Mobilität" am Wissenschaftszentrum Berlin. Schönen guten Tag!
Andreas Knie: Hallo, guten Tag!
Müller: Welche Ursachen haben zu den vielen wetterbedingten Verspätungen, Zugausfällen und Flugstreichungen geführt?
Knie: Ja, da sind natürlich eine ganze Reihe von Ursachen. Natürlich unser sehr hochgezüchtetes Verkehrssystem insgesamt, denn wir sind ja gewohnt, möglichst schnell quasi global unterwegs zu sein. Das soll dann noch sehr komfortabel sein und möglichst günstig im Preis, und das führt natürlich dazu, dass die Verkehrssysteme zwar einerseits sehr leistungsfähig sind, aber dann auch sehr empfindlich. Sie sind sehr schnell, aber eben auch, was das Wetter angeht, nicht so robust wie die früheren Generationen es waren.
Müller: Ist das so ein bisschen der Eindruck, also früher, da funktionierte alles, aber früher fuhr vielleicht nur ein Bruchteil der Züge, die heute überhaupt unterwegs sind?
Knie: Ja, also bei den Flugzeugen auf jeden Fall. Wir haben einen rasant ansteigenden Flugverkehr in den letzten Jahrzehnten, also die Flughäfen jetzt hier in Berlin zum Beispiel sind vollkommen überlastet, auch Frankfurt ist jetzt schon überlastet, Heathrow, Charles de Gaulle, Orly sind überlastet, und wenn da eine kleine Panne passiert, dann akkumuliert sich das sehr schnell. Und auch bei den Zügen haben wir jetzt viel schnellere Züge. Schauen Sie, wir sind von Berlin nach Hannover vier Stunden früher gefahren, jetzt fahren wir eine Stunde und 20 Minuten. Viele Verbindungen sind schneller geworden und damit ist natürlich auch das System anfälliger geworden.
Müller: Aber wie kann es denn sein, dass so ein Unternehmen wie die Bahn sehenden Auges in die Katastrophe fährt? Also man musste ja kürzlich zugeben: Im Herbst bereits wusste man, wenn was passiert, haben wir ein Riesenproblem.
Knie: Ja, das liegt am System Eisenbahn. Wenn man es schnell fahren lassen will wie die Hochgeschwindigkeitszüge, dann weiß man, dass, wenn es sehr, sehr kalt wird, sehr viel Schnee liegt, diese Hochgeschwindigkeitszüge nicht in der ursprünglich gedachten Geschwindigkeit fahren können. Dann werden die abgeregelt, dann gibt es eine Geschwindigkeitsbegrenzung, die liegt so etwa bei knapp unter 200, und dann akkumuliert sich so ein System mal ganz schnell zu Verspätungen, die dann das ganze System ganz schnell aus dem Tritt bringen.
Müller: Warum hat man dann keine Züge gekauft, die dann fahren könnten?
Knie: Ja, erst mal müssen die Züge auch mal geliefert werden, die das können. Das ist ja ein Zusammenspiel, sag ich mal, zwischen Eisenbahnverkehrsunternehmen, wie das so schön heißt, da ist die Deutsche Bahn, aber es gibt noch einige andere, der Bahnindustrie, die die Züge liefert, und auch das Eisenbahn-Bundesamt, das EBA, wie es so schön heißt, was das auch alles kontrollieren soll. Und das ist ein Zusammenspiel, das ist nach der Bahnreform vollkommen neu aufgestellt worden, und jetzt müssen sich alle Beteiligten erst mal aufeinander gewöhnen. Und man muss klipp und klar sagen, dass wir ein sehr leistungsfähiges System haben, was allerdings bei diesen harten Temperaturen, ich sag mal, runtergeregelt wird.
Müller: Im Flugbetrieb, kann ich ja verstehen, da wissen wir, da gibt es jetzt solche Fantasiepreise für Tickets, also da kann man für ein paar Euro durch halb Europa fliegen, da kann ich mir ungefähr vorstellen, dass da ganz, ganz hart am Limit geflogen wird. Also es wird immer weniger bezahlt für die Mitarbeiter, die Wartung ist vielleicht noch gerade so einigermaßen im grünen Bereich. Bei der Bahn aber, da ist es ja eigentlich richtig teuer, also so ein Ticket kostet teilweise richtig viel Geld. Was machen die denn da?
