Wulff: Brasilien und Deutschland wollen enger zusammenarbeiten

Christian Wulff im Gespräch mit Ellen Häring · 07.05.2011
Bundespräsident Christian Wulff hat eine Woche lang Brasilien, Costa Rica und Mexico bereist. Themen seiner Reise waren die weltweite Energiepolitik, Bekämpfung der Kriminalität und die Ausrichtung der Vereinten Nationen.
Marietta Schwarz: Bundespräsident Christian Wulff hat seine einwöchige Reise durch Lateinamerika ein bisschen früher beendet als erwartet. Einen für heute geplanten Besuch des neuen ThyssenKrupp-Stahlwerks in Rio de Janeiro sagte er kurzfristig ab. Der deutsche Konzern plant weltweit umfangreiche Umstrukturierungen und Stellenabbau, wovon der Bundespräsident vorab nicht informiert war. Das ist vermutlich die einzige Negativnachricht dieser Reise nach Mexiko, Costa Rica und Brasilien. Die deutsche Delegation fährt mit Vereinbarungen zurück, enger zusammenzuarbeiten vor allen Dingen in Energiefragen und im Bildungsbereich.

Meine Kollegin Ellen Häring hat den Bundespräsident auf dieser Reise begleitet und hatte Gelegenheit zu einem Interview. Sie fragte ihn zunächst, ob er in Lateinamerika, das zuletzt ja nicht so sehr im Fokus der deutschen Politik stand, erst mal wieder verlorenes Terrain zurückholen musste.

Christian Wulff: Tatsächlich hat sich Deutschland sehr mit der Wiedervereinigung, der europäischen Einigung, Osterweiterung dann Richtung Russland, China orientiert, und gelegentlich wurde dabei Lateinamerika etwas aus dem Auge verloren. Jetzt aber ist von allen realisiert, was sich getan hat in den Schwellenländern, welch starke Volkswirtschaften das geworden sind, wie stark auch erfolgreich Armut in den Ländern bekämpft worden ist, wie weit eine Hightech-Landschaft entwickelt worden ist. Und jetzt allerdings sehe ich auch die deutsche Wirtschaft sehr stark vor Ort präsent.

Ellen Häring: Aber überall, wo Sie hingekommen sind, war vor Ihnen schon jemand aus China da.

Wulff: Wir befinden uns überall in der Welt in einem wachsenden Wettbewerb. Und da gilt: Konkurrenz belebt das Geschäft. Aber wir haben den Vorteil gemeinsamer Werte, wir sind Demokratien, wir haben die Offenheit der Gesellschaften für die Entwicklung neuer Ideen, auch für Querdenker, auch für andersartige Meinungen. Das ist eine gute Basis zwischen Brasilien und Deutschland beispielsweise, dass man eine Einwanderergeschichte hat, dass die Deutschen einen guten Ruf haben in Brasilien, die gekommen sind. Diesen Vorteil haben andere nicht.

Häring: Brasilien - Ihre letzte Station - erlebt gerade ja einen Wirtschaftsboom, wird 2014 die Fußball-WM ausrichten, 2016 die Olympischen Spiele, gigantische Infrastrukturprojekte sind geplant, unter anderem soll ein Hochgeschwindigkeitszug von Sao Paolo nach Rio fahren. Hat Deutschland da Chancen, haben deutsche Unternehmen Chancen, da mitzumachen?

Wulff: Die Präsidentin Brasiliens, Dilma Rousseff, hat ausdrücklich die deutsche Wirtschaft eingeladen, sich für die Infrastrukturprojekte zu bewerben. Sie ist offen für deutsche Unternehmungen. Aber mein Eindruck ist, dass die deutschen dazu geeigneten Unternehmen noch eine gewisse Zurückhaltung haben, sich in den Wettbewerb zu begeben, weil sie vielleicht auch andere Prioritäten setzen. Das wird man sehen müssen, im Nachgang meiner Reise gibt es jedenfalls einige Gespräche zu diesen Gesichtspunkten, ob nicht doch noch ein paar Angebote abgegeben werden können.

Häring: Wirtschaftsboom bedeutet immer auch vermehrter Energieverbrauch. Brasilien hat viele erneuerbare Quellen, die es in Anspruch nimmt, aber es will auch vier neue AKWs bauen bis 2030 und Deutschland hat die Hermesbürgschaft für eines davon übernommen. Haben Sie die deutsche Haltung, die neue deutsche Haltung zur Atomenergie vermitteln können?

Wulff: Ich habe es als meine Aufgabe angesehen, die Diskussion in Deutschland zu beschreiben, aber das Ergebnis ist doch klar: Dass Deutschland viel stärker in Nutzung von Wasserkraft, Sonnenenergie, Windenergie, Geothermie, Biomasse gehen wird, als das je beabsichtigt war, und dass man dort zu neuen Technologien kommen muss und dass man das auch gemeinsam betreiben kann, weil lateinamerikanische Länder große Erfolge mit regenerativen Energien haben. Sie haben natürlich auch gute Voraussetzungen, sehr viel Sonne, mehr als wir, sie haben Windverhältnisse zum Teil sehr günstig, und sie haben vor allem eben auch Wasserkraft als regenerative Form, die wir so nicht anwenden können. Aber man kann auch nicht sagen, dass in diesen Ländern eine ähnliche Debatte geführt wird wie bei uns, die Kernkraft hat nur einen sehr viel geringeren Anteil.

