Wunschfestival für Tanz- und Theaterbegeisterte

Von Elisabeth Nehring · 31.07.2005
Das Impulstanzfestival ist das größte Tanzfestival Österrreichs. Vor zwanzig Jahren gegründet, hat es sich zu einem der wichtigsten Tanzfestivals der Region entwickelt; das Programm ist, wie in den Jahren zuvor, hochkarätig besetzt. Neben den großen Namen wie der Pariser Oper, Wim Vandekeybus und Anne Teresa de Keersmaker spürt das Festival mit der Reihe junge Choreographen auch neuen Trends und Tendenzen im zeitgenössischen Tanz nach.
Aus vielen Vorstellungen kommt man anders raus als man rein gegangen ist. Müder. Oder aufgeweckter. Manchmal auch klüger. Selten aber ist solch eine große innere Bewegung, wie sie das Publikum in Wien zwischen Jubel und Tränen erfasste, als die letzten Takte der Musik von "Isabellas Room" verklangen – dem fulminanten Tanz-, Musik- und Erinnerungstheater der belgischen Needcompany. Die zehn Akteure erzählen, tanzen, singen und musizieren, nacheinander und oft auch zur selben Zeit. Keiner verlässt ein einziges Mal die Bühne. Im Mittelpunkt der unzähligen Aktionen steht die neunzigjährige, erblindete Isabella, die, umgeben von ihren Erinnerungen, ihr ausschweifendes Leben Revue passieren lässt und dabei die Toten zum Leben erweckt. Eine ganz eigene Kraft und Würde und einen mitreißenden Humor verleiht die wunderbare Schauspielerin Viviane de Muynck ihrer Figur, die jedes Mal aufs Neue das Publikum tief bewegt.

Viviane de Muynck: "Was mich besonders erfreut und überrascht auch […], dass ist, dass die Leute so gerührt sind. Als wir damals die Premiere in Avignon gemacht haben, sind Frauen weinend zu mir gekommen und haben gesagt, sie haben mir die Angst vorm Älterwerden weggenommen, oder Männer, auch junge Männer, die sagen, ich liebe, ich liebe Sie Isabella und das ist so von alle Altersschichten, dass man das Humitäre…, ohne dass es sentimental wird. "

Eine seltsame Erbschaft hat Regisseur Jan Lauwers zu diesem Stück inspiriert. Von den 5000 afrikanischen Sammlerbeutestücken, die sein Vater ihm vermacht hat, stehen einige auf der Bühne. Die Personen des Stücks bekommen wir zu Beginn vorgestellt: Vater und Mutter Isabellas, ihre Liebhaber, ein phantasierter Wüstenprinz, aber auch ihre rechte und linke Gehirnhälfte werden von Schauspielern und Tänzern verkörpert. Das Leben Isabellas beginnt mit einer Lüge und überdauert den Selbstmord ihrer Mutter, die Trunksucht ihres Vaters sowie Tod und Wahnsinn ihrer Liebhaber. Afrika bleibt ihr ewiger, ungelebter Traum, während zwei Weltkriege und die Katastrophen des 20. Jahrhunderts an ihr vorbeiziehen.

Isabellas Leben wird chronologisch erzählt und doch überlagern sich Zeiten und Kulturen, Tote und Lebende, Europa und Afrika, persönliche und historische Ebenen. In seiner Essenz ist das Spiel mit epischem Atem eine berührende Geschichte von tiefer Humanität. Für Viviane de Muuynck ist Isabella ….

Viviane de Muynck: " …eine Frauenfigur, […] die die Kapazität hat, immer weiter zu leben, mit Humor und mit Liebe und mit einer gewissen Neugier im Leben, [er wollte] keine unsensible Frau [kreieren], obwohl sie sagt, ich hab nicht geweint, […] natürlich weint man, man leidet, aber man muss hinüber weg, man muss weiterleben und man soll sich darum nicht schuldig fühlen, dass man weiterleben muss, dass die anderen weg sind.

