WWF: Probleme mit der Wasserversorgung in Entwicklungsländern

Martin Geiger im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Die größten globalen Probleme in Bezug auf die Wasserversorgung sieht Martin Geiger, Leiter des Bereichs Süßwasser bei WWF-Deutschland, nicht bei den Riesenstädten in Entwicklungs- und Schwellenländern, sondern bei den kleineren und mittleren Städten. Viele dieser Städte wüchsen extrem schnell, hätten aber nicht das wirtschaftliche Potenzial, um der Probleme wirklich Herr zu werden, so Geiger vor dem Hintergrund der derzeit stattfindenden Internationalen Wasserwoche in Stockholm.
Gabi Wuttke: Dass Wasser über Krieg und Frieden entscheidet, das ist eine Wahrheit, die noch längst nicht bei allen Menschen angekommen ist, vor allem nicht bei denen, die für sauberes Wasser nur den Hahn aufzudrehen brauchen. Für sie gehört Wasserknappheit in die Wüste. Dabei ist auch in vielen Metropolen weltweit das Lebenselixier Mangelware und damit ein Luxusartikel. Darauf wird derzeit auch bei der 20. Weltwasserwoche in Stockholm hingewiesen. Martin Geiger leitet den Bereich Südwasser beim World Wide Fund for Nature, der zu diesem Thema eine Studie vorgelegt hat und den ich um 6:50 Uhr im Deutschlandradio Kultur begrüße. Guten Morgen!

Martin Geiger: Guten Morgen!

Wuttke: In welchen großen Städten und warum herrschen bei der Wasserversorgung die größten Probleme?

Geiger: Grundsätzlich haben wir in allen Riesenstädten, Megastädten in Entwicklungs- und Schwellenländern diese Probleme, die dort auftreten. Vor allen Dingen ist es zum einen überhaupt die Wasserversorgung, dass also genügend Wasser überhaupt bereitgestellt werden kann, was in vielen Städten nicht möglich ist und was nicht geschieht. Dann versickert viel von dem Wasser in den Leitungen, bis zu 40, 50 Prozent - bei uns, wir haben ungefähr sieben Prozent Leitungsnetzverluste. Und wenn es dann schließlich beim Verbraucher, also bei der Stadtbevölkerung ankommt, dann stimmt oft die Qualität nicht oder der Geruch. Und schlussendlich dann, wenn dann die Abwässer - sowohl von den Haushalten als auch von der Industrie und dem Gewerbe - dann wiederum weitergeleitet werden, das wird nicht geklärt und geht dann einfach in vielen Fällen in Gewässer, Seen, Flüsse, aber eben auch direkt ins Meer.

Wuttke: Wenn wir das mal in einem Beispiel fassen wollen, was Sie da gerade erklärt haben: Was hieße das, wenn man die schlimmsten Verhältnisse, die Sie in Ihrer Studie ermittelt haben, auf Deutschland überträgt?

Geiger: Ganz praktisch hieße das auf Deutschland übertragen, dass ungefähr ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung einer größeren Stadt überhaupt gar keinen Wasseranschluss hätte, dass vielleicht 50, 60, manchmal sogar 70 Prozent des Abwassers ungeklärt dann in die Gewässer im Umland eingeleitet wird, an Baden wäre gar nicht mehr zu denken, und ja, es wäre auch nicht mehr besonders attraktiv, entlang vom Flussufer oder von einem Seeufer dann zu wohnen.

Wuttke: Mangelt es an Sensibilität, an Einsicht oder an Investitionen, diesem Umstand, den Sie für viele große Städte in der Welt beschrieben haben, durch ein besseres Leitungssystem ein Ende zu setzen?

Geiger: Ich glaube, die Probleme sind erkannt, und es ist auch das Bewusstsein da, aber es ist eine Frage der Prioritätensetzung auch der Stadtverwaltungen. Oft sind es auch politische Entscheidungen, die einfach zu anderen Mittel- oder Budgetallokationen führen, also wo Geld einfach für andere Bereiche ausgegeben wird. Und da muss man einfach auch sehen, die Probleme sind riesengroß, viele dieser Städte wachsen immer noch weiter, und für mittlere und kleine Städte, die extrem schnell wachsen, da ist die Herausforderung, dass die gar nicht das ökonomische oder das wirtschaftliche Potenzial haben, dieser ganzen Probleme wirklich Herr zu werden.