Knie: Ja, beim Flug ist es ja auch so, dass Sie nicht jeden Flugpreis für 48 Euro kriegen. Es gibt schon mal Flüge, die sind sehr teuer. Also, das ist immer das, was wir subjektiv wahrnehmen. Wir fahren mal einmal im Jahr für 48 Euro, den Rest fahren wir über 1000 Euro und glauben immer, wir fahren nur für 48 Euro. Bei der Bahn ist es natürlich auch immer so, Sie kriegen sofort den tatsächlichen Kostensatz dargestellt, es kostet eben sofort so viel, und dann haben Sie immer den Eindruck, es ist viel zu teuer. Beim Auto ist das zum Beispiel viel schlauer, das Auto kaufen Sie mal oder leihen Sie sich's mal, dann haben Sie mal den Sprit, dann haben Sie so eine Art Verschleierung der Kosten und lügen sich da auch selbst gerne in die Tasche, das machen wir gerne. Und bei der Bahn ist es eben klar, die Bahnpreise sind nicht billig, das kann man nicht sagen. Aber das System ist auch im Vergleich zu früher erheblich leistungsstärker geworden. Und auch dazu kommt noch, dass der öffentliche Steuerzahler auch noch mal dieses System erheblich bezuschusst. Das liegt eben an der sehr teuren Qualität, die wir in Deutschland haben.
Müller: Gibt es vielleicht auch ein bisschen so das Phänomen, dass es an Erfahrung fehlt? Die Winter der vergangenen drei Jahrzehnte, das muss man sagen, waren zugegebenermaßen überwiegend mild. Also so was, was wir gerade erleben, ist sehr, sehr selten gewesen. Also hat man das einfach verlernt, auch damit umzugehen?
Knie: Genau, das kommt dazu. Also wir sind immer verwöhnter geworden, was das sozusagen Verkehrssystem an sich angeht, wir fahren mal ganz schnell nach Mailand, wir fahren mal ganz schnell nach London, auch innerdeutsch sind wir schnell unterwegs und dann vergisst man schon mal, dass es schon mal harte Winter gibt, wo auch früher schon öfters alles stand. Also nicht so, dass früher immer alles besser war. Und die heutigen Systeme stehen dann eben auch schon mal. Und das wird auch, wenn die Winter so bleiben, wird dieses System auch anfällig bleiben. Da beißt die Maus keinen Faden ab, das wird auch in dem nächsten Winter, wenn der wieder so bitterkalt wird, werden wir wieder uns daran gewöhnen müssen, dass mal ein Zug ausfällt oder auch der Flieger nicht geht. Und auf den Straßen, das muss man ja sagen, ist ja auch nicht alles flüssig.
Müller: Der Winter verhindert unsere gewohnte Mobilität, darüber spreche ich hier im Deutschlandradio Kultur mit Andreas Knie, dem Leiter der Projektgruppe Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin. Länder wie Russland und Norwegen kommen oft viel besser mit dem Winter zurecht. Warum ist das so?
Knie: Ja, das liegt natürlich daran, weil der Winter gerade in Norwegen oder auch in Finnland oder auch in Russland natürlich dort ein viel öfters gesehener Geselle ist, dort sind die Vereisungstage, die Schneetage statistisch einfach viel, viel größer und da werden die Systeme auch dementsprechend auf diese Tage ausgelastet. Bei uns sind das statistische Durchschnittswerte, die angenommen werden, wenn die Lasten- und Pflichtenhefte für die Bahnindustrie oder für die Flugzeugindustrie entwickelt wird, dann geht man natürlich auch bei den Berechnungen von anderen Voraussetzungen aus, als sie zum Beispiel in Sibirien herrschen.
Müller: Müsste die Bahn zum Beispiel nicht auch präventiv sagen: Leute, bei solchen Witterungsbedingungen fahren wir nach einem anderen Plan, das und das ist machbar? Das wäre dann vielleicht auch ehrlicher und für den Kunden nachvollziehbar?
