Wunderbar britische Kriminal-Groteske
Al Greenwood, örtlicher Taxiunternehmer in einer idyllischen Kleinstadt an der englischen Kanalküste, versucht, seine Frau von den Klippen zu stürzen. Doch als er nach Hause kehrt, sitzt sie unversehrt da. Wie sich das Rätsel löst und wie viel skurriles Personal die Kleinstadt bereithält, erzählt Tim Binding hinreißend komisch in seinem neuen Roman "Cliffhanger".
Tim Bindings letzter Roman "Henry - Seefahrer", 2005 in Deutschland erschienen, wurde von der Kritik als Meisterstück gefeiert und mit James Joyce' Ulysses und John Updikes Beschreibungen der Mittelstandswelt verglichen.
Der britische Schriftsteller Tim Binding wurde 1947 als Sohn eines Besatzungsoffiziers in Deutschland geboren, arbeitete lange als Lektor für große Verlage und entschied sich erst mit Ende 40, selbst Autor zu werden, zunächst halbtags, seit einigen Jahren aber hauptberuflich, weil erfolgreich. Jetzt ist sein sechster Roman erschienen: "Cliffhanger".
Anders als in seinen anderen Romanen, die gerne historische Ereignisse zum Thema hatten, zwei Mal den 2. Weltkrieg, in "Henry - Seefahrer" den Falklandkrieg, siedelt Binding sein neues Buch im heutigen England an, in einer verschlafenen, idyllischen Kleinstadt am Meer, die im landschaftlich reizvollen Süden an der Kanalküste liegt, eine spektakuläre Landschaft, die berühmt ist wegen ihrer Steilküste und ihrer schroffen Klippen.
Und auf denen werden wir gleich zu Beginn des Romans Zeuge eines Mordes, wie es scheint. Der örtliche Taxiunternehmer Al Greenwood will seine Frau Audrey umbringen und sie von einer Klippe stürzen; sie ist ihm zu dick, zu doof, zu alt, und der Sex mit ihr funktioniert nicht mehr richtig. An einem sehr stürmischen Tag also lauert Al seiner Frau auf, -ein Stoß, alles scheint glatt gegangen zu sein. Aber als Al nach Hause kommt, sitzt seine Frau Audrey mit einer Flasche Champagner vor dem Kamin.
Wer sich von dem Titel "Cliffhanger" einen detektivischen Tipp erwartet, dessen Geduld wird auf die Probe gestellt. Im Englischen hat das Wort "Cliffhanger" zwei Bedeutungen: einmal die, dass tatsächlich jemand an einem Kliff, einer Klippe hängt, -aber "Cliffhanger" ist im Englischen auch ein Fachausdruck für eine spannende Fortsetzungsgeschichte.
Letzteres ist der Roman auf jeden Fall. "Cliffhanger" ist ein sehr spannendes Buch mit Thriller-Verve und starkem Sog, gleichzeitig aber auch eine wunderbar britische Kriminal-Groteske.
Jene idyllische englische Kleinstadt, in der sich auch Miss Marple zu Hause fühlen würde, ist "genau richtig für ein bisschen Chaos", wie Binding schreibt. Bisweilen gibt es Slapstick-Momente, da explodiert schon mal aus Versehen ein Haus. Da gibt es einen Zahnarzt, der eine Schrotflinte unter dem Behandlungsstuhl hat. Oder ein 65-jähriges Ex-Groupie von Mick Jagger, Alice, die ständig kifft, damit aber nicht die einzige im Ort ist. Im Buch heißt auch, dass der Treibstoff der englischen Panzertruppen im Irak nicht Diesel, sondern Marihuana ist.
Die Männer der Gegend verbringen ihre Freizeit mit ihrer Koi-Karpfenzucht:
"Als erstes erfuhr ich, dass Koi-Karpfen äußerst stressanfällig sind. Was eigentlich einleuchtet. Bei den meisten schönen Dingen ist das so. Filmschauspielerinnen, Models, oder bei der Eichel von meinem Penis."
Die Frauen sind dem Fitness-Wahn verfallen oder unternehmen touristische Busreisen nach Frankreich und pflastern ihre Wohnungen zum Beispiel mit Jesuskissen aus Lourdes.
Im Zentrum dieses Kosmos steht der Ich-Erzähler, jener tragikomische Held, der im ersten Kapitel seine Frau von der Klippe stoßen will, aber feststellen muss, dass er eine andere umgebracht hat. Wir erleben die Innensicht dieses gutbürgerlichen Mörders, eine Mischung aus Dieter Bohlen und Mr. Bean, irgendwo auch mit liebenswerten Zügen.
Tim Bindings Umgang mit Sprache ist souverän:
"Ich war wieder zuhause, ruhig, als schwebte ich in Öl."
Oder fast surreal:
"Ein Hausflur auf dem Weg ins Nirgendwo."
