Wulff "hat keine Distanz gehalten zur Wirtschaft"

Heiner Geißler im Gespräch mit Nana Brink · 18.02.2012
Der CDU-Politiker Heiner Geißler hat nach dem Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff eine stärkere Distanz von Politikern zu Vertretern der Wirtschaft gefordert. Er würde es außerdem begrüßen, wenn auch die Partei Die Linke in die Suche nach einem Nachfolger einbezogen würde.
Nana Brink: Für die einen war er längst überfällig, und Bundeskanzlerin Merkel hingegen hielt bis zuletzt an ihm fest, wenn auch nicht besonders lautstark, aber letztlich war er doch unausweichlich, der Rücktritt von Christian Wulff. Und das politische Berlin ist natürlich schon längst mit der Nachfolge beschäftigt, und die wird nicht einfach – schließlich hat das Land in nur anderthalb Jahren zwei Bundespräsidenten verloren. Das hat wohl dazu geführt, dass die Kanzlerin die Suche nach einem neuen Kandidaten oder einer Kandidatin jetzt auch mit SPD und Grünen abstimmen will.

Am Telefon ist einer, der schon viele Bundespräsidenten in seiner politischen Karriere erlebt hat: Heiner Geißler, legendär als CDU-Generalsekretär in den 70er-/80er-Jahren, Gesundheitsminister unter Kohl und zuletzt Vermittler beim Konflikt um das Bahnprojekt Stuttgart 21. Einen schönen guten Morgen, Herr Geißler!

Heiner Geißler: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Bevor wir nach vorne blicken, noch mal ein Blick zurück: Was bleibt von dem Bundespräsidenten Christian Wulff?

Geißler: Na gut, er hat ja nicht so viel Zeit gehabt, und an politischen Aussagen bleibt ja in Erinnerung seine Aussage, dass alle dazugehören in diesem Land, auch diejenigen, die von außen gekommen sind, was ich auch für richtig halte. Wir haben ja am Reichstag im Grunde genommen eine wilhelminische Parole oben an der Fassade, "Dem deutschen Volke" – kommt drauf an, was man darunter versteht.

Wenn man da nur die Staatsbürger nimmt, dann wären natürlich eine ganze Reihe, Millionen von Menschen nicht dabei. Deswegen gibt es ja im Innenhof des Reichstages auch eine Stelle, die gewidmet ist der Bevölkerung, und ich finde, das bleibt von ihm wirklich in Erinnerung, dass er das also noch einmal in den Mittelpunkt gestellt hat.

Brink: Trotzdem bleibt natürlich auch zurück das monatelange Gezerre, bis es dann endlich zu seinem Rücktritt kam. Ist das Amt des Bundespräsidenten dadurch noch mehr beschädigt?

Geißler: Nein, das Amt als solches nicht, aber es gibt für alle Ämter immer wieder in der Geschichte eben auch die falsche Besetzung oder eine unzulängliche Besetzung. Und das wäre bei Christian Wulff von seiner Persönlichkeit her und seinem Wissen und seiner Erfahrung auch gar nicht entscheidend gewesen, da wäre er sicher ein guter Präsident gewesen, aber er hat keine Distanz gehalten zur Wirtschaft.

Brink: Sie sind ja nun bekannt geworden als Vermittler beim Konflikt um das Bahnprojekt Stuttgart 21, eine sehr heikle Angelegenheit – was raten Sie denn jetzt Frau Merkel bei der Kandidatenfindung?

Geißler: Ich glaube, ich rate nichts, sie hat genügend Berater um sich herum, also ich gebe jetzt keine Ratschläge über das Radio, auch nicht über Ihr schätzenswertes Radio.

Brink: Aber was soll sie tun, was soll sie jetzt tun?

Geißler: Ja gut, sie muss jetzt halt ... Ich meine, was man machen kann, man muss ein paar Kriterien aufstellen, und etwas ist ganz klar: Jeder, der in der Politik ist – und das gilt natürlich auch für den Bundespräsidenten –, muss an sich strengere Maßstäbe, höhere Maßstäbe anlegen lassen, als das für den normalen Bürger gilt. Es ist also eben nicht so, dass das jemand in der Politik machen kann, was er mag, auch das was andere Leute machen. Das habe ich selber auch schon oft erlebt, und es ist auch in Ordnung so.

