Wunderbarer Freund, großer Humorist

07.07.2010
Der Schriftsteller Ulrich Enzensberger hat im Deutschlandradio Kultur den Tod des Kommune-I-Mitbegründers Fritz Teufel bedauert. "Er war lustig, aber sein Humor war ja immer sehr fein."
Frank Meyer: "Wenn's der Wahrheitsfindung dient ..." - das ist einer der berühmtesten Kommentare von Fritz Teufel, der geht zurück auf einen Prozess, in dem Fritz Teufel immer wieder ermahnt wurde, nur Aussagen eben zur Wahrheitsfindung zu machen; und als er dann auch noch mehrfach aufgefordert wurde, aufzustehen, da ist er schließlich aufgestanden und hat dazu ganz trocken gesagt: "Wenn's der Wahrheitsfindung dient ...". Am Dienstag ist Fritz Teufel im Alter von 67 Jahren gestorben, und am Telefon ist jetzt der Schriftsteller Ulrich Enzensberger, der, wie Fritz Teufel, in der Kommune I gelebt hat. Seien Sie herzlich Willkommen, Herr Enzensberger!

Ulrich Enzensberger: Ja, guten Tag!

Meyer: Wann haben Sie denn, Herr Enzensberger, zuletzt mit Fritz Teufel gesprochen oder ihn zuletzt gesehen?

Enzensberger: Ich habe ihn eigentlich gestern ... ja, ich habe ihn gestern Morgen zum letzten Mal gesehen.

Meyer: Das heißt, kurz vor seinem Tod? Er ist ja gestern gestorben.

Enzensberger: Ja, er ist gestern gestorben. Ja, wir haben da einen wunderbaren Freund und Deutschland, würde ich mal sagen, einen seiner größten Humoristen verloren.

Meyer: Haben Sie ihn, als Sie ihn kennengelernt haben, haben Sie ihn schon als Humoristen kennengelernt? Ist er damals als ständiger Clown herumgelaufen? Wie war er?

Enzensberger: Er war lustig, aber sein Humor war ja immer sehr fein. Es ist ja nicht so wie "Spiegel Online" schreibt, dass das rotzig war, wie er das gesagt hat, "Wenn es der Wahrheitsfindung dient ..."; er war ja ein sehr, sehr sensibler, hat ja auch seine Mutter auch immer betont, die ja fest zu ihm stand, ein sensibler Humorist, ein ganz feinfühliger Junge. Und als Student - alle kannten ihn als jemand, der sonderbare Witze machte und dabei oft auch rot wurde.

Meyer: Er hat auch über sich selbst gesagt, er wollte eigentlich als Humorist sein, als Humorist leben. Wenn Sie ihn so beschreiben, ist ihm das gelungen.

Enzensberger: Ja, unbedingt. Es war natürlich ... deswegen würde ich mal jetzt einfach so sagen, dass er ein großer Humorist war, unabhängig von der Wirkung, weil er ja diese, kennen Sie ja, diese alte Definition, Humor ist, wenn man trotzdem lacht, also - dieses "trotzdem", das hat er ja in einer Weise gesteigert, wie es eigentlich im deutschen Humor noch nicht da war, auch in seinem persönlichen Leben, weil seine größten Späße hat er ja aus finstersten Situationen heraus irgendwie formuliert und in Szene gesetzt, um es mal so zu sagen.

Meyer: Lassen Sie uns das mal an einem Beispiel anschauen. Berühmt wurde ja Fritz Teufels Puddingattentat auf den damaligen US-Vizepräsidenten Humphrey, da wurden Fritz Teufel und andere beobachtet, wie sie Tüten auf diesen Vizepräsidenten geworfen haben. Teufel wurde als Attentäter verhaftet und dann stellte sich heraus, das waren Pudding- oder Mehlbomben eben, diese Tüten. Wie ist denn diese Idee zu diesem Puddingattentat entstanden?