Häring: Wird denn diese Diskussion bei uns dann auch Auswirkung haben auf die Hermesbürgschaft?

Wulff: Das ist eine Frage, die zwischen den Regierungen und den anderen daran beteiligten Stellen zu erörtern ist, das ist keine Zuständigkeit des Bundespräsidenten. Ich habe die Lage geschildert und das ist sehr wohl verstanden worden. Man war sehr interessiert daran, wie Deutschland Konsequenzen aus Fukushima zieht, und wir haben das auch besprochen, dass es natürlich weltweite Aufsichtsbehörden braucht, weltweite Einflussnahmen, damit es weltweite Sicherheit geben kann, die höher ist als die heutige.

Häring: Alle drei Staaten, die Sie jetzt besucht haben, sind bedroht in unterschiedlichem Ausmaß von der organisierten Kriminalität, insbesondere dem Drogenhandel. Wie schätzen Sie diese Bedrohung ein?

Wulff: Die erhebliche Kriminalität in Lateinamerika im Bereich organisierter Kriminalität, Drogenanbau, Drogenvermarktung, Drogenkonsum, Beschaffungskriminalität ist sehr ernst zu nehmen. Und das haben wir in den Gesprächen auch sehr breit erörtert, das ist ein weltweites Thema. Die Nachfrage nach Drogen liegt gerade ja auch in den Industrieländern. Aber auch diese lateinamerikanischen Länder haben vermehrt Drogenkonsum im eigenen Land, von Drogen wie Crack, die wohl sehr kurzfristig dann abhängig machen, zur totalen Abhängigkeit führen, die aggressiv machen. Das wird ein echtes Problem, wenn die Welt nicht entschlossen gemeinsam diese Form von Kriminalität entschlossener bekämpft. Wir können helfen mit Justiz und Polizeierfahrung bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität, mit Rechtsstaatsbewusstsein in Polizei und Justiz, damit sich die Bürger frühzeitig an die wenden, ohne fürchten zu müssen, damit selber in ein Problem zu geraten. Also hier gibt es ganz viel zu tun und das betrifft alle Länder und das ist ein ernst zu nehmendes Thema, über das wir deswegen zu Recht auch breit gesprochen haben.

Häring: Wird denn die Hilfe, von der Sie sprechen, gerne angenommen?

Wulff: Ich bin sehr zuversichtlich, dass es zu dem seit einiger Zeit verhandelten Abkommen mit Mexiko zum Beispiel kommt, zur Hilfe in Justiz und Polizeibereich. Da haben auch die Gespräche die hohe Wertschätzung für deutsche Polizei und deutsche Justiz eine Rolle gespielt.

Häring: Ein Ziel der Reise war ja auch, Verbündete in Lateinamerika zu finden für eine Reform der Vereinten Nationen. Ist Ihnen das gelungen?

Wulff: Deutschland gilt hier als ein exzellenter Partner, weil wir frühzeitig thematisiert haben, dass die Gremien der Vereinten Nationen nicht mehr die heutige Weltlage abbilden. Damals war die Lage nach dem zweiten Weltkrieg eine andere, als der Sicherheitsrat gebildet wurde, als heute, wo Brasilien, Indonesien, Indien, Japan ein ganz anderes Gewicht haben, eine ganz andere Rolle spielen in der Welt. Und diese Länder müssen eine stärkere Berücksichtigung finden. Deutschland beispielsweise ist der drittgrößte Beitragszahler der Vereinten Nationen, der viertgrößte Zahler von Entwicklungshilfeleistungen, nimmt an vielen internationalen Operationen erfolgreich teil. Darüber muss nicht nur gesprochen werden - seit 15 Jahren macht man das -, sondern dazu muss endlich mal eine Reform vereinbart werden. Ansonsten werden die Vereinten Nationen keine so entscheidende Rolle mehr spielen können, dann werden sie abgelöst durch G20, durch die NATO. Aber ich halte es für eine Errungenschaft, dass in den Vereinten Nationen alle Staaten der Erde versammelt sind, aber das Gewicht der Staaten, die Möglichkeiten der Staaten müssen sich in den Gremien, in den Entscheidungsstrukturen noch abbilden.

Häring: Ist die Reform nur gut, wenn Deutschland auch einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat bekommt?

Wulff: Wenn nach dem Motto argumentiert würde, wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht, kommt nie eine Reform zustande. Man soll nicht Dinge formulieren, als nur dann sei die Reform gut, dann kommt sie nämlich nie. Aber dass Deutschland auch ein höheres Gewicht bekommen muss, das ist eine Position, die anerkannt wird auch von den Ländern, die ich besucht habe. Im Detail wird das mit den 200 verschiedenen Reformvorschlägen sicher nicht auf den Punkt zu bringen sein, aber ein Kompromiss muss her und eine Reform muss her und dafür setze ich mich ein, weil es um die Zukunft der Vereinten Nationen geht, und die sind mir sehr wichtig.

Moderatorin: Bundespräsident Wulff zum Abschluss seiner Lateinamerika-Reise im Gespräch mit meiner Kollegin Ellen Häring.