Ein Politiker kann sich noch nicht mal richtig leisten, falsch zu parken – das ist vielleicht in Berlin möglich, weil da die Verwaltung gar nicht mehr mitkommt und auch keine Lust hat, irgendwelche Widersprüche zu behandeln –, aber normalerweise darf eben ein Politiker nun überhaupt noch nicht mal den Anschein erwecken, dass er das mit den Gesetzen oder eben mit ganz normalen Selbstverständlichkeiten, dass er das gar nicht ernst nimmt.

Brink: Aber bleiben wir noch mal bei der Kandidatensuche. Frau Merkel hat ja Signale ausgesendet, sie möchte mit SPD und Grünen, nicht mit den Linken zusammen eine Person finden. Ist das richtig? Und warum sind die Linken nicht daran beteiligt?

Geißler: Ja, das frag ich mich auch, das, glaube ich, wäre gar nicht schlecht, wenn die auch mit dabei wären, sonst haben wir ja hinterher immer die Debatte, dass man jemanden ausgeschlossen hat.

Aber es ist klar, nicht wahr, ein Politiker, aber vor allem der Bundespräsident, muss zwei Kriterien haben: Er muss unabhängig sein, unabhängig, und er muss auch selbstbewusst auftreten können. Und dieses Unabhängige, das bezieht sich sowohl der eigenen Partei gegenüber als auch auf die Wirtschaft. Das ist eine ungute Geschichte, wenn man keine Distanz einhält zu Vertretern der Wirtschaft. Natürlich sind die Vertreter der Wirtschaft wichtig, auch für die Politik, und da muss man die Kontakte haben, aber man muss einfach als Politiker Distanz halten zu allen, die Macht ausüben können, vor allem zu allen, die Geld haben.

Man muss im Übrigen auch geistig unabhängig sein. Man darf sich nicht von Wirtschaftsideologien bestimmen lassen, sondern muss versuchen, auch hier über das oder über dem zu stehen, was im Moment gerade wissenschaftliche Mode ist. Also dieser ganze Neoliberalismus, der die letzten Jahrzehnte bestimmt hat und der jetzt zu dieser ganzen Finanzkrise hat, davon waren auch viele Politiker ...

Brink: Aber glauben Sie, Pardon, dass die Bundeskanzlerin wirklich bereit ist, nach so einem Kandidaten oder einer Kandidatin zu suchen, sind Sie davon überzeugt?

Geißler: Ich bin fest davon überzeugt, dass sie auf jeden Fall den ernst gemeinten Versuch macht. Warum soll sie das nicht tun?

Brink: Na, das hätte man ja schon früher haben können. Das hätte man beim letzten Mal auch schon haben können.

Geißler: Na ja, gut, aber auf der anderen Seite ist es ja so, wenn eine Mehrheit da ist in einem parlamentarischen Gremium, dann muss man diesem Gremium ja auch nicht "par ordre du mufti" von oben bastamäßig vorschreiben, wen sie zu wählen haben. Also das ist jetzt, nachdem wir da zweimal mit dem Bundespräsidenten Pech gehabt haben, ist der Gedanke nicht schlecht, dass man es auf eine ganz breite Basis stellt, aber das ist ja nicht unbedingt notwendig. In einer Demokratie ist das Bilden von Mehrheiten eigentlich eher eine Selbstverständlichkeit.

Brink: Wer könnte denn Ihrer Meinung nach diese Forderungen erfüllen?

Geißler: Ja, ich nenne jetzt keine Namen, weil ich das wirklich als unangemessen empfinde, wenn ich jetzt über das Radio irgendwelche Namen nenne. Da müsste ich auch sonst für mich selektieren. Es muss jemand sein, der unabhängig ist, der natürlich geistig präsent ist, es muss auch jemand sein, der ein Herz hat für die kleinen Leute, für die Ärmeren. Wir haben zehn Millionen Menschen, die zum sogenannten Prekariat gehören, von denen redet niemand, aber die brauchen auch jemanden, von dem sie wissen, dass sie dem vertrauen können.

Natürlich wäre es auch nicht schlecht, wenn es eine Frau wäre. Das alles sind Gesichtspunkte, die jetzt eine Rolle spielen müssen. Und ich nehme schon an, dass von beiden Seiten, auch von der SPD und von den Grünen, das nicht ein parteitaktisches Spiel ist, sondern dass da ernst gemeinte Gespräche geführt werden.

Brink: Der CDU-Politiker Heiner Geißler. Schönen Dank, Herr Geißler, für das Gespräch!

Geißler: Bitte schön!

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