Enzensberger: Na, sagen wir mal so, es war ja ... heute ist zwar irgendwie die Mehrheit der Deutschen gegen die Beteiligung am Krieg in Afghanistan, aber es rührt sich ja nichts und ein bisschen war es damals auch so. Was sich gerührt hat, war moralischer Protest, aber ... Mördergeschrei, Völkermord, Kriegsverbrechen, hieß es - hat ja alles gestimmt. Aber sich selbst einzubringen mit einem kleinen Vergehen gegen die Gesetze, die Autoritäten, das nicht hinzunehmen als Sachzwang, als letzte Möglichkeit, sondern das zu hinterfragen; die Leute, die immer sagen, das muss so sein, es geht nicht anders, ein bisschen in Frage zu stellen, indem man sie ein bisschen ... zeigt, dass man selbst nicht der Sprengstoffverbrecher ist, als der man verhaftet wird dann - das war so die Idee, die da dahintersteckte. Wir kochten ja Pudding und mischten Rauchbomben und ... statt mit der Maschinenpistole den Konvoi des US-Vizepräsidenten zu überfallen oder davon zu reden, sondern auch hier eine Aktion, die eigentlich etwas poussiert war, die ziemlich genau berechnet war und die ja auch voll aufgegangen ist. Es hat doch den Protest, diese humoristische Aktion hat doch den Protest besser und wirkungsvoller formuliert, als es jede moralische Flugblatt oder jedes Geschrei oder Getrommel irgendwie hätte machen können.

Meyer: Und hat das Fritz Teufel konzeptionell gedacht, also stand die Idee tatsächlich dahinter, wir können diesen Staat, das System, wie man ja gerne sagte, effektiver vorführen mit solchen humoristischen Mitteln oder entsprach das auch einfach seinem Charakter, weil wir ja auch gerade von dem Humoristen Fritz Teufel gesprochen haben?

Enzensberger: Es entsprach bestimmt auch seinem Charakter, also, die Aktionen. Ich würde sagen, es war ganz ... es war er, ja, wie er nun mal war. Ihm hat diese Sache sehr entsprochen. Aber es war ja eine Gruppenaktion und zu seiner wirklichen Größe hat er ja durch seine Festnahme oder Verhaftung am 2. Juni dann gefunden, weil da war er nun wirklich als Person ... hatte er, musste er alles aufs Spiel setzen. Und aus dieser Situation heraus hat er dieses "trotzdem", hat er seine besten und tollsten Auftritte dann irgendwie entwickelt.

Meyer: Am 2. Juni 1967 ist er verhaftet worden und es heißt, dass Fritz Teufel sich später, in den 70er-Jahren, dem Konzept des bewaffneten Kampfes mehr angenähert hat, also Stadtguerilla, statt Spaßguerilla. Was hat denn zu dieser Veränderung bei ihm geführt?

Enzensberger: Es war ja doch seine Lebensleistung oder, würde ich mal sagen, ... war doch die Auseinandersetzung, die Kritik an der deutschen Justiz. Und auch hier war ja die Situation die: Die deutsche Justiz bestand ja zum allergrößten Teil aus Richtern, die unter dem Nationalsozialismus schon Recht gesprochen hatten, die in der NSDAP gewesen waren, die nationalsozialistisches Recht verkündet hatten, die Parteibuchinhaber waren, gerade die höheren Richter, weil die waren ja alle übernommen worden. Es war ja nie ein nationalsozialistischer Richter vor Gericht gestellt worden seinerseits, das heißt, das waren die Richter, die dann auch Fritz Teufel vorfand, die wir oder die die APO vorfand, die Richter, die eben in der Bundesrepublik Recht gesprochen haben.

Meyer: Und da hat er gedacht, Spaßguerilla reicht jetzt nicht mehr?