Das sind, wie ich immer sage, fast Freunde, alle Toten in einem Leben sind Freunde, die einem auf dem Weg begleiten, aber das dauert eine Weile bis man das sieht. Am Anfang gibt es nur die Trauer, aber nachher – wie die Sorbas-Figur von Kazantakis – [...] so frei sein, dass man auf dem Grab seines Kindes tanzen kann, weil das der Ausdruck von Trauer ist. "

"Isabellas Room" und die Needcompany sind inmitten eines hochkarätigen Programms zweifellos der bisherige Höhepunkt des Impulstanzfestivals. Neben dem Hauptprogramm, das unter anderem auch das Ballett der Pariser Oper, Marie Chouinard und Anne Teresa de Keersmaker umfasst, präsentiert das Festival eine Reihe mit jungen Choreographen. In diesem Jahr hat Kuratorin Christa Spatt sehr unterschiedliche junge Künstler aus Frankreich, Deutschland, Slowenien, Österreich, Belgien und Burkina Faso nach Wien geholt. Die eigentliche Entdeckung aber hat sie in New York gemacht: die 24-jährige amerikanische Choreographin und Designerin Ann Liv Young überraschte mit ihrer Performance "Melissa is a bitch", eine Mischung aus feministischem Poptheater, offensiven Affront gegen weiblichen Schönheitswahn und schamlos nackter Körperlichkeit. Kuratorin Christa Spatt über die Arbeit der Amerikanerin Ann Liv Young.

Christa Spatt: "Es drückt sich da [...] eine Haltung oder eine Emotionalität aus, die ich in der Form in Europa wenig gesehen habe und [...], eine Direktheit, ja , es ist sehr kraftvoll und direkt und emotional [...] und ich mag das dann auch sehr gerne, Gegenpositionen zu bringen. Das ist mir schon sehr wichtig, weil ich diese Haltung einfach überholt finde, zu glauben, dass jetzt wirklich die relevanten Positionen aus Westeuropa kämen, also das ist vorbei, bzw. das war immer ein Trugschluss. "

Die fünf jungen Frauen auf der Bühne sind nackt oder mit grünen Plastikkostümen notdürftig bekleidet. Was immer sie tun, ob sie Obzönitäten ins Publikum schreien, nackt an Schaukeln hängen, grünes Eis lutschen, provokante Texte verlesen, Disotänze imitieren oder splitternackt Gymnastikstunden mit lebenden Schildkröten geben – alles wird unbarmherzig angestrahlt von einem Licht aus einigen tausend Watt, das ihre Körper bis auf kleinste Falten und erste Dellen ausleuchten. Ann Liv Young schert sich nicht um mögliche Grenzen des guten Geschmacks, um Schönheit oder Kunstanspruch. In ihrer Arbeit vermischen sich Trivialisierung, Provokation, Irritation, Pornographie und Nacktheit mit einer unverstellten Energie, die die weit verbreitete europäische "Reflektion über die Reflektion" nicht kennt.

Ann Liv Young: "Meine Arbeit hat oft eine "rebellische" Qualität. Ich habe mit einer ganzen Gruppe von Frauen gearbeitet, mit denen ich zusammen auf ein reines Frauen-College gegangen bin. Wir sind einmal alle ins Gefängnis gesteckt wurden, weil wir nackt gegen etwas protestiert hatten. Es gibt also eine gemeinsame Geschichte in unseren Erfahrungen. […] Und was wir daraus gezogen haben ist, dass wir uns einfach nicht mehr entschuldigen wollen. Nicht für unsere Körper, für gar nichts. "

Mit Ann Liv Young und ihren Tänzerinnen, Viviane de Muynck, aber auch Anne Teresa de Keersmaker und der Hommage an die Ausdruckstänzerin Rosalie Chladek ist Impulstanz bisher vor allem ein Festival der starken Frauen. Und mit seiner qualitätsbewussten Mischung aus großen opulenten Stücken und kleineren Kraftübungen geradezu ein Wunschfestival für Tanz- und Theaterbegeisterte.