Knie: Das wird man wohl auch machen. Das wird wohl so kommen, dass wir in Zukunft, wenn die Winter – und wir haben ja einen Klimawandel, das heißt wir haben eine Erderwärmung, die aber dazu führt, dass wir immer kältere Winter bekommen werden –, wenn wir dieses Zugmaterial haben werden, dann werden wir sicherlich dann, wenn es kalt wird, wenn die Züge nicht mehr so schnell fahren, dann sicherlich auch einen anderen Fahrplan bekommen müssen.
Müller: Mal angenommen, es wäre jetzt richtig viel Geld da für die Vorbereitung auf die nächsten harten Winter – und es ist tatsächlich so, dass Experten sagen, das könnte jetzt eine Periode sein der kalten Winter, die nächsten paar Jahre: Was müsste da konkret gemacht werden? Also der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Winfried Hermann, von den Grünen ist der, der sagte dem Berliner "Tagesspiegel", die Bahn muss nun alle verfügbaren Züge in Europa leasen oder kaufen, um 2011 besser gewappnet zu sein. Also ist das eine Maßnahme, jetzt loszugehen mit dem großen Einkaufswagen und richtig viel Geld auszugeben?
Knie: Nein, das ist ja auch etwas komplizierter. Das System Bahn ist leider sehr kompliziert und da kann man nicht von irgendeinem anderen Land irgendeinen Zug kaufen und den auf die Strecke setzen. Das, was die Deutsche Bahn AG im Moment ja macht, ist ja, alles, was rollt, einzusetzen und auch noch bessere Qualität einzukaufen, als man bisher gekauft hat. Das passiert schon, das ist aber im normalen Geschäft der DB üblich, das ist Business. Wir werden, wie wir soeben schon überlegt haben, sicherlich – das gilt für Flugzeuge auch, wir stellen uns ja beim Auto auch auf einen anderen Fahrplan ein, wir wissen, wenn es glatt ist, kann ich nicht so schnell sein –, das wird sicherlich auch für öffentliche Verkehrssysteme so sein, dass man, wenn jetzt eben eine bestimmte Gradzahl unterschritten wird oder der Winter kommt, dann wird man einen anderen Fahrplan einsetzen und der wird dann alles etwas langsamer machen.
Müller: Wie soll denn unsere mobile Gesellschaft damit umgehen? Also wir haben schon gehört, wir sind verwöhnt gewesen, wir müssen uns vielleicht umgewöhnen, wir müssen neu denken, es gibt Naturgewalten, die wir einfach technisch und auch finanziell nicht im Griff haben können. Heißt das, wir müssen jetzt immer den warmen Tee und die Decke bereit haben, sicher ist sicher, wenn wir uns auf die Reise begeben? Also dass die alten, schönen Zeiten, die angeblich mal waren, wirklich vorbei sind, weil es einfach technisch nicht in den Griff zu bekommen ist?
Knie: Ja, also wir haben zwei Möglichkeiten: Wir können sehr viel mehr Geld als jetzt in das System pumpen, also noch mehr Qualität versuchen zu erreichen, dass wir, auch wenn es minus 20 Grad kalt ist und wir 60 Zentimeter Schnee haben, auch weiterhin mit 380 Sachen durch die Gegend rasen können oder einen ganz vertakteten Flugverkehr haben. Das ist aber dann so teuer, dass die Preise für die Verkehrsmittel ins Unermessliche steigen. Also bleibt uns nur, das System, was wir haben, so zu begreifen, dass es im Winter eben anfälliger wird. Und da müssen wir uns einfach drauf einstellen.
Müller: Eine zwar dann ungewollte und nicht geplante, aber dann vielleicht mitunter auch nicht ganz unangenehme Entschleunigung in den Wintermonaten steht uns dann vielleicht in den nächsten Jahren bevor, wenn die Winter dann tatsächlich dann so werden wie dieser, der ja der kälteste in Berlin jedenfalls seit über 100 Jahren ist. Das war Andreas Knie, der Leiter der Projektgruppe Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin. Haben Sie vielen Dank!