Binding ist ein Meister der Psychologie der Figuren, ihrer Beobachtung und Beschreibung. "Cliffhanger" ist ein filigran ausbalanciertes Mobile, eine atemberaubende, skurrile Tragikomödie mit Tiefgang und auch Sinnlichkeit: Ihr Duft, "eher wie Brot als von einem Parfüm, weich und weiß und tröstlich, wie die Wärme von aufgehendem Teig."
Rezensiert von Lutz Bunk
Tim Binding: Cliffhanger
Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
marebuchverlag 2008
350 Seiten, 19.90 Euro
Der britische Schriftsteller Tim Binding wurde 1947 als Sohn eines Besatzungsoffiziers in Deutschland geboren, arbeitete lange als Lektor für große Verlage und entschied sich erst mit Ende 40, selbst Autor zu werden, zunächst halbtags, seit einigen Jahren aber hauptberuflich, weil erfolgreich. Jetzt ist sein sechster Roman erschienen: "Cliffhanger".
Anders als in seinen anderen Romanen, die gerne historische Ereignisse zum Thema hatten, zwei Mal den 2. Weltkrieg, in "Henry - Seefahrer" den Falklandkrieg, siedelt Binding sein neues Buch im heutigen England an, in einer verschlafenen, idyllischen Kleinstadt am Meer, die im landschaftlich reizvollen Süden an der Kanalküste liegt, eine spektakuläre Landschaft, die berühmt ist wegen ihrer Steilküste und ihrer schroffen Klippen.
Und auf denen werden wir gleich zu Beginn des Romans Zeuge eines Mordes, wie es scheint. Der örtliche Taxiunternehmer Al Greenwood will seine Frau Audrey umbringen und sie von einer Klippe stürzen; sie ist ihm zu dick, zu doof, zu alt, und der Sex mit ihr funktioniert nicht mehr richtig. An einem sehr stürmischen Tag also lauert Al seiner Frau auf, -ein Stoß, alles scheint glatt gegangen zu sein. Aber als Al nach Hause kommt, sitzt seine Frau Audrey mit einer Flasche Champagner vor dem Kamin.
Wer sich von dem Titel "Cliffhanger" einen detektivischen Tipp erwartet, dessen Geduld wird auf die Probe gestellt. Im Englischen hat das Wort "Cliffhanger" zwei Bedeutungen: einmal die, dass tatsächlich jemand an einem Kliff, einer Klippe hängt, -aber "Cliffhanger" ist im Englischen auch ein Fachausdruck für eine spannende Fortsetzungsgeschichte.
Letzteres ist der Roman auf jeden Fall. "Cliffhanger" ist ein sehr spannendes Buch mit Thriller-Verve und starkem Sog, gleichzeitig aber auch eine wunderbar britische Kriminal-Groteske.
Jene idyllische englische Kleinstadt, in der sich auch Miss Marple zu Hause fühlen würde, ist "genau richtig für ein bisschen Chaos", wie Binding schreibt. Bisweilen gibt es Slapstick-Momente, da explodiert schon mal aus Versehen ein Haus. Da gibt es einen Zahnarzt, der eine Schrotflinte unter dem Behandlungsstuhl hat. Oder ein 65-jähriges Ex-Groupie von Mick Jagger, Alice, die ständig kifft, damit aber nicht die einzige im Ort ist. Im Buch heißt auch, dass der Treibstoff der englischen Panzertruppen im Irak nicht Diesel, sondern Marihuana ist.
Die Männer der Gegend verbringen ihre Freizeit mit ihrer Koi-Karpfenzucht:
"Als erstes erfuhr ich, dass Koi-Karpfen äußerst stressanfällig sind. Was eigentlich einleuchtet. Bei den meisten schönen Dingen ist das so. Filmschauspielerinnen, Models, oder bei der Eichel von meinem Penis."
Die Frauen sind dem Fitness-Wahn verfallen oder unternehmen touristische Busreisen nach Frankreich und pflastern ihre Wohnungen zum Beispiel mit Jesuskissen aus Lourdes.
Im Zentrum dieses Kosmos steht der Ich-Erzähler, jener tragikomische Held, der im ersten Kapitel seine Frau von der Klippe stoßen will, aber feststellen muss, dass er eine andere umgebracht hat. Wir erleben die Innensicht dieses gutbürgerlichen Mörders, eine Mischung aus Dieter Bohlen und Mr. Bean, irgendwo auch mit liebenswerten Zügen.
Tim Bindings Umgang mit Sprache ist souverän:
"Ich war wieder zuhause, ruhig, als schwebte ich in Öl."
Oder fast surreal:
"Ein Hausflur auf dem Weg ins Nirgendwo."
Binding ist ein Meister der Psychologie der Figuren, ihrer Beobachtung und Beschreibung. "Cliffhanger" ist ein filigran ausbalanciertes Mobile, eine atemberaubende, skurrile Tragikomödie mit Tiefgang und auch Sinnlichkeit: Ihr Duft, "eher wie Brot als von einem Parfüm, weich und weiß und tröstlich, wie die Wärme von aufgehendem Teig."
Rezensiert von Lutz Bunk
Tim Binding: Cliffhanger
Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
marebuchverlag 2008
350 Seiten, 19.90 Euro