Wundersame Unterweisung im jüdischen Glauben

"Engel, Geister und Dämonen" - was wie eine Buch aus der Esoterikecke klingt, ist in Wirklichkeit eine Sammlung von Geschichten des Religionswissenschaftlers Martin Buber. Diese fußen auf chassidischen Erzählungen aus dem 19. Jahrhundert, die nicht nur Wundersames wiedergeben, sondern Grundzüge jüdischer Ethik und Religion veranschaulichen.
Engel sind "in". Gerade ist eine Biographie von Robbie Williams erschienen, Titel: "Dämonen und Engel". Aber Martin Buber sollte man nicht verwechseln mit all dem Engelskitsch und Engelstrash, der uns überflutet, vorzüglich zur Weihnachtszeit. Buber ist einer der großen jüdischen Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts, vielleicht der bedeutendste im deutschsprachigen Raum.

Die erste der Erzählungen handelt von einem Engel, der sieht vom Himmel aus das Leid der Welt: Krankheit, Tod und Teufel, Kriege, Katastrophen. Der Engel nimmt seinen Mut zusammen und eilt zu seinem Herrn, zu Gott, und bittet ihn, er möge all das unerträgliche Leid doch von der Erde nehmen.

Und Gott? Gott lächelt. Milde und traurig, dem Engel scheint, als leide Gott selbst am Elend der Welt. Aber der Schöpfer erklärt sich ihm nicht, sondern macht dem Engel einen Vorschlag: "Du darfst ein Jahr lang meine Stelle einnehmen und das Leben dort unten gestalten nach Deinem Geschmack."

Fortan gibt es auf der Erde weder Alter noch Tod, weder Schmerz noch Enttäuschung, auch keine Arbeit, keine Mühe - überall nur Muße, Glück und Sommer-Sonnenschein. Aber irgendwann wird es Herbst, und die Menschen stellen fest: Sie haben nicht vorgesorgt für den Winter. Das Schlimmste: Sie haben alles verlernt, was sie einmal gekonnt haben. Nicht mal mehr Brot können sie backen: Sie nehmen das Brot aus dem Ofen und es ist Asche.

Da hebt ein Wehgeschrei gen Himmel an und "Der Engel kehrt bestürzt zurück zu seinem Meister: 'Herr', schreit er, 'lass mich verstehen, wo der Mangel lag!'. Da erhob Gott seine Stimme und sprach: 'Es ist ein Ding bei mir, und bei mir allein seit Anbeginn, zu schwer und zu grausam für deine sanften Geberhände, mein freundlicher Gesell, das heißt, Erde mit Fäulnis nähren und mit Schatten decken, dass sie aus dem Samen gebäre, das heißt: die Seelen mit Schmerzen fruchtbar machen, dass ein Werk aus ihnen erstehe'."

Das ist ein ur-jüdischer Gedanke, den Martin Buber uns hier übermittelt: Darben, Leiden, Enttäuschungen haben einen Grund und einen tiefen Sinn - und sei es nur der Sinn, eine Erkenntnis gewonnen zu haben. Die kann natürlich bitter sein, aber manchmal (und auch dieser Gedanke ist jüdisch), manchmal ist Bitternis das Kostbarste überhaupt.

Bubers Texte sind von einer dunklen, fremdartigen Schönheit. Und von einem großartigen Reichtum an Metaphern, die haben wir so noch nie gehört. Der Autor schöpft aus dem Sprachschatz des osteuropäischen Judentums, einer Welt, die der Nationalsozialismus zum Verschwinden gebracht hat. Diese Welt war Martin Bubers Heimat.

Buber wurde 1878 in Wien geboren, ist aufgewachsen in Lemberg/Ukraine, damals K.u.K Monarchie. Er war Professor für jüdische Religion und Ethik an der Universität Frankfurt am Main, wurde von den Nazis aus dem Amt geworfen, entkam glücklich nach Israel und hat nach dem Krieg bis zu seinem Tod 1965 alles getan, um zwischen dem orthodoxen Judentum und dem westlich-aufgeklärten Denken zu vermitteln. Dafür hat er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen und den Frankfurter Goethepreis.

Bubers Geschichten spielen in der Lebenswelt der Juden in Polen, in der Ukraine und in Weißrussland. Sie sind um 1900 geschrieben. Damals hat Buber gerade an seinen berühmten Büchern über den Chassidismus gearbeitet. Die Erzählungen sind das poetische Nebenprodukt seiner Forschung.

Der Chassidismus, für den sich Buber interessierte, war eine Bewegung der religiösen Erweckung unter den Juden Osteuropas, entstanden Anfang des 18. Jahrhunderts. Da waren die Schrecken der großen Judenpogrome verflogen (im 17. Jahrhundert sind tausende Juden von Kosaken ermordet worden), und die "Chassidim" (das Wort ist hebräisch und bedeutet "die Frommen" ) sammelten sich mit neuem religiösen Enthusiasmus um ihre Rabbiner.

Unter den chassidischen Rabbinern gab es großartige Erzähler, die haben die religiösen Lehren für ihre Gemeinden in Gleichnisse und Geschichten verpackt. Solche chassidischen Geschichten hat Martin Buber gesammelt, aufgeschrieben, nachgedichtet, auch verändert nach seinem intellektuellen Geschmack. Fünf davon finden wir im vorliegenden Buch.

Es gibt auch Bilder in diesem Band. Der Insel-Verlag hatte einen Wettbewerb unter Kunststudenten ausgeschrieben, den Text zu illustrieren. Am Ende haben zwei Entwürfe gleichermaßen gut gefallen, darum ist das Buch in zwei verschiedenen Ausgaben gedruckt worden: die eine illustriert von Renate Gail, sie hat Bilder gemalt in Acrylfarben, die andere von Mandy Schlundt, da wurden Fotofolien mit einer speziellen Schabetechnik bearbeitet. In beiden Fällen sind Illustrationen in Schwarz-Weiß entstanden. Die einen muten archaisch an, die anderen eher modern. Welche der beiden Ausgaben man wählt, ist eine Sache des Geschmacks, das muss man sich ansehen. Schön, dass der Verlag die Entscheidung seinem Leser überlässt.

Rezensiert von Susanne Mack

Martin Buber: Erzählungen von Engeln, Geistern und Dämonen
Insel-Verlag 2006
illustriert von Regina Gail
Insel Bücherei 1280

Oder:
illustriert von Mandy Schlundt
Insel Bücherei 1281

beide Bücher: 93 Seiten, Euro 11,80