Wulff mit Ach und Krach gewählt

Von Sabine Adler, Hauptstadtstudio · 01.07.2010
Dass es Christian Wulff erst im dritten Durchlauf schaffte, war nicht nur aufregend, sondern auch erhellend. Endlich wurde messbar, wie sehr es in der Union grummelt. Angela Merkel hat die Langmut ihrer Parteifreunde zumindest nach außen überschätzt.
Am gestrigen Tag sollte ein Aufbruchsignal ertönen, sollte quasi Anpfiff für ein Spiel sein, das zwar schon kurz begonnen hat, das wegen Platzregens aber nicht fortzusetzen war.

Bei dieser Regierungskoalition kann der Schiedsrichter noch so viel pfeifen, ob neues Spiel oder nicht, diese Mannschaft läuft grundsätzlich kreuz und quer, so dass niemand weiß, wer ihr angehört, obwohl doch alle die schwarz-gelben Trikots tragen.

Sich am Kapitän zu orientieren, ist schwer möglich, zu klein ist die Armbinde, kaum zu erkennen. Zwar beruft die Kanzlerin die Mitglieder ihres Teams, doch tanzen die aus der Reihe. Widerfährt einem im Team von außen Unrecht, schaut sie desinteressiert weg. Dass es Christian Wulff erst im dritten Durchlauf schaffte, war am Wahltag nicht nur aufregend, sondern auch erhellend. Endlich wurde messbar, wie sehr es in der Union grummelt.

Angela Merkel hat die Langmut ihrer Parteifreunde zumindest nach außen überschätzt. Dass freilich gleich ein ganzer Block, fast mit der Stärke einer kleinen Bundestagsfraktion, den eigenen Kandidaten durchfallen lässt, ist ein Paukenschlag. 44 Abgeordnete verweigerten dem niedersächsischen Ministerpräsidenten die Gefolgschaft.

Vielleicht taten dies ein paar aus ehrlicher Sympathie für den Oppositionskandidaten Joachim Gauck, der genau genommen der zweite konservative Bewerber war und wenig zu SPD und Grünen passte. Das wäre aus Sicht der Kanzlerin noch am unproblematischsten. Auch dass der eigentliche Unionskandidat nicht genehm sein sollte, dürfte kaum die wirkliche Ursache gewesen sein. Dazu ist Christian Wulff viel zu sehr wie viele in der Partei selbst. Wulff polarisiert nicht.

Deswegen werden es vielmehr eigene Rechnungen gewesen sein, die der eine oder andere mit der CDU- und Regierungschefin zu begleichen hatte.

Das könnte, beim Namen genannt, der hessische Noch-Ministerpräsident Roland Koch gewesen sein, dem sie einen Platz am Kabinettstich verweigerte. Selbst wenn ihr von außen wenig anzumerken ist, könnte auch Ursula von der Leyen innerlich noch kochen, weil ihr übel in der Kandidatenfindung des Köhler-Nachfolgers mitgespielt wurde. Zu lancieren, die Bundesarbeitsministerin sei die haushohe Favoritin und sich dann nicht schützend vor sie zu stellen – durfte Angela Merkel nicht unkommentiert lassen.

In Frage kommen neben den Kabinettsmitgliedern genauso Abgeordnete aus den Ländern, deren Kommunen demnächst die Zahlungsunfähigkeit droht, die keine neuen Schulden machen, sondern nur immer mehr Aufgaben erledigen dürfen. Kurzum: Auch wenn Angela Merkel, so sie zu derart emotionalen Ausbrüchen fähig sein sollte, am liebsten dem einen oder anderen vors Schienbein treten wollte: Sie wüsste nicht so recht wem.

Zu viele hätten ein Motiv. Dass die wiederum nicht aus der Deckung kommen, ist ein ganz eigenes Kapitel. Diesen Heckenschützen, die auf die eigenen Reihen zielen, ist nicht von heute auf morgen beizukommen, weil diese Duckmäuser, die nicht offen den Mund aufmachen, womöglich Karrieren anstreben, auch indem sie anderen schaden. Duckmäusertum und Feigheit passen nicht zu offenem, ehrlichem politischen Streit in einer Demokratie. Sie sind, ganz konsequent zu Ende gedacht, ihre Totengräber.

Wer glaubt, dass alle Disziplinierungsaufrufe am Tag nach der gestrigen Wahl nun aber Wirkung zeigen, sollte sich nicht zu viele Hoffnungen machen. Zu ähnlich klingen Sätze wie "Wir – die Koalitionsspitze – haben verstanden", "Das war ein Schuss vor den Bug" wie die, die nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen zu hören waren. Danach ging es weiter wie vor der Wahl: Mit gegenseitigem Beschimpfen und Streit.
Nein, dies wird kein Sommermärchen. Jedenfalls nicht für Deutschlands politische Führungsriege. Die Kanzlerin konnte wohl dafür sorgen, dass Christian Wulff gewählt wurde. Ob er nun auch ein guter Bundespräsident wird, oder – bildlich gesprochen – die Kanzlerin ihn im Schloss Bellevue verhungern lässt, liegt auch an ihr.

Sich mit der absoluten Mehrheit zu trösten, die Wulff im letzten Wahlgang bekam, ist wie eine Pille einzuwerfen, statt ein gebrochenes Bein zu gipsen. Der Ursache für die Schmerzen kommt man damit nicht auf die Spur, beseitigt werden sie genauso wenig.

Solidarität und Loyalität zwischen Geführten und Führung ist keine Einbahnstraße.