Knie: Gerne!
Andreas Knie: Hallo, guten Tag!
Müller: Welche Ursachen haben zu den vielen wetterbedingten Verspätungen, Zugausfällen und Flugstreichungen geführt?
Knie: Ja, da sind natürlich eine ganze Reihe von Ursachen. Natürlich unser sehr hochgezüchtetes Verkehrssystem insgesamt, denn wir sind ja gewohnt, möglichst schnell quasi global unterwegs zu sein. Das soll dann noch sehr komfortabel sein und möglichst günstig im Preis, und das führt natürlich dazu, dass die Verkehrssysteme zwar einerseits sehr leistungsfähig sind, aber dann auch sehr empfindlich. Sie sind sehr schnell, aber eben auch, was das Wetter angeht, nicht so robust wie die früheren Generationen es waren.
Müller: Ist das so ein bisschen der Eindruck, also früher, da funktionierte alles, aber früher fuhr vielleicht nur ein Bruchteil der Züge, die heute überhaupt unterwegs sind?
Knie: Ja, also bei den Flugzeugen auf jeden Fall. Wir haben einen rasant ansteigenden Flugverkehr in den letzten Jahrzehnten, also die Flughäfen jetzt hier in Berlin zum Beispiel sind vollkommen überlastet, auch Frankfurt ist jetzt schon überlastet, Heathrow, Charles de Gaulle, Orly sind überlastet, und wenn da eine kleine Panne passiert, dann akkumuliert sich das sehr schnell. Und auch bei den Zügen haben wir jetzt viel schnellere Züge. Schauen Sie, wir sind von Berlin nach Hannover vier Stunden früher gefahren, jetzt fahren wir eine Stunde und 20 Minuten. Viele Verbindungen sind schneller geworden und damit ist natürlich auch das System anfälliger geworden.
Müller: Aber wie kann es denn sein, dass so ein Unternehmen wie die Bahn sehenden Auges in die Katastrophe fährt? Also man musste ja kürzlich zugeben: Im Herbst bereits wusste man, wenn was passiert, haben wir ein Riesenproblem.
Knie: Ja, das liegt am System Eisenbahn. Wenn man es schnell fahren lassen will wie die Hochgeschwindigkeitszüge, dann weiß man, dass, wenn es sehr, sehr kalt wird, sehr viel Schnee liegt, diese Hochgeschwindigkeitszüge nicht in der ursprünglich gedachten Geschwindigkeit fahren können. Dann werden die abgeregelt, dann gibt es eine Geschwindigkeitsbegrenzung, die liegt so etwa bei knapp unter 200, und dann akkumuliert sich so ein System mal ganz schnell zu Verspätungen, die dann das ganze System ganz schnell aus dem Tritt bringen.
Müller: Warum hat man dann keine Züge gekauft, die dann fahren könnten?
Knie: Ja, erst mal müssen die Züge auch mal geliefert werden, die das können. Das ist ja ein Zusammenspiel, sag ich mal, zwischen Eisenbahnverkehrsunternehmen, wie das so schön heißt, da ist die Deutsche Bahn, aber es gibt noch einige andere, der Bahnindustrie, die die Züge liefert, und auch das Eisenbahn-Bundesamt, das EBA, wie es so schön heißt, was das auch alles kontrollieren soll. Und das ist ein Zusammenspiel, das ist nach der Bahnreform vollkommen neu aufgestellt worden, und jetzt müssen sich alle Beteiligten erst mal aufeinander gewöhnen. Und man muss klipp und klar sagen, dass wir ein sehr leistungsfähiges System haben, was allerdings bei diesen harten Temperaturen, ich sag mal, runtergeregelt wird.
Müller: Im Flugbetrieb, kann ich ja verstehen, da wissen wir, da gibt es jetzt solche Fantasiepreise für Tickets, also da kann man für ein paar Euro durch halb Europa fliegen, da kann ich mir ungefähr vorstellen, dass da ganz, ganz hart am Limit geflogen wird. Also es wird immer weniger bezahlt für die Mitarbeiter, die Wartung ist vielleicht noch gerade so einigermaßen im grünen Bereich. Bei der Bahn aber, da ist es ja eigentlich richtig teuer, also so ein Ticket kostet teilweise richtig viel Geld. Was machen die denn da?