Wuttke: Das heißt aber auch, wenn ich es in Ihrer Studie richtig gelesen habe, ein nicht unentscheidender Anteil am aktuellen Problem sind Korruption auf der einen Seite und Privatisierung auf der anderen Seite?

Geiger: Die Transparenz bei der Vergabe und Aufträgen - das haben auch andere mal recherchiert - ist in vielen Fällen nicht oder nur unzureichend gegeben. Das betrifft natürlich dann auch die Vergabe von Aufträgen an private Wasserversorgung und Abwasserentsorger. Man muss aber jetzt vorsichtig sein, jetzt diesen privaten Versorgern, sagen wir mal, die Schuld da in die Schuhe zu schieben, sondern wenn das System an sich nicht funktioniert, es keine Kontrollen gibt, keine Wasseruhren, das Geld für die Wasserversorgung nicht bezahlt wird, dann kann natürlich auch ein privater Wasserversorger, der geht dann auch wieder raus aus so einem Vertrag oder er kann es sich nicht leisten.

Wuttke: Ganz wertfrei möchte ich noch mal das Stichwort der Privatisierung von Ihnen jetzt aufgreifen: In Deutschland sind ja Wasserwerke auch privatisiert worden, aber bei uns ist eigentlich das Thema nur der Preis. Was sollten wir uns auch angesichts dessen, was Sie jetzt gerade erläutert haben, vor Augen führen, was unseren Verbrauch angeht?

Geiger: Ja, zum einen, ich denke, für den Preis bekommen wir auch Qualität und Versorgungssicherheit, was wir in vielen dieser Großstädte einfach nicht haben. Wir sollten uns auch vor Augen führen, dass wir in Deutschland, auch europaweit mit zu denen gehören, die am wenigsten Wasser pro Kopf verbrauchen, wir liegen ungefähr bei 120 Liter.

Wuttke: Kann uns das beruhigen?

Geiger: Eigentlich sind wir auf einem guten Weg und haben in den letzten Jahren auch deutlich da an Wasser eingespart. Ja, einerseits ja, andererseits verbrauchen wir aber indirekt über die Produkte, die wir konsumieren, verbrauchen wir eben nicht nur unser Wasser indirekt in Deutschland - also wenn ein Baumwoll-T-Shirt, wenn wir das kaufen, haben wir Wasser am Indus in der Nähe von Schanghai am unteren Jangtse oder möglicherweise aus Indien dann mit verbraucht, und dort vor Ort kann das tatsächlich auch zu Wasserknappheit oder Grundwasserabsenkung führen.

Wuttke: Immer mehr Menschen leben in Städten, Sie haben ja auch schon gesagt, die Metropolen boomen, 70 Prozent der Weltbevölkerung könnte schon in 40 Jahren in Städten leben - wie stellen Sie sich dieses Szenario vor?

Geiger: Ich denke, das Szenario ist sehr realistisch, wenn man sich so die Trends ansieht. Ich glaube, die große Herausforderung werden vielleicht gar nicht mal so diese Megastädte sein, sondern die kleinen und mittleren Städte, die irrsinnig schnell wachsen und vielleicht noch nicht eben dieses wirtschaftliche, die Wirtschaftskraft haben, um wirklich allen diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Ein schönes Beispiel, was auf der Weltwasserwoche gezeigt wurde, war Shenzhen in China, hatte vor 30 Jahren, das war ein kleines Fischerdorf oder eine Fischergemeinde und hat heute sieben Millionen Einwohner.

Wuttke: Das heißt, Sie rechnen damit, dass wir uns auf einiges einstellen müssen, wenn nicht im globalen Maße man sich des Problems des Trinkwassers, des sauberen Wassers, annimmt?

Geiger: Ja. Es gibt große Herausforderungen, aber es gibt auch entsprechend sagen wir mal zunehmend große Anstrengungen. Ob wir da diese Zielmargen, die wir uns da gesetzt haben, auch mit den Millenniumszielen, ob wir die dann erreichen, das ist schon eine große Herausforderung.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Martin Geiger vom WWF. Ich danke Ihnen sehr, schönen Tag!

Geiger: Gern geschehen!

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