"Wüste Streikparolen"

Moderation: Jörg Degenhardt · 20.03.2006
Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Rudolf Kösters, hat das Vorgehen der Gewerkschaften ver.di und Marburger Bund im Ärztestreik scharf kritisiert. Im Deutschlandradio Kultur sprach Kösters von "wüsten Streikparolen" und "maßlosem Vorgehen". Wer die Leute so auf die Bäume hetze, müsse auch sehen, wie er da wieder herunter komme, sagte Kösters. Das gehe nur durch ernsthafte und gut vorbereitete Verhandlungen.
Degenhardt: Rudolf Kösters ist jetzt am Telefon, er ist der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft und er ist außerdem Vorsitzender des Vorstandes der Sankt-Franziskus-Stiftung in Münster. Guten Morgen Herr Kösters.

Kösters: Guten Morgen Herr Degenhardt.

Degenhardt: Wer in diesen Tagen in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel so krank wird, dass er in eine Klink muss, hat der schlechte Karten, weil sich vielleicht niemand um ihn kümmert?

Kösters: Ja, er hat zumindest schlechtere Karten also sonst. Nur absolute Notfälle werden offensichtlich regelhaft versorgt. Andere Fälle, die ich auch zu den dringenden Fällen zählen würde, denen kann es schon passieren, dass sie abgewiesen werden, wie mir das jetzt am Wochenende erst noch wieder bekannt geworden ist.

Degenhardt: Nun streikt ja kein Arzt ohne Grund. Ist dieser Arbeitskampf nicht ein Zeichen dafür, dass die Arbeitsbelastung der Mediziner ihre Grenze erreicht oder sogar überschritten hat?

Kösters: Ja, in der Tat, daran ist etwas Wahres. Die Arbeit hat sich in den Kliniken enorm intensiviert auf Grund der zurückgehenden Verweildauern und der größeren Anzahl von Patienten, die wir mittlerweile behandeln müssen. Das ist völlig richtig. Aber ich denke, es ist dennoch ein Übermaß, aus Gründen einer 30-prozentigen Gehaltserhebung, nun die Arbeit niederzulegen. Ich glaube, da sind noch nicht alle Mittel ausgelotet, dieses durch Verhandlungen hinzubekommen, eine ordentliche Verbesserung der Bedingungen zu erreichen.

Degenhardt: Das heißt, Sie können durchaus Wochenarbeitszeiten von 60 bis 80 Stunden für junge Ärzte bestätigen?

Kösters: Also die kann ich überhaupt nicht bestätigen. Das sind auch solche Argumente, die dazu dienen, den Arbeitskampf anzuheizen. Dieses hat es vielleicht in der weit zurückliegenden Vergangenheit einmal gegeben. Dieses gibt es heute so nicht. Wenn ich bei 80 Stunden natürlich die Erstellung meiner Doktorarbeit und meiner Habilitationsarbeit mit hinzuzähle, dann komme ich vielleicht auf eine solche Zahl, aber nicht regelhaft in der Patientenversorgung. Wenn ich dieses mixe mit Forschungsaufgaben, et cetera, et cetera, die dann aber letztlich auch zum privaten Wohl der Ärzte sind, dann mag dieses stimmen. Aber so einfach, wie dieses dargestellt wird, ist dieses sicherlich nicht.

Degenhardt: Woran liegt es denn, dass Deutschland für Ärzte immer unattraktiver wird?

Kösters: Ich glaube, dass ist eine sehr weit überspitzte Aussage. Die jungen Ärzte müssen sich fragen, ob die Arbeitsbedingungen tatsächlich wo anders so durchschlagend besser sind. Es gibt sicherlich Abwanderungen ins Ausland, aber es gibt auch wieder Rückwanderungen, weil die Arbeitsbedingungen dort eben auch nicht viel besser sind. Ich würde mich als junger Arzt immer fragen: Warum es gibt es ein solch großes ärztliches Defizit zum Beispiel in Norwegen oder in Schweden oder in den Niederlanden? Da kann doch etwas nicht in Ordnung sein. Und dass man jetzt dort Ärzte aus dem Ausland anwerben muss, dass ist im Grunde schon ein Schwächezeichen dieser Gesundheitsversorgungsysteme dort. Und sich dorthin dann zu verlieren, das würde ich mir als junger Arzt noch mal drei Mal gut überlegen. Man kommt dann in eine bestimmt nicht bessere Situation als in der Bundesrepublik.