Enzensberger: Und da hätte nun auch, lassen Sie mich das mal so sagen, hätten wir ja auch moralisch oder, ja, das sind alles Verbrecher und die gehören weg - nein, was hat Fritz Teufel gemacht? In einem Prozess zum Beispiel hat er dann dem vorsitzenden Richter "Mein Kampf" überreicht feierlich, oder er hat eben dieses geflügelte Wort mit dieser Wahrheitsfindung geprägt, das ist ja ein geflügeltes Wort und deswegen noch mal, also ... es war schon ein größerer Humorist, den wir da verloren haben, weil nicht jeder ... nicht jeder erfindet ein geflügeltes Wort, das ist was Selteneres, und das ist doch eines, das, wenn man das hinterfragt so, wenn man es benutzt - sicher wird der Hintergrund nicht so deutlich, aber der Hintergrund war der, dass Fritz Teufel fest verhaftet worden war am 2. Juni unter der - er wurde ja freigesprochen, also, er hatte den Stein nicht geworfen -, dass aber der Polizist, der Kriminalkommissar Kurras, der den Ohnesorg, den Studenten Ohnesorg erschossen hat, nicht in U-Haft und auch nicht in U-Haft genommen worden war. Also, die Situation war finster, das meine ich nur, und ... Aber aus dieser Zelle heraus, aus dieser eigentlich exponierten und bitterernsten Situation eigentlich auch heraus, da hat Fritz dann gesagt: Still schäme ich mich in meiner Zelle, Fritz Teufel - Ausgeburt der Hölle. Also, er hat aus dieser ... hat ... das ist trotzdem in seinem Humor, das war schon sehr bezeichnend, das war was ganz, ganz Außergewöhnliches. Und auch der persönliche Mut, mit dem er sich in solche ... in dem er diesen, wie er diesen Humor inszenierte, weil dazu gehörte schon mehr, also - er war zwar auch ein Sprachkünstler, aber die Situation zu schaffen, in der so was dann wirkt.

Meyer: Herr Enzensberger, es gibt auch eine ganz unglaubliche Geschichte in Bezug auf eine Verhaftung von Fritz Teufel: Er wurde angeklagt im Oktober 1980, an der Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz beteiligt gewesen zu sein als führendes Mitglied der Bewegung 2. Juni, und Fritz Teufel hat fünf Jahre in Untersuchungshaft gesessen bei der Vorbereitung dieses Prozesses, und erst nachdem Verteidigung und Staatsanwalt ihre Plädoyers gehalten hatten, da hat Fritz Teufel ein Alibi vorgelegt, das bewiesen hat: Er war nicht beteiligt an dieser Entführung. Aber davor hat er eben fünf Jahre in Haft gesessen und auf diesen Moment, auf diesen einen Moment gewartet - was ja verrückt klingt für uns heute. Warum hat er das gemacht?

Enzensberger: Zum einen war das, glaube ich, sehr realistisch, weil er hätte bestimmt ... man wollte ihn verurteilen, er war nun mal der Erzfeind der deutschen Justiz geworden, er hatte sich ... man hätte ihn, da er ja nun doch mit einer abgesägten Schrotflinte verhaftet worden war und auch auf der ... gesucht wurde, hätte man ja ihn in jedem Fall für irgendetwas verantwortlich gemacht in irgendeiner Form irgendeiner Sache angeklagt. Und so hat er darauf gewartet, was man ihm nun eigentlich konkret vorwirft und hat diese fünf Jahre U-Haft durchgehalten und hat darauf gewartet, bis dann der Staatsanwalt auf 15 Jahre Gefängnis plädierte mit der Anklage, er sei beteiligt gewesen an einer Entführung, der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz in Westberlin. Und ja, und er hat, bis dies Plädoyer gehalten war ... und dann hatte er eben ein nicht zu widerlegendes Alibi, er hatte zur Tatzeit in einer Essener Kunststofffirma Klodeckel gepresst. Also, die Idee auch dahinter - man muss das auch bewundern, eine fünf Jahre dauernde Auseinandersetzung, ein Stück, das geschrieben wird, ... Er hat ja, während er ... Er war in Isolierhaft, es war also in der Zeit von Stammheim, man hat Kälberstrick ihm auf die Zelle geschickt, es waren schwere fünf Jahre, aber er hat eben diesen Mut nicht verloren.

Meyer: Er hat durchgehalten.

Enzensberger: Er hat vor der Enthüllung einen Kopfstand im Gericht gemacht, und er hat auf eine gewisse Weise eben die deutsche Justiz überführt.

Meyer: Überführt, der Autor, der Fritz Teufel - gestern ist er gestorben im Alter von 67 Jahren, und darüber habe ich gesprochen mit dem Schriftsteller Ulrich Enzensberger. Gemeinsam mit Fritz Teufel hat er in der Kommune I gelebt. Herr Enzensberger, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Enzensberger: Bitte!