Wundermais: Mit Blindheit geschlagen

10.05.2009
Ein neuer Wundermais soll Leben retten und so ganz nebenbei auch noch das schlechte Image der Gentechnik aufbessern. Schon vor einigen Jahren ging ein "Goldener Reis" durch die Medien. Seinen Namen verdankte er der gelben Farbe durch seinen erhöhten Gehalt an ß-Carotin. Nun ist der Mais dran: Eine Züchtung spanischer und deutscher Gentechnologen enthält sogar 169 mal mehr ß-Carotin als bisher. Dazu kommt ein Vielfaches an Vitamin C und Folsäure. Die Forscher betonen, dass es aussichtslos gewesen wäre, diesen Multivitaminmais mit traditioneller Züchtung zu erreichen.
Davon sollen nun - so die Forscher - Milliarden von Menschen profitieren. Leiden die alle unter Vitaminmangel? Sicher nicht. Beim Carotin geht es vor allem um Kinder in der Dritten Welt, die an Nachtblindheit bzw. Xerophthalmie, also Austrocknung der Bindehaut erkranken. Dies wird auf einen Mangel an Vitamin A zurückgeführt. Da Carotin im Körper in Vitamin A umgewandelt wird, sollen nun Reis und Mais das Augenlicht erhalten.

Und wirkt es? Eher weniger. Nicht weil es Gentechnik ist, sondern weil die Nachtblindheit in der Dritten Welt in vielen Fällen herzlich wenig mit dem ß-Carotin in Reis oder Mais zu tun hat. Als man die Vitamin A-Spiegel im Blut verglich fanden sich keinerlei Unterschiede zwischen "gesund" und "nachtblind". Stattdessen korrelierte die Nachtblindheit auffallend häufig mit Infektionskrankheiten, vor allem mit Durchfall, Atemwegsinfekten und Masern. Die Menschen in den betroffenen Regionen sehen das genauso. Sie halten starkes Fieber bei Kleinkindern für die Ursache. Statt Vitaminen wäre also ein Stück Seife zum Händewaschen hilfreicher. Das beugt Infekten vor, und rettet unendlich viel mehr Leben als es Vitamintabletten jemals könnten. Aber das kostet ja nix ...

Das stellt einiges auf den Kopf! Es gibt eine ganze Reihe von Untersuchungen, die die Vitamin-A-Story in ihre Lehrbuchschranken weisen. So lesen wir in einer Publikaton der Johns Hopkins Universität in Baltimore: "Masernblindheit ist die einzige Hauptursache für Blindheit unter Kindern in Ländern mit niedrigem Einkommen." Soweit das Zitat. Egal wie man es dreht und wendet, der Goldene Reis, der Wundermais sind europäische Schnapsideen der Gentechnologen, die als Werbegag für die hiesige Bevölkerung gedacht sind.

Aber mehr ß-Carotin im Essen ist doch unabhängig davon eine feine Sache? Eine hohe Zufuhr ist unerwünscht, nachdem Studien mit zigtausenden von Teilnehmern eine geringere Lebenserwartung, dank einer Zunahme von Krebs und Herzinfarkt, gefunden hatten. Das führte unter anderem dazu, daß unlängst sogar das Färben von Medikamenten mit ß-Carotin eingeschränkt wurde! Ich halte den Stoff in niedriger Dosis als Farbstoff für harmlos, aber es ist beunruhigend, wenn der Gehalt im Mais um das 100- oder das 160-fache erhöht wird, nach dem Motto "viel hilft viel".

Aber Mais und polierter Reis sind doch arm an ß-Carotin? Mais enthält von Natur aus Carotin, wie man schon an seiner Farbe sieht. Beim Reis ist das etwas anders, er ist praktisch frei davon. Aber das ist gar nicht von Belang. Schließlich wird der Reis in den Tropen scharf und stark gewürzt; vorzugsweise mit Chillies. Und diese Gewürze sind eh‘ voller ß-Carotin. Ein Wunderreis oder Wundermais, der das enthält, was im fertigen Gericht sowieso drin ist, zeigt, dass der Weg vom Genie zum Esel kurz ist.

Und was ist mit dem Vitamin C und der Folsäure? Mais enthält stets auch ein klein wenig Vitamin C. Der Reis, da haben Sie recht – egal ob poliert oder "Vollkorn" - ist praktisch frei davon. Dennoch wird weder bei reinen Reisessern noch reinen Maisessern Vitamin-C-Mangel beobachtet. Das zeigt, daß die Vitamine aus werblichen Gründen maßlos überschätzt werden. Kritisch ist die Folsäure. Deren Gehalte wurden im Wundermais verdoppelt. Folsäure ist für bestimmte Krankheitserreger und Parasiten wichtiger als für den Menschen. Vor allem der Erreger der Malaria profitiert davon. Deshalb würde ich mir wünschen, daß dieser Reis gerade nicht in der Dritten Welt zum Anbau kommt.


Literatur:
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Pollmer U, Warmuth S: Pillen, Pulver, Powerstoffe. Eichborn, Frankfurt/M 2008
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