Degenhardt: Welche Folgen hat der Streik bisher für die Krankenhäuser? Lassen sich die Einnahmeausfälle schon beziffern?

Kösters: Ja, das geht bei den Großkliniken, die bestreikt werden durchaus in die zweistelligen Millionenbeträge hinein und das ist absolut grenzwertig. Ob dieses noch mal aufgeholt werden kann im Laufe des Jahres, das wage ich zu bezweifeln. Von daher wird hier auch enormer Schaden angerichtet. Die Klinken müssen darüber hinaus alternative Versorgungsmöglichkeiten ins Auge fassen, wenn dann die eigenen Mitarbeiter nicht zur Verfügung stehen, so dass dann andere Dienste angeheuert werden müssen, auch diese Kosten kommen oben drauf. Also mit diesem Streik wird schon ein enormer Schaden im deutschen Gesundheitswesen angerichtet.

Degenhardt: Wenn das so ist, und Sie haben ja vorhin auch eingeräumt, dass es durchaus eine Arbeitsbelastung und teilweise Überbelastung der Ärzte gibt, sollten dann die Arbeitgeber den Ärzten nicht entgegen kommen?

Kösters: Ja, das wäre ein erster, sicherlich einfacher Schritt. Dann würde man im Augenblick solche anderen Posten versuchen zu sparen. Aber auf Dauer hätte man dann eine viel zu hohe Kostenbelastung sozusagen, die man dann nicht refinanziert bekommt. Die Klinken wehren sich deshalb jetzt auf Hals und Kragen, weil sie dann einfach in die Insolvenz zu drohen gehen, und wer will schon gerne dann hinterher den gesamten Krankenhausbetrieb in Frage gestellt wissen? Das machen sich viele eben nicht klar. Wir leiden jetzt schon unter einer enormen Unterfinanzierung des Gesundheitswesens und wenn wir jetzt solche Kosten zusätzlich sozusagen "produzieren", dann weiß keiner, wie die zu decken sind und die Klinken gehen in die Insolvenz und dieses kann doch nicht Ziel unserer Bemühungen sein.

Degenhardt: Nach dem, was Sie jetzt beschrieben haben, Herr Kösters, wie kommt man dann aus der Verhandlungssackgasse heraus?

Kösters: Ja, das frage ich mich auch. Das muss sich auch natürlich ver.di und aber auch der Marburger Bund fragen. Wer die Leute hier so auf die Bäume hetzt, der muss auch mal gucken, irgendwann muss man wieder runterklettern. Ich denke, das geht aber nur durch Verhandlungen, nicht mit wüsten Streikparolen, sondern das muss mal vorsichtig vorbereitet werden in entsprechenden Verhandlungsrunden, wo man wirklich dann bereit ist, über Inhalte zu reden und nicht über Parolen zu reden.

Degenhardt: Könnte das auch von einem Schlichter vorbereitet werden, ein Kompromissvorschlag zum Beispiel?

Kösters: Was letztlich dann die Lösung sein wird, das müssen wir gucken. Ich denke, die Tarifverhandlungen sollten zunächst einmal so weitergeführt werden, um die Dinge auszuloten. Vielleicht muss man dieses auch in kleinen Kreisen noch mal vertiefen, bevor man dann ein anderes Verfahren des Zustandekommens eines Kompromisses …

Degenhardt: Rudolf Kösters war das, der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, vielen Dank für das Gespräch hier im Programm von Deutschlandradio Kultur.