Knie: Ja, beim Flug ist es ja auch so, dass Sie nicht jeden Flugpreis für 48 Euro kriegen. Es gibt schon mal Flüge, die sind sehr teuer. Also, das ist immer das, was wir subjektiv wahrnehmen. Wir fahren mal einmal im Jahr für 48 Euro, den Rest fahren wir über 1000 Euro und glauben immer, wir fahren nur für 48 Euro. Bei der Bahn ist es natürlich auch immer so, Sie kriegen sofort den tatsächlichen Kostensatz dargestellt, es kostet eben sofort so viel, und dann haben Sie immer den Eindruck, es ist viel zu teuer. Beim Auto ist das zum Beispiel viel schlauer, das Auto kaufen Sie mal oder leihen Sie sich's mal, dann haben Sie mal den Sprit, dann haben Sie so eine Art Verschleierung der Kosten und lügen sich da auch selbst gerne in die Tasche, das machen wir gerne. Und bei der Bahn ist es eben klar, die Bahnpreise sind nicht billig, das kann man nicht sagen. Aber das System ist auch im Vergleich zu früher erheblich leistungsstärker geworden. Und auch dazu kommt noch, dass der öffentliche Steuerzahler auch noch mal dieses System erheblich bezuschusst. Das liegt eben an der sehr teuren Qualität, die wir in Deutschland haben.
Müller: Gibt es vielleicht auch ein bisschen so das Phänomen, dass es an Erfahrung fehlt? Die Winter der vergangenen drei Jahrzehnte, das muss man sagen, waren zugegebenermaßen überwiegend mild. Also so was, was wir gerade erleben, ist sehr, sehr selten gewesen. Also hat man das einfach verlernt, auch damit umzugehen?
Knie: Genau, das kommt dazu. Also wir sind immer verwöhnter geworden, was das sozusagen Verkehrssystem an sich angeht, wir fahren mal ganz schnell nach Mailand, wir fahren mal ganz schnell nach London, auch innerdeutsch sind wir schnell unterwegs und dann vergisst man schon mal, dass es schon mal harte Winter gibt, wo auch früher schon öfters alles stand. Also nicht so, dass früher immer alles besser war. Und die heutigen Systeme stehen dann eben auch schon mal. Und das wird auch, wenn die Winter so bleiben, wird dieses System auch anfällig bleiben. Da beißt die Maus keinen Faden ab, das wird auch in dem nächsten Winter, wenn der wieder so bitterkalt wird, werden wir wieder uns daran gewöhnen müssen, dass mal ein Zug ausfällt oder auch der Flieger nicht geht. Und auf den Straßen, das muss man ja sagen, ist ja auch nicht alles flüssig.
Müller: Der Winter verhindert unsere gewohnte Mobilität, darüber spreche ich hier im Deutschlandradio Kultur mit Andreas Knie, dem Leiter der Projektgruppe Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin. Länder wie Russland und Norwegen kommen oft viel besser mit dem Winter zurecht. Warum ist das so?
Knie: Ja, das liegt natürlich daran, weil der Winter gerade in Norwegen oder auch in Finnland oder auch in Russland natürlich dort ein viel öfters gesehener Geselle ist, dort sind die Vereisungstage, die Schneetage statistisch einfach viel, viel größer und da werden die Systeme auch dementsprechend auf diese Tage ausgelastet. Bei uns sind das statistische Durchschnittswerte, die angenommen werden, wenn die Lasten- und Pflichtenhefte für die Bahnindustrie oder für die Flugzeugindustrie entwickelt wird, dann geht man natürlich auch bei den Berechnungen von anderen Voraussetzungen aus, als sie zum Beispiel in Sibirien herrschen.
Müller: Müsste die Bahn zum Beispiel nicht auch präventiv sagen: Leute, bei solchen Witterungsbedingungen fahren wir nach einem anderen Plan, das und das ist machbar? Das wäre dann vielleicht auch ehrlicher und für den Kunden nachvollziehbar?
Knie: Das wird man wohl auch machen. Das wird wohl so kommen, dass wir in Zukunft, wenn die Winter – und wir haben ja einen Klimawandel, das heißt wir haben eine Erderwärmung, die aber dazu führt, dass wir immer kältere Winter bekommen werden –, wenn wir dieses Zugmaterial haben werden, dann werden wir sicherlich dann, wenn es kalt wird, wenn die Züge nicht mehr so schnell fahren, dann sicherlich auch einen anderen Fahrplan bekommen müssen.
Müller: Mal angenommen, es wäre jetzt richtig viel Geld da für die Vorbereitung auf die nächsten harten Winter – und es ist tatsächlich so, dass Experten sagen, das könnte jetzt eine Periode sein der kalten Winter, die nächsten paar Jahre: Was müsste da konkret gemacht werden? Also der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Winfried Hermann, von den Grünen ist der, der sagte dem Berliner "Tagesspiegel", die Bahn muss nun alle verfügbaren Züge in Europa leasen oder kaufen, um 2011 besser gewappnet zu sein. Also ist das eine Maßnahme, jetzt loszugehen mit dem großen Einkaufswagen und richtig viel Geld auszugeben?
Knie: Nein, das ist ja auch etwas komplizierter. Das System Bahn ist leider sehr kompliziert und da kann man nicht von irgendeinem anderen Land irgendeinen Zug kaufen und den auf die Strecke setzen. Das, was die Deutsche Bahn AG im Moment ja macht, ist ja, alles, was rollt, einzusetzen und auch noch bessere Qualität einzukaufen, als man bisher gekauft hat. Das passiert schon, das ist aber im normalen Geschäft der DB üblich, das ist Business. Wir werden, wie wir soeben schon überlegt haben, sicherlich – das gilt für Flugzeuge auch, wir stellen uns ja beim Auto auch auf einen anderen Fahrplan ein, wir wissen, wenn es glatt ist, kann ich nicht so schnell sein –, das wird sicherlich auch für öffentliche Verkehrssysteme so sein, dass man, wenn jetzt eben eine bestimmte Gradzahl unterschritten wird oder der Winter kommt, dann wird man einen anderen Fahrplan einsetzen und der wird dann alles etwas langsamer machen.
Müller: Wie soll denn unsere mobile Gesellschaft damit umgehen? Also wir haben schon gehört, wir sind verwöhnt gewesen, wir müssen uns vielleicht umgewöhnen, wir müssen neu denken, es gibt Naturgewalten, die wir einfach technisch und auch finanziell nicht im Griff haben können. Heißt das, wir müssen jetzt immer den warmen Tee und die Decke bereit haben, sicher ist sicher, wenn wir uns auf die Reise begeben? Also dass die alten, schönen Zeiten, die angeblich mal waren, wirklich vorbei sind, weil es einfach technisch nicht in den Griff zu bekommen ist?
Knie: Ja, also wir haben zwei Möglichkeiten: Wir können sehr viel mehr Geld als jetzt in das System pumpen, also noch mehr Qualität versuchen zu erreichen, dass wir, auch wenn es minus 20 Grad kalt ist und wir 60 Zentimeter Schnee haben, auch weiterhin mit 380 Sachen durch die Gegend rasen können oder einen ganz vertakteten Flugverkehr haben. Das ist aber dann so teuer, dass die Preise für die Verkehrsmittel ins Unermessliche steigen. Also bleibt uns nur, das System, was wir haben, so zu begreifen, dass es im Winter eben anfälliger wird. Und da müssen wir uns einfach drauf einstellen.
Müller: Eine zwar dann ungewollte und nicht geplante, aber dann vielleicht mitunter auch nicht ganz unangenehme Entschleunigung in den Wintermonaten steht uns dann vielleicht in den nächsten Jahren bevor, wenn die Winter dann tatsächlich dann so werden wie dieser, der ja der kälteste in Berlin jedenfalls seit über 100 Jahren ist. Das war Andreas Knie, der Leiter der Projektgruppe Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin. Haben Sie vielen Dank!
Knie